Neue Konkurrenz für Tesla Model 3 und Co.: Was kann der BYD Seal? Test mit Video-Review.
Wenige Monate nach dem Europa-Start mit Atto 3, Han und Tang bringt BYD den neuen Seal auf dem Markt. Die Elektro-Limousine tritt gegen das Tesla Model 3, aber auch gegen Nio ET5 und den VW ID.7 an. Wir konnten den BYD Seal bereits über einen längeren Zeitraum testen.
Der BYD Seal im Video
Das Design des Chinesen fällt auf, sogar Kinder und Jugendliche drehen sich nach dem Auto um. „Ocean Asthetics“ nennen die Gestalter ihre Formensprache. Die fließenden Linien sollen dem Weg des Wassers nachempfunden sein. Mit einem cW-Wert von nur 0,219 stellt der BYD Seal dem Wind wenig Angriffsfläche entgegen.
Zudem ist der 4,80 Meter lange und 1,88 Meter breite Viertürer mit einer Höhe von 1,46 Metern relativ flach. Trotz der Fließheckform bleibt es beim kleinen Heckdeckel – hier folgt er seinen Mitbewerbern aus den USA und China. Darunter nimmt der Kofferraum überschaubare 402 Liter Gepäck auf – immerhin gibt es ein weiteres Staufach („Frunk“) mit 53 Litern Volumen unter der vorderen Haube. Die wird mit zwei Gasdruckdämpfern gehalten. Auch viele andere Details wirken durchdacht und hochwertig. Die hinteren Sicherheitsgurte werden über stabile Klammern geführt. Beim Umlegen der Lehnenteile bleiben sie in ihren jeweiligen Positionen und werden beim erneuten Hochklappen nicht eingeklemmt. Leider entsteht der der Erweiterung des hinteren Laderaums aber eine hohe Stufe im Boden.
Viel Platz in beiden Reihen
Trotz der nach hinten abfallenden Dachlinie hat man unter Glas im Fond auch als 1,92 Meter großer Autor eine noch ausreichende Kopffreiheit. Der 2,92 Meter lange Radstand (Vergleich: Tesla Model 3 2,88 Meter, VW ID.7 2,97 Meter) sorgt für üppigen Beinraum. Die Beine muss man zwar etwas anwinkeln, die Bank ist aber weit weniger nah am Innenboden platziert als bei anderen Elektroautos.
An den Rückseiten der Vordersitzlehnen gibt es jeweils zwei kleine und eine große Ablagetasche, in der Mittelkonsole kann weiterer Kleinkram verstaut werden. Hier stehen auch zwei USB-Steckplätze zur Stromversorgung von mobilen Geräten zur Verfügung. Isofix-Kindersitze lassen einfach befestigen. Die Bügel sind hinter cleveren, gummierten Klappen gut erreichbar.
Nicht nur im Fond, auch in der ersten Reihe gefallen Materialauswahl und Verarbeitung des Testwagens. Kunstleder, Mikrofaser-Stoffe und Dekorflächen aus Kunststoff wechseln sich ab. Sichtbares Hartplastik, Klappern oder Knarzgeräusche? Fehlanzeige!
In der Mittelkonsole können zwei (große) Smartphones induktiv mit Strom versorgt werden, dahinter liegt der Startknopf vor dem transparenten Knubbel zur Wahl der Fahrstufe. Die Sitze mit integrierten Kopfstützen sind bequem, für große Menschen mit hohen Häuptern jedoch etwas zu kurz geraten.
Drebares Display
Eyecatcher im Cockpit ist auch bei diesem BYD das drehbare Infotainment-Display mit einer Bildschirmdiagonale von 15,6 Zoll. Das ist mehr als eine Spielerei: Die Routenführung des Navigationssystems und die entsprechende Kartenansicht wurde im Testzeitraum gerne im Hochkant-Format genutzt, Medieninhalte und andere Menüs im quer positionierten Touchscreen.
Die Menüführung wird durch einige Shortcuts erleichtert. Wenn man beispielsweise über die Bluetooth-Verbindung zum Smartphone Musik hört, ist diese Funktion, über einen entsprechenden Schaltpunkt, direkt ansteuerbar, man muss nicht zuerst ins Entertainment-Kapitel klicken. Je nach Wunsch kann man sich direkt im Fahrzeug bei einem Musik-Streamingdienst wie Spotify anmelden, oder das eigene Smartphone auch per Apple CarPlay oder Android Auto integrieren. Dafür ist jedoch die Verbindung über ein USB-Kabel nötig. Schade, der aufgeräumte Innenraum wird dadurch optisch gestört, zudem kann man die gut positionierten Induktiv-Ladeschalen dann nicht nutzen.
Die Steuerung der Zweizonen-Klimaautomatik erfolgt über das berührungsempfindliche Display. Dafür steht in manchen (aber nicht allen!) Menüebenen eine feste Leiste am unteren Rand zur Verfügung. Nicht nur hier zeigen sich einige seltsame Übersetzungsfehler in den Anzeigen. Der Fahrer ist der „Treiber“. Auch andere Funktionen wie die Energie-Rekuperation haben interessante Bezeichnungen. Für sie muss man auch auf den Touchscreen klicken, Schaltwippen am Multifunktionslenkrad (mit physischen Knöpfen) gibt es nicht. Unterwegs wird jedoch, wie von anderen Elektroautos bekannt, die Rückgewinnung von Energie auch über das Bremspedal aktiviert.
Eine Besonderheit ist der LFP-Akku (Lithium-Eisenphosphat) mit einer Speicherkapazität von 82,5 kWh. Er ist mit der „Cell to Body“-Methode ein integraler Bestandteil der Karosseriestruktur, nicht einfach wie eine übergroße Schokoladentafel an den Fahrzeugboden geschraubt. Nicht nur das erklärt den Sitzkomfort. Die „Blade Batterie“ von ByD baut sehr flach. Die einzelnen Zellmodule sind 96 Zentimeter lang und nur neun Zentimeter hoch.
Wie schnell lädt der BYD Seal?
Der Hersteller gibt die Leistung am Schnelllader mit 150 kW an, in 26 Minuten soll der Ladezustand des Akkus von 30 auf 80 Prozent gehoben werden können. Wechselstrom fließt dreiphasig mit 11 kW.
Am Schnelllader steigt die Anzeige in der Tat direkt auf 150 kW, teilweise (bei 44 Prozent Ladezustand) auf 152 kW. Dieser Gipfel wird einige Zeit gehalten, schon bei 60 Prozent der möglichen Maximalladung fällt der Wert aber auf 60 kW ab und scheint auf diesem Niveau zu verharren. Bei 75 Prozent geht es wieder rauf auf über 80 kW, dieses Plateau wird dann kurz gehalten gehalten, bevor es auf rund 44 kW heruntergeht.
Mithilfe der V2L-Funktion (Vehicle-to-Load) lassen sich auch E-Bike und Co. mit Strom versorgen. Eine serienmäßige Wärmepumpe soll die Reichweite im Winter nicht zu sehr schrumpfen lassen.
480 km Test-Reichweite
520 Kilometer kommt der BYD Seal Excellence nach WLTP-Norm bis zum Stillstand. Dieser Reichweite liegt ein Normverbrauch von 18,2 kWh auf 100 Kilometer zugrunde. Im Test konnte ein Verbrauch von 19,6 kWh je 100 Kilometer erreicht werden, was – mit Rekuperationsphasen - eine Reichweite von knapp 480 Kilometern ermöglicht (sofern man den Mut hat, mit fast leerem Akku am Ladepunkt anzukommen).
Mit seiner komfortablen, aber dennoch herrlich direkten, Fahrwerksabstimmung lädt der BYD Seal zum Kilometersammeln in den Fahrmodi Eco oder Comfort ein. Die volle Systemleistung von 390 kW (530 PS) und die Kraft von 670 Newtonmetern, die die beiden Elektromotoren bereitstellen, wird im Sport-Modus entfesselt.
Die Werksangabe von 3,8 Sekunden für die Beschleunigung von null auf 100 km/h glaubt man gerne, sobald man nach dem Spurt wieder einen Gedanken fassen kann. Bei 180 km/h (laut Digitaltacho 189 km/h) fährt der Seal auf der freien Autobahn sanft in den Begrenzer.
Ruhe bitte, Piep-Show!
Auch bei hohem Tempo überrascht die Ruhe im Auto. Abroll- und Windgeräusche sowie der Antrieb sind kaum wahrnehmbar. Umso mehr nervt das ständige Gebimmel der Verkehrszeichenerkennung, sobald man nur ein km/h über dem angezeigten Limit liegt. Oder der mutmaßlichen Begrenzung, den recht oft phantasiert die Sensorik auf Landstraßen von Tempo 70. Mit erlaubten 100 km/h gibt es also eine fortwährende Piep-Show.
Wenn wir gerade beim Meckern sind: Auch der Spurhalteassistent dürfte im Rahmen einer Modellpflege überarbeitet werden. Er reagiert teils derart ruckartig, dass man am Steuer erschrickt. Die restliche Fahrassistenz in Form von adaptiver Geschwindigkeitsregelanlage mit Abstandshaltefunktion, Totwinkelüberwachung und Querverkehrswarner funktioniert tadellos. Das Bild der 360-Grad-Rückfahrkamera ist auch nachts klar und deutlich.
Die LED-Scheinwerfer leuchten bei Nacht die Straße gut aus. Arg gestrig ist aber die Tatsache, dass es nicht nur keine adaptiven Funktionen, sondern nicht mal einen einfachen Fernlichtassistenten gibt. Das passt nicht zu einem modernen Auto. Mehr im Hier und Jetzt angekommen ist die Sprachsteuerung. Auf den Zuruf „Hi, BYD“ kann man in Ganzsätzen Befehle wie eine Navigationsadresse einsprechen, die Routenführung wird schnell gestartet.
Das kostet der BYD Seal
Der BYD Seal kommt im Herbst 2023 in zwei Varianten auf den Markt. Das Grundmodell mit dem Namen Design hat einen 230 kW (313 PS) starken Heckmotor, der dort die Räder antreibt. Die Reichweite dieser Variante wird nach Norm mit 570 Kilometern angegeben, der Listenpreis liegt bei 44.990 Euro.
Unser Testwagen ist ein BYD Seal Excellence – das technische Upgrade mit Frontmotor für 390 kW (530 PS) und den Traktionsvorteil durch Allradantrieb kostet 5.000 Euro, das so konfigurierte Auto also 50.990 Euro.
Leasing- oder Finanzierungsangebote für den Seal gibt es aktuell noch nicht. Nachdem BYD in Deutschland aber mit großen Autohandelsgruppen zusammenarbeitet, von denen eine jüngst eine Tochter des Importeurs Hedin wurde, dürfte hier bald nachgelegt werden. Auf jeden Neuwagen gibt es eine Garantie von sechs Jahren bis zu einer Laufleistung von 150.000 Euro, auf mindestens 70 Prozent Akku-Leistung acht Jahre bis maximal 200.000 Kilometer.
Vergleich mit Tesla Model 3 und Co.
Trotz der für sich betrachtet hohen Summen ist der BYD Seal, vor allem angesichts seiner guten Verarbeitung, fair kalkuliert. Ein Tesla Model 3 Long Range mit Allradantrieb kostet nach dem aktuellen Facelift mit 51.990 Euro knapp mehr.
Der ebenfalls aus China kommende Nio ET5 steht zwar für 47.500 Euro im Konfigurator, hat dann aber keinen Akku an Bord. Ihn kann man mieten oder kaufen. Mit 75 kWh-Stromspeicher im Eigentum des Kunden steigt der Preis des ET5 auf 59.500 Euro.
Etwas größer ist der VW ID.7 mit Heckmotor, 77 kWh großem Akku (netto) und 210 kW (286 PS). Er startet zeitgleich mit dem BYD Seal in einer gut ausgestatteten Version ab 56.995 Euro, die Wärmepumpe kostet bei ihm aber extra. Pluspunkt des VW ist der große Kofferraum mit 532 Litern, einen „Frunk“ hat er aber nicht. Und BMW? Verlangt für den i4, wenn man die Serienausstattung annähernd angleicht, 58.300 Euro (alle Preise vor Abzug einer Förderung).
Fazit
Es ist beeindruckend, wie hoch das Entwicklungstempo bei BYD zu sein scheint. Der Atto 3 gefiel im ersten Fahrbericht, brachte aber auch einige Mankos mit. Nur wenige Monate später kickt der Seal in einer anderen Liga, ist dabei kaum teurer.
Die Touch-basierte Bedienung gelingt flüssig, die teils seltsame Wortwahl kann gewiss fix umprogrammiert werden. Größter Kritikpunkt ist die Abstimmung der Fahrassistenz in Form von Verkehrszeichenerkenung und Spurhaltefunktion. Das sollte bis zur Auslieferung der Kundenfahrzeuge verbessert werden.
Technische Daten
BYD Seal Excellence |
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Antrieb | Allradantrieb |
Getriebe | Eingang-Reduktionsgetriebe |
Systemleistung: kW / PS | 390 kW (530 PS), 670 Nm |
Batterie | LFP-Akku, 82,5 kWh, Reichweite nach Norm 520 Kilometer |
Maximale Ladeleistung Gleichstrom (DC) | 150 kW |
Maximale Ladeleistung Wechselstrom (AC) | 11 kW (dreiphasig) |
Beschleuningung 0-100 km/h | 3,8 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 180 km/h |
Norm-Verbrauch kWh / 100 km | 18,2 kWh |
Realer Verbrauch im Testzeitraum kWh/100 km | 19,6 kWh |
Leergewicht | 2.185 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.800 / 1.875 / 1.460 mm |
Grundpreis | 50.990 Euro |
Testwagenpreis | 50.990 Euro |