Erster Fahrbericht: Was kann der neue Nissan Micra mit Elektroantrieb?
Kleinwagen mit großer Geschichte: 1982 wurde die erste Generation des Nissan Micra vorgestellt, über fünf Generationen gab es Modelle dieses Namens, bevor 2022 der Schlussstrich gezogen wurde. Ende des Jahres 2025 kommt der Micra zurück – erstmals als reines Elektroauto.
Dass sich der aktuell kleinste Nissan in Europa für die technische Basis bei Allianzpartner Renault bedient, ist nicht neu. Die letzte, intern K14 genannte, Generation nutzte die Plattform des Renault Clio. Jetzt ist es der Renault 5, dem der Micra ähnelt. Kann der rund 3,97 Meter lange Fünftürer auch ohne den Retro-Charme des R5 Menschen für sich begeistern?
Neues Blech am Micra
Schon beim ersten Kennenlernen war schnell klar: Reines Badge-Engineering, bei dem – mehr oder weniger – nur die Markenlogos getauscht werden, wurde beim Nissan Micra nicht unternommen. Vorne sind ein neuer Stoßfänger und LED-Leuchten mit runden Tagfahrlicht-Bögen erkennbar. Auch die Motorhaube ist neu, ebenso die Blechteile an den Flanken. Von den vorderen Scheinwerfern zieht sich eine Sicke bis in die Fondtüren – nach Aussage der Nissan-Designer inspiriert von der Spur eines Löffels in Eiscreme. Nicht nur vorne, sondern auch über den hinteren Radläufen zitiert die Karosserie deren Rundungen. Am Heck zitieren runde Leuchten die Form der Scheinwerfer.
Die Abmessungen der AmpR-Small-Plattform sind identisch mit denen des Renault 5, was auch für das Platzangebot im Innenraum und den 326 Liter großen Kofferraum gilt. Große Menschen sitzen besser vorne als hinten, blicken dabei auf ein Cockpit mit zehn Zoll großem Infotainment-Display. Die Größe der Instrumente variiert je nach Ausstattungslinie zwischen sieben und zehn Zoll Bildschirmdiagonale. Nur im Basismodell muss auf Google Services verzichtet werden. Dazu zählen die Navigationslösung Google Maps, die auch Ladestopps in die Berechnung längerer Routen mit einbezieht und der Play Store zum Download von Apps.
Am Lenkrad sitzen Schaltwippen, mit denen die Energie-Rekuperation mehrstufig eingestellt werden kann. Der aktuelle Renault 5 kommt mit nur einer Stufe, die über den Getriebe-Wählhebel anzusteuern ist, aus. Eine Modellpflege dürfte aber auch bei ihm bald die Paddles ins Auto bringen.
Mehr Reichweite
Die Antriebstechnik unterscheidet sich beim Nissan Micra nicht von der des R5. Im Basismodell treibt ein 90 kW (122 PS) starker Motor die Vorderräder an, der von einem 40 kWh großen Akku bestromt wird. An der Wallbox oder an einer öffentlichen Ladesäule wird Strom über drei Phasen mit 11 kW gezogen, am Schnelllader sind 80 kW möglich. Die Micra-Variante mit einer Motorleistung von 110 kW (150 PS) fährt mit 52 kWh Speicherkapazität vor. Hier erhöht sich die Schnelllade-Leistung auf 100 kW.
Ein wichtiger Elektroauto-Faktor und rationaler Vorteil des Nissan Micra gegenüber dem R5: Das aerodynamisch günstigere Karosseriedesign erhöht die Reichweite. Andere Räder, die neugestaltete Front und das Heck ohne kantige Leuchten sollen beim Nissan Micra, vorbehaltlich der finalen Homologation nach WLTP-Norm, mit 40 kWh-Akku 317 Kilometer möglich machen, mit dem 52 kWh großen Stromspeicher 416 Kilometer. Renault gibt 307 bzw. 405 Kilometer an.
So fährt sich der neue Micra
Noch vor den ersten Journalisten-Terminen konnten wir den neuen Micra bereits im Frühommer ausgiebig testfahren. Im Rahmen einer Veranstaltung für Juroren des „World Car Award“ (WCOTY, World Car of the Year) stand der Nissan auf einem Testgelände in Frankreich bereit. Die Strecken dort beinhalten unterschiedliche Straßenzustände von Kopfsteinpflaster bis hin zu kurvigen Landstraßen und bieten ausreichend Gelegenheit, das neue Auto kennenzulernen.
Die große Überraschung blieb dabei aus, klar: Wer den R5 gefahren ist, kennt auch den Nissan Micra schon gut. Das heißt: der 110 kW starke Elektroantrieb bringt den Kleinen hurtig voran, bisweilen zupft es dabei auch auf trockener Straße schon mal an den Vorderrädern. Das Drehmoment von 245 Newtonmetern liegt sowohl im Comfort-Modus als auch im Sport-Programm an, in „Eco“ wird die Kraft auf 215 Newtonmeter und die Leistung auf 50 kW reduziert.
Die Höchstgeschwindigkeit von 150 km/h konnte im Rahmen der ersten Testfahrten noch nicht ausprobiert werden, nach vielen Kilometern kann aber ein Urteil über den Fahrkomfort gefällt werden. Federn und Dämpfer machen im Nissan Micra einen guten Job, nur große Querfugen werden stark spürbar durchgereicht. Auch welliges Kopfsteinpflaster wird von der Mechanik hinter den großen 18-Zoll-Rädern gut geschluckt.
Zweite erste Fahrt
Zum Bestellstart steht der Nissan Micra erneut für Testfahrten bereit, dieses Mal im öffentlichen Verkehr rund um die niederländische Stadt Rotterdam (Lage und Wetter erklären den Sturm im Video zu diesem Beitrag). Auch hier gefällt die Abstimmung von Federn und Dämpfern, auch auf Landstraßen und (strikt tempolimitierten) Autobahnen. Die per Schaltwippen an der Lenksäule einstellbare Rekuperation hilft beim effizienten Verögern vor Kurven, Abzweigungen und Kreuzungen. In der Stadt kann man die One-Pedal-Funktion nutzen. 14,4 kWh / 100 km zeigt der Bordcomputer am Ende des Testtags (an dem Zeit und Strecke ein Leerfahren des 52 kWh großen Akkus und erneutes Aufladen nicht zuließen) als Durchschnittsverbrauch an. Damit liegt der Micra mit 110 kW (150 PS) sogar knapp unter dem WLTP-Wert von 14,7 kWh / 100km und - wenig überraschend - auf dem Niveau des technisch identischen Renault 5 im Alltagstest .
Eine hohe Gürtellinie und die massiven C-Säulen prägen das Design des Fünftürers, gleichzeitig schränkt beides die Übersicht ein. Beim Abbiegen sollte man Vorsicht walten lassen, beim Rangieren hilft die (ab der zweiten Ausstattungslinie Advance serienmäßige) Rückfahrkamera.
Marktstart und Preise
Die Preise für den Nissan Micra beginnen bei 27.990 Euro für die Ausstattungslinie Engage mit 40 kWh großem Akku und 90 kW (122 PS) Leistung des Elektromotors. Damit liegt er 90 Euro über dem vergleichbaren R5 Evolution (27.900 Euro). Nur beim Micra sind die stärker getönten Scheiben im Fond serienmäßig an Bord, außerdem die per Schaltwippen am Lenkrad einstellbare Rekuperation. Letztere dürfte bald auch in den Renault einziehen.
Auch beim zweiten Niveau, Advance bei Nissan und Techno bei Renault, liegen beide fast gleichauf, mit 29.990 Euro ist der Micra erneut 90 Euro teurer. Das sollte man am Tisch des Verkaufsberaters, auch über die Leasing- oder Finanzierungskonditionen, problemlos wegdiskutieren können.
Der Nissan Micra im Video
Der Nissan Micra Evolve, serienmäßig mit 52 kWh großem Akku und dem 110 kW (150 PS) starken Antrieb, kostet 34.900 Euro, er liegt damit 500 Euro über dem Renault 5 Iconic Five. Ausstattungsbereinigt wendet sich das Blatt. Das Harman/Kardon-Soundsystem, die erweiterte Fahrassistenz mit Spurführung (bei Nissan mit dem Marketing-Begriff ProPILOT versehen) und der Adapter für die V2L-Funktion (Vehicle-to-Load) sind beim Micra Evolve serienmäßig und für den R5 optional zu haben. Der bringt als Iconic Five dafür den Parkassistenten mit, für den Nissan Aufpreis verlangt. Unter dem Strich ist bei den Top-Versionen der Nissan Micra 650 Euro günstiger kalkuliert als der R5. Ein Vorteil für Nissan-Kunden ist die längere Neuwagen-Garantie für drei Jahre bis zu einer Laufleistung von 100.000 Kilometern. Renault bietet zwei Jahre ohne Begrenzung der Laufleistung.
Kleine Unterschiede bieten beide Marken bei den Kombinationsmöglichkeiten. Großer Akku und stärkerer Motor? Das geht bei Renault auch in Kombination mit der Basis-Linie Evolution, bei Nissan ist das Technik-Upgrade an die zweite Ausstattungslinie gekoppelt. Beim Micra Advance ist diese Batterie-Motor-Konfiguration immer an Bord, den Renault 5 Iconic Five kann man auch als „120 Urban Range“ mit 40 kWh großem Stromspeicher bekommen.
Fazit
Bei den ersten Testfahrten zeigt der Nissan Micra, dass Überraschungen ausbleiben. Und das ist gut so. Wie der technisch verwandte Renault 5 ist auch dieser Elektro-Kleinwagen agil und komfortabel. Kritik verdienen lediglich die in manchen Situationen mangelnde Traktion an der Vorderachse und die etwas gefühllose Lenkung.
Im Vergleich zum Renault 5 mag der Nissan Micra nicht mit Retro-Charme punkten. Dafür wirft er ein wichtiges Kaufargument in die Waagschale: Das geänderte Design sorgt für eine bessere Aerodynamik und damit für mehr Reichweite. Ob ihn das zum besseren Auto macht, muss jeder für sich entscheiden – die Preise beider Elektro-Kleinwagen sind fast identisch. Wer "volle Hütte" will, fährt mit dem Nissan minimal günstiger vom Hof des Händlers, zumindest bei der Beurteilung der Listenpreise.
Technische Daten
Nissan Micra
- Antriebsart
- Elektro
- Antrieb
- Frontantrieb
- Maximale Leistung kW / PS
- 110 kW (150 PS)
- Max. Drehmoment
- 245 Nm
- Getriebe
- Eingang-Reduktionsgetriebe
- Batterie
- 52 kWh
- Batterie: Typ
- Lithium-Ionen
- Maximale Ladeleistung Gleichstrom (DC)
- 100 kW
- Maximale Ladeleistung Wechselstrom (AC)
- 11 kW (dreiphasig)
- Beschleunigung 0-100 km/h
- 8,0 Sekunden
- Höchstgeschwindigkeit
- 150 km/h
- Norm-Verbrauch kWh / 100 km
- 14,7 kWh
- Reichweite nach Norm
- 417 km
- Realer Verbrauch im Testzeitraum kWh/100 km
- 14,5 kWh (lt. Bordcomputer)
- Kofferraumvolumen
- 326 Liter
- Leergewicht
- 1.527 - 1.556 kg
- Anhängelast (gebremst)
- 500 kg
- Stützlast
- 63 kg
- Länge / Breite / Höhe
- 3.974 / 1.774 / 1.498 mm
- Basispreis Baureihe
- 27.990 Euro
- Basispreis Modellvariante
- 34.900 Euro
- Testwagenpreis
- 35.400 Euro