Heute mal etwas anderes: Der Dallara Stradale im Fahrbericht mit Video-Review.
„Lehrgang für Einsteiger“: Man setze sich auf die Karbonkarosserie (ja, das hält sie aus), am besten mit geöffneter Dachluke. Dann kommt das linke Bein ins Auto, der Fuß auf eine Ausbuchtung im Fahrersitz. Jetzt mit einer eleganten (?) Spreizbewegung das andere Bein nachfalten, ohne den Außenspiegel abzureißen, beide Füße in den Fußraum fädeln und die linke Hand zur Abstützung an der Karosserie verwenden. Im Idealfall sind die Pedale schon vorher in der richtigen Längsposition eingestellt (manuell über einen versteckten Hebel in der Tür). Jetzt sitzt man tatsächlich drin, im Dallara Stradale.
Der Dallara Stradale im Video
Knapp hinter dem – immerhin in der Länge einstellbaren – Lenkmodul. Nicht nur das kommt 1:1 aus dem Rennsport, versammelt alle wichtigen Funktionstasten von Lichthupe, Blinkern und Set-up in sich. Dahinter gibt es digitales Display Informationen zur Drehzahl und Geschwindigkeit, auf Wunsch zudem zur Rundenzeit mit Stoppfunktion.
Wie die Außenhaut besteht auch der Innenraum des Dallara Stradale aus Kohlefaser. Sogar ein Ablagefach und einen Becherhalter haben sie beim Backen des Materials mit eingepflegt. Der sonstige Komfort beschränkt sich auf eine (im Sommer empfehlenswerte) Kühlfunktion als einstufige Klimaanlage.
Unter der Glaskuppel wird es sonst ganz schön heiß. Windschutzscheibe und Dach kosten übrigens Aufpreis, rund 16.600 Euro mit der erwähnten Klimaunterstützung. Wer diese Option weglässt, fährt am besten mit Helm. Hinter den Rückenlehnen der nicht einstellbaren Sitze (deswegen die Längsverstellung der Pedale) gibt es immerhin verschließbare Helmfächer. Und viel Abwärme vom Mittelmotor, der nicht die geringste Dämmschicht vom Innenraum trennt.
Leichtbau mit Leistung
Dallara, eine italienische Rennwagenschmiede mit eigener Formel 1- Vergangenheit, nutzt für sein erstes Auto mit Straßenzulassung (daher der simple Name Stradale) einen Vierzylinder-Motor von Ford. Wer jetzt wegklickt und denkt „was soll das?“ zeigt, dass er von Sportwagenbau nicht allzu viel Ahnung hat. Pure Leistung und immer mehr Zylinder sind nicht das Allheilmittel. Leichtbau heißt das Zauberwort.
Der vom (leider mittlerweile eingestellten) Ford Focus RS entliehene Benziner mit 2,3 Litern Hubraum war, Angaben von Dallara zufolge, das leichteste Turbo-Aggregat, das der Markt hergab. Änderung an Turbolader und Ladeluftkühler sowie die verkürzte Abgasanlage steigern die Leistung um 50 auf 400 PS. Die treffen auf unter 900 Kilogramm Fahrzeuggewicht. Dazu die Kombination aus Mittelmotor und Heckantrieb, was Fahrspaß in kundigen Händen verspricht.
Erster Druck auf den Startknopf. Wie das Einsteigen muss auch der Motorstart einem Ritual folgen. Jetzt fahren die Systeme hoch, bei deren Entwicklung Dallara Hilfe von Bosch bekommen hat. Ein weiterer Tastendruck und der Vierzylinder plärrt los.
Unser Testwagen hat ein optionales Doppelkupplungsgetriebe an Bord. Schon beim ersten Wechsel vom ersten in den zweiten Gang macht sich die Schaltung mit einer halben Gedenksekunde bemerkbar. Also ist klar: Lieber in den manuellen Modus wechseln und per Paddels selbst Regie führen. Jeder Befehl der Finger lässt die Pumpe am Getriebe arbeiten. Deren Geräusche bekommst du – wie auch sonst alles – ungefiltert ans Trommelfell serviert. In jedem normalen Auto würde man alle 15 Meter anhalten und einen neuen Defekt vermuten. Hier ist klar: Näher an der Mechanik sitzt du so schnell nicht mehr. Schnelligkeit ist ein gutes Stichwort.
Die neue Definition von "schnell"
Ehe du dich versiehst, ist Landstraßentempo erreicht. 3,25 Sekunden (da nehmen sie es ganz genau) versprechen die Dallara-Jungs für die Beschleunigung auf 100 km/h. Mit Windschutzscheibe und Dach dürften es ein paar Zehntel weniger sein.
Die Vorderräder reagieren auf minimale Befehle am Volant, zackig lenkt der Stradale ein. Dabei liegt er wie ein Brett auf der Straße. Wellige Landstraßen oder gar Rollsplit, bei dem das Gesäß die einzelnen Kieselsteine zählt, liegen ihm klar weniger gut als eine Rennstrecke.
Dort gehört ein kompromissloser Sportler wie der Stradale auch hin, gegen den die Fahrt neulich im
Lamborghini Huracán STO
wie ein Wellnessurlaub anmutet. Der Vorteil des Stradale im Gegensatz zu reinen Racern: Er kann auf eigener Achse zum Track Day anreisen.
Gibt es Optionen wie ein Radio? Da würde der Verkäufer nicht mal die Frage verstehen. Wer Stradale fährt, hört der Kurbelwelle zu, nimmt die Profillamellen der Pirellis auf dem Asphalt wahr. Und versucht, den 820 Kilogramm Anpressdruck nachzuspüren. Die bringt der optionale Heckflügel bei Top Speed (280 km/h), drückt dabei den Höllenstuhl in Richtung Mittelpunkt der Erde.
Zum Mittelpunkt wird man auch, wenn man mit dem Dallare Stradale im öffentlichen Straßenverkehr unterwegs ist. Selbst vom Sozialneid oder Umwelt-Mittelfinger, den man dieser Tage in etwas höhermotorisierten Autos regelmäßig abbekommt (auf dem Weg an den Schreibtisch ist genau das in einem Ford Mustang zweimal passiert), entkoppelt sich der Stradale. Das Ding können die Menschen auf der Straße nicht zuordnen, vermuten eine Rennveranstaltung in der Nähe oder Filmaufnahmen als Grund seiner Präsenz. Mit einem Formel-Rennwagen an der Haltelinie würde man nicht stärker auffallen.
Einer von ganz wenigen
Seit 2017 wird der Dallara Stradale gebaut. Warum man trotzdem wohl noch keinen gesehen hat? Insgesamt sollen nur 600 Autos entstehen, unser Testwagen ist Nummer 188. Sechs Autos wurden 2021 in Deutschland verkauft. Einziger Händler ist die Dörr Group. Der Spezialist für Supersportwagen und Luxusautos bietet den Dallara Stradale an verschiedenen Standorten an. Ab rund 185.000 Euro bringen solvente Sportwagenfans mit, wenn sie sich das kompromisslose Gerät (hoffentlich nicht nur!) in die Garage stellen wollen. Aber da geht natürlich noch mehr! Karbonkarosserie? Klar, gerne. Dach, Türen, Klimaanlage, Heckflügel… die Liste der Optionen ist lang. Und teuer. Der Dörr-Testwagen kostet rund 300.000 Euro. Immerhin damit liegt er auf dem Niveau des erwähnten Huracán STO…
Fazit? Echt jetzt?
Liebe Leserin, lieber Leser. Du erwartest jetzt wirklich ein profanes Fazit nach den ausgiebigen Testfahrten im Dallara Stradale? Man sieht: Auch der Tester-Job ist nicht immer einfach. Durchgeschwitzt von der Anspannung, erschöpft vom Lärm und entrückt wegen der Endorphine im Gehirn schält man sich rückwärts (siehe oben) aus der Pilotenkanzel und muss das alles erst mal sacken lassen.
Mein Vorschlag nach einem Tag im Stradale: Fahr´ du jetzt mal sechs Stunden Achterbahn, dann treffen wir uns. Und blicken uns wissend an. Mehr wird nicht nötig sein.
Technische Daten
Dallara Stradale |
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Antrieb | Hinterradantrieb |
Hubraum | 2.300 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 294 kW / 400 PS bei 6.200 U/min |
Max. Drehmoment | 500 Nm bei 3.000 - 5.000 U/min |
Getriebe | Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe |
Beschleuningung 0-100 km/h | 3,25 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 280 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 7,6 Liter |
Leergewicht | ca. 900 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.185 / 1.875 / 1.041 mm |
Grundpreis | ca. 185.000 Euro |
Testwagenpreis | ca. 300.000 Euro |