Fahrbericht des chinesischem Elektroautos BYD e6.
Menschen bleiben stehen und schauen herüber. Autofahrer verrecken die Hälse und glotzen, verringern die Geschwindigkeit. Und schütteln teilweise sogar mit dem Kopf!
Die Aufmerksamkeit hat nämlich nichts mit dem Auto zu tun, dass wir hier bewegen – sondern eher mit der Tatsache, dass wir es nicht bewegen und die Dreistigkeit besitzen, mitten auf dem Münchner Königsplatz für ein paar Fotos anhalten. Und das im Freitagnachmittagsverkehr.
Zumindest wird dem BYD e6 so ein wenig Beachtung geschenkt. BYD, nie gehört? Die Abkürzung steht für Build Your Dreams. Träume kommen zwar immer noch von der Traumfee, BYD sorgt aber dennoch für ein sorgenfreies Leben vieler Menschen. Als weltgrößter Hersteller von Batterien statten die Chinesen u.a. die meisten modernen Smartphones mit Akkus aus. Auch namhafte Batteriehersteller lassen sich die Bauteile und ganze Produkte von BYD zuliefern. Auf der im Testwagen verbauten Varta-Autobatterie war übrigens auch das BYD-Logo zu finden. Vor einigen Jahren kamen die BYD-Manager auf die Idee, dass man nun auch Autos bauen könnte. Gesagt, getan.
Und damit kommen wir zum e6: Trotz der frischen Zulassung sieht das Auto aus wie ein zehn Jahre alter Gebrauchtwagen; mir kommt z.B. ein Toyota Picnic in den Sinn; na, wer kennt den noch ohne jetzt die Google-Bildersuche zu starten?
Hässlich ist der nicht, der BYD e6, aber eben auch keine Augenweide. Er punktet eh´ lieber mit inneren Werten. Damit meine ich aber nicht unbedingt die Hartplastikwüste mit zentralem Digitaldisplay als Cockpit. Handeln wir in diesem Kapitel also mal schnell ein durchaus brauchbares Platzangebot vorne, im Fond und im Kofferraum ab und beschäftigen wir uns mit dem, was nicht zu sehen ist. Und auch nicht zu hören: Dem Antrieb. Der e6 ist nämlich ein Elektroauto. Kein halbseidener Plug-in Hybrid, keine Backup-Lösung mit Range Extender. Sondern vollelektrisch.
80 kWh Stromspeicherkapazität stecken in den Eisenphosphat-Packs unter dem Fahrzeugboden. Das ist ordentlich, für noch nicht ganz so größenordnungsaffine Leser: Die „große Version“ des Tesla Model S hat deren 90 in den Batterien stecken. 400 Kilometer Reichweite verspricht BYD für den e6. Und zwar im Stadtverkehr, wo häufiges Bremsen (bitte sachte, vorausschauend, um die Energierückgewinnung voll auszukosten) natürlich maximalen Rekuperationsspaß bringt.
Das urbane Umfeld dürfte auch der natürliche Lebensraum des BYD e6 werden. Trotz seiner stattlichen Größe von 4,56 Metern Länge (1,82 Meter Breite und 1,63 Metern Höhe). Denn bereits auf den ersten Metern wird klar, dass der chinesische Elektrovan nicht für die Langstreck geboren wurde. Was dem Wagen nämlich fehlt ist der unbändige Elektro-Wumms. Der Schlag von hinten gegen die Rückenlehne des Fahrersitzes fehlt. Was bei einer Leistung von 90 kW / 122 PS auch kein Wunder ist, wenn man diesem Wert das hohe Fahrzeuggewicht von 2.420 Kilogramm gegenüberstellt.
Der Chinese geht also weder lahm vom Fleck noch flott ums Eck. Automobile Hausmannskost in Sachen Fahrdynamik also. Und damit ist festzustellen, wie unaufgeregt elektrische Mobilität plötzlich im Alltag ankommen kann. Untermalt von dem einen oder anderen Geräusch. Klar fehlt bauartbedingt der Motorenlärm, dennoch sind die Pumpe der Servolenkung und andere Helferlein zu laut im und am e6. Wenn man stärker beschleunigt drängt sich zudem ein penetrantes Generator-Fiepen in den Vordergrund. In Fahrt gebracht trampelt der BYD ungelenk über die eine oder andere Unebenheit in der Straße. Bei der Auto-Hardware haben die Chinesen noch klaren Nachholbedarf.
Einen Stolperstart will man in Deutschland nicht riskieren. Im Gegensatz zu Landwind oder Brilliance, einst mit viel PR gestartet und ebenso fix wieder in der Versenkung verschwunden, geht man es langsam an. Als direkte Vertragspartner der Europäischen BYD-Niederlassung im holländischen Rotterdam fungieren zwei Unternehmen als Vertriebspartner für den e6 (und einen elektrischen Linienbus). Eine Niederlassung kümmert sich um Baden-Württemberg. Aus Deggendorf in Niederbayern werden die Postleitzahlgebiete 8 und 9 sowie Österreich bedient. Ein weiteres Händler- oder Servicenetz gibt es nicht. Der Ansatz: Wartung und Reparaturen kann jede Werkstatt durchführen, ohne dass die Fahrzeuggarantie von zwei Jahren (bis 150.000 Kilometer) flöten geht.
Für Arbeiten am Hochvoltsystem soll die „Werkstatt des Vertrauens des Kunden“, so der Händler, speziell geschult werden. Womit also davon ausgegangen wird, dass der e6 Kunde eine solche Anlaufstelle hat. Das gilt sicherlich für viele (aber gewiss nicht alle!) Flottenbetreiber wie z.B. Kurierdienste oder Taxiunternehmen.
Genau hier sucht der BYD e6 auch seine Kunden. Gerade als Taxi ist der mit seinem guten Platzangebot und den 400 Kilometern Reichweite ideal geeignet. Der Grundpreis von 49.990 Euro ohne Mehrwertsteuer (59.488 Euro brutto) ist eine Ansage und sicherlich nicht günstiger als eine flottenrabattierte E-Klasse. Ob die niedrigeren Stromkosten im Vergleich zu Dieselsprit für eine große Ersparnis sorgen, muss jeder Unternehmen selber ausrechnen, bei den hohen Fahrleistungen im Stadtverkehr eines Taxis sollte das Pendel aber klar in Richtung BYD ausschlagen. Der aber gekauft werden muss, Leasing oder Finanzierung werden aktuell nicht angeboten.
Das Konzept kann aufgehen. Wer in Amsterdam, London Heathrow oder Brüssel mit dem Flugzeug landet und in ein Taxi steigt, der hat durchaus schon heute Chancen, in einem BYD e6 zu sitzen. Vielleicht sehen wir den Stromer auch bald hierzulande mit gelb-schwarzem Schild auf dem Dach. Wär doch e(h)-Klasse.
Technische Daten
BYD e6 |
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Maximale Leistung kW / PS | 75 kW / bis 90 kW in der Leistungsspitze |
Max. Drehmoment | 7.500 U/min, 450 Nm |
Höchstgeschwindigkeit | 140 km/h |
Leergewicht | 2.420 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.560 / 1.822 / 1.645 mm |
Grundpreis | 49.990 Euro (zuzüglich Mehrwertsteuer) |