Die neue Alpine A110 R im ersten Fahrbericht, auch von der Rennstrecke, mit Video-Review.
Es dürften vornehmlich die Feingeister unter den Sportwagenkunden sein, die sich für eine Alpine A110 interessieren. Menschen, die Lust auf einen kompakten Mittelmotor-Sportler mit ausgewogener Gewichtsverteilung haben. Die wissen, dass man lieber weniger Gewicht mit sich herumschleppt als immer mehr Leistung.
Die Alpine A110 R im Video
Für diese Gruppe von Enthusiasten baut Renault seit 2017 die 4,18 Meter lange, zweisitzige A110 in einem eigenen Werk. Die Stückzahlen halten sich in Grenzen. Rund 3.500 Exemplare hat Alpine im vergangenen Jahr produziert. Der Großteil blieb auf dem Heimatmarkt, einige gingen nach Deutschland und in andere europäische Länder. Außerdem verkauft Alpine Fahrzeuge in Japan und Singapur.
Neben dem Grundmodell mit 252 PS wird die Alpine A110 auch in den Modellvarianten GT und S angeboten. In beiden steckt ein auf 221 kW / 300 PS leistungsgesteigerter Vierzylinder. Die A110 GT ist mit komfortableren Sitzen, Lederausstattung und ihrer Fahrwerksabstimmung auf die zügige Langstrecke ausgelegt, das S-Modell legt den Fokus auf sportliche Dynamik. Aber da geht noch mehr. Vorhang auf für die brandneue Alpine A110 R!
Kohlefaser von vorne bis hinten
Schon auf den ersten Blick erkennt man, dass die Ingenieure und Designer viel Arbeit in ihr neuestes Derivat hineingesteckt haben. Das liegt nicht an der mit 5.950 Euro sündhaft teuren Options-Farbe in „Matt Racing Blue“, die auch auf den aktuellen Formel 1 – Autos von Alpine zu finden ist. Es ist das Kohlefasermaterial, das auffällt.
Kein Wunder, schließlich wird der teure und leichte Werkstoff großflächig verwendet. Spoilerlippe und Haube an der Front, Motorabdeckung (statt Heckscheibe), Seitenschweller und Diffusor am Heck ist daraus gefertigt. Außerdem die Felgen, die vorne größere Öffnungen für eine optimal Kühlung der Bremsen haben und hinten glattflächiger sind, um die Aerodynamik zu unterstützen. Auch der Heckflügel besteht aus Kohlefaser. Er ist vom Aero-Paket der A110 S bekannt.
Spoiler-Alarm!
Beim R-Modell wird er jedoch an Schwanenhals-Halterungen geschraubt. Seine Position wird verändert (18 Millimeter weiter hinten, 46 Millimeter weiter hinten, Anstellwinkel flacher). Das Resultat, neben einem geringeren Luftwiderstand: 29 Kilogramm mehr Anpressdruck bei der Höchstgeschwindigkeit von 280 km/h.
Innen zeigen sich Kohlefaser-Sitzschalen von Sabelt mit Sechspunktgurten, dazu Mikrofasermaterial. Was fehlt? Ein mittiger Rückspiegel, der ja aufgrund der nicht mehr vorhandenen Heckscheibe verzichtbar wurde.
Auch dieses kleine Detail spart Gewicht. Das Streben nach neuer Leichtigkeit erklärt auch den verschwenderischen Einsatz des teuren Kohlefaser-Materials. 34 Kilogramm soll die Alpine A110 R im Vergleich zur A110 S abgespeckt haben. Allein auf das Konto der Felgen geht eine Ersparnis von 12,5 Kilogramm, 5,5 bringen Sitze und Gurte, 2,9 die vordere Haube. Das Leergewicht wird mit 1.080 Kilogramm angegeben.
So fährt sich das R-Modell
Wie fühlt sich das an? Das finden wir an zwei Orten heraus, an denen das scharfe Profil der Alpine A110 R voll und ganz zur Geltung kommen soll: Landstraße und Rennstrecke. Nach Druck auf den Startknopf wirft sich der Benziner in Szene. Er ist nur durch eine Aluminium-Wand von den Insassen getrennt, sämtliches Dämmmaterial flog raus. Trotzdem kann man sich im Auto normal unterhalten.
Der Lärmpegel ist auch bei höherem Tempo im alltagstauglichen Bereich. Man hört die Mechanik, sie bestimmt aber nicht die Szenerie. Auf der Autobahn sammeln wir entspannt Kilometer. Das Fahrwerk mit neuen Dämpfern, die man manuell in 20 Stufen für Zug- und Druckstufe einstellen kann (das wird im Video gezeigt), bietet trotz einer Tieferlegung um 10 Millimeter ausreichenden Komfort. Auch Temposchwellen in Ortschaften stellen kein Hindernis dar.
Man werfe ihr Kurven hin!
Nach Autobahn und Ortschaften schraubt sich die Landstraße endlich die Berge empor. Über die Taste am Lenkrad wird der Sportmodus aktiviert, das Orchester hebt leicht seine Stimme. Die Kurven und Kehren werden enger, als Fahrer am Steuer der Alpine A110 R bleibst du in deinem Element.
Mit der präzisen Lenkung dirigierst du das Auto zentimetergenau auf der angedachten Ideallinie. Die angetriebenen Räder in deinem Rücken schieben das Auto punktgenau in die Kurve. Es sind einzig die Michelin Pilot Sport Semi-Slicks, die an diesem Wintertag (Temperaturen um vier Grad) um besondere Vorsicht bitten.
Der Vormittag vergeht kurzweilig, trotzdem steigt die Vorfreude. Im Anschluss stehen ein paar schnelle Runden auf der Rennstrecke von Jarama bei Madrid an. Umstieg in eine baugleiche A110 R. Bei ihr wurde das Fahrwerk manuell um weitere zehn Millimeter abgesenkt. Das ist bei allen Exemplaren der nicht limitierten, aber durchnummerierten R-Serie möglich. Mit der tieferen Einstellung gibt ist das Auto aber nicht für den öffentlichen Straßenverkehr homologiert.
Fahrt auf der Rennstrecke
Nach der Einführungsrunde wächst das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten am Steuer der Alpine. Mit 212 km/h schießt die blau-schwarze Flunder über Start/Ziel. Auf die Gerade folgt eine uneinsehbare, scharfe Rechtskurve. Am Bremspunkt wird der Anker geworfen. Die Brembo-Bremsanlage packt mit aller Härte zu. Spätestens jetzt wird die Notwendigkeit des sperrigen Sechspunktgurtes klar. Nachdem in Windeseile die Energie bis runter auf 57 km/h vernichtet wurde, hat das Auto schon längst Position am Scheitelpunkt der Kehre bezogen. Vollgas, und weiter geht´s.
Das 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe dreht die Gänge hoch aus und lässt dich auf der Drehmomentwelle bis 6.000 U/min reiten. Manuelles Schalten ist über feststehende Wippen an der Lenksäule möglich, zumindest für Hobby-Racer aber kaum nötig.
In jeder Schikane, in jeder Kurve freust du dich über das geringe Gewicht der Flunder. Über das wurfbereite, aber nie austeilende Heck. Und über den griffigen Wildleder-Lenkradkranz.
Nach der Cool-Down-Runde biege ich in die Boxengasse ab. Das Auto bleibt hier, die Erinnerungen nehme ich mit. Vorteil für die A110 R im Vergleich zu anderen Rennstrecken-Spielzeugen: Als Besitzer kann man mit ihr problemlos auf eigener Achse zum Track Day anreisen und auch wieder von Dannen ziehen.
Der Preis? Sechsstellig
Mit dem Basismodell hat die Alpine A110 R also gar nicht mehr allzu viel gemeinsam. Das gilt auch für den Preis. Mit 103.000 Euro ist die R das erste Modell der Marke mit einer sechsstelligen Summe auf dem Preisschild. Die A110 kostet aktuell ab 61.850 Euro, die A110 S 73.850 Euro bzw. 80.210 Euro mit Aero-Paket.
Kenner der Materie wissen: Das viele Kohlefasermaterial an und in der Alpine A110 R dürfte nach Marktpreisen noch teurer sein als der heftige Preisunterschied zwischen R und So. Dazu kommt noch die geänderte Abgasanlage (ohne Klappensteuerung) mit doppelwandigen Endrohren aus dem 3D-Drucker.
Mitbewerber – wie bitte?
Teuer ist die also, die A110 R. Aber zugleich nicht nur in Sachen Preisgestaltung unvergleichbar. Einen direkten Mitbewerber sucht man auf dem Markt vergeblich. Am ehesten kämen noch die Sportversionen des Porsche 718 Cayman in Frage. Auch er hat einen Mittelmotor. Der Schwabe ist aber größer, schwerer und je nach Ausstattung auch teurer als die Alpine.
Fazit
Ein Auto, dass die Welt nicht braucht. Das man(n) aber trotzdem unbedingt haben möchte. Mit der Alpine A110 R lässt sich Präzision auf höchstem Niveau erfahren. Gleichzeitig ist das Topmodell der Marke fast alltagstauglich. Das könnte den hohen Preis relativieren, da man kein zweites Auto als „Daily Drive“ braucht.
Meine persönliche Wahl könnte jedoch trotz aller Euphorie eine andere sein. Sie heißt Alpine A110 GT. Doch das ist eine andere Geschichte. Mal sehen, ob ich auch sie eines Tages erzählen darf…
Technische Daten
Alpine A110 R |
|
---|---|
Antrieb | Hinterradantrieb |
Hubraum | 1.798 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 221 kW / 300 PS bei 6.300 U/min |
Max. Drehmoment | 340 Nm bei 2.400 U/min |
Getriebe | 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe |
Tankinhalt | 45 Liter |
Beschleuningung 0-100 km/h | 3,9 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 280 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 6,8 - 7,0 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 11,8 Liter (lt. Bordcomputer, ohne Rennstrecke) |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Michelin Pilot Sport Cup 2 215/40 R18 v., 245/40 R18 h. |
Leergewicht | 1.082 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.180 / 1.798 / 1.255 mm |
Grundpreis | 103.000 Euro |
Testwagenpreis | 108.950 Euro |