Der Morgan Plus Four sieht aus wie ein Klassiker, ist aber ganz neu. Probefahrt in der puristischen Fahrmaschine mit BMW-Motor.
Ein typisch deutsches Phänomen: Die plötzlicheNackenlockerungsübung. Schnelles Wegdrehen des Kopfes, bewusstes Wegschauen. „Mit mir nicht“, so das Motto, „ich gönne Dir Freiberufler, Anwalt, Arzt oder Unternehmer nicht die Ehrfurcht, dein teures Auto zu bewundern!“ Szenen, die am Steuer eines modernen Luxus- oder Sportwagens alltäglich sind.
Der Morgan Plus Four im Video
Ganz anders gestaltet es sich, wenn man im Morgan Plus Four an der roten Ampel wartet. Nicht gerade leise bollernd steht das nur 1,25 Meter hohe Auto an der Kreuzung. Eine ganze Familie winkt erfreut.
Das scheinbar alte Auto mit den britischen Kennzeichen weckt Enthusiasmus bei den Mitbürgern, anerkennende Blicke und „Guck-mal-da“-Anstupser. Neid? Missgunst? Nicht vorhanden.
Neuauflage nach 70 Jahren
Dabei dürfte sachkundigen Betrachtern spätestens ein genauer Blick auf die Front kundtun, dass hier mitnichten ein Oldtimer aus der Sammlergarage entführt wurde. LED-Tagfahrlichtstreifen in den runden Scheinwerfern sind ein sichtbares Zeichen der Neuzeit.
Die brachte 2020 eine Neuauflage des Morgan Plus Four. Ja, jetzt mit ausgeschriebenem Zahlwort in der Modellbezeichnung, also nicht mehr „Plus 4“. Mal eben 70 Jahre nach der Vorstellung des Vorgängers begannen Morgan-Stammsitz in Malvern Link, die Handarbeit auf die Produktion eines neuen Modells umzustellen.
Wie zuvor der Morgan Plus Six bekommt auch der Plus Four ein Aluminium-Chassis, das die bisher verwendete Stahlkonstruktion ablöst. Die Karosserie auf dieser Basis nutzt auch weiterhin einen Holzrahmen. Wie einige Werkzeuge gleicht auch die Fertigung jedes neuen Morgan den Prozessen, die vor über 100 Jahren begonnen wurden. Die Handwerkskunst begrenzt die Menge an neuen Morgans, die aus den Hallentoren rollen, auf einige hundert im Jahr. Lange Lieferzeiten sind die Folge.
Vierzylinder-Turbo von BMW
Das Auto im Stil von gestern hat heute aber nicht nur die besagten LED-Lichter als Neuerung vorzuweisen. Unter den langen Motorhauben (ja, es sind zwei) steckt die eigentliche Revolution. Anstelle der bislang verwendeten Ford-Motoren bedient sich Morgan bei BMW. Dem Modellnamen entsprechend arbeitet im Plus Six ein Reihensechszylinder, im Plus Four, man ahnt es schon: Ein Vierzylinder.
B48 heißt der aufgeladene Zweiliter bei den Münchnern. Er treibt u.a. BMW 1er, 3er und 5er an, steckt aber auch im BMW Z4 Roadster und dem Kooperation-Bruder Toyota Supra. Beides auch sportliche Autos, die Begehrlichkeiten wecken. Im Vergleich zum puristischen Morgan Plus Four aber verlockend wie Graubrot von Vorgestern.
Sound! Action!
Erst will der Schlüssel gedreht, dann der Motor auf Knopfdruck gestartet werden. Absprachen oder Unterhaltungen mit dem Beifahrer hat man dann hoffentlich beendet, denn jetzt regiert die Maschine. Und zwar vollständig.
Dämmmaterial? „Well, no“. Nicht vorhanden. Der sonst bravgezüchtete Vierzylinder klingt vorlaut, der Turbolader pfeift. Man vermag selbst Geräusche aus dem ebenfalls übernommenen Achtgang-Automatikgetriebe von ZF zu vernehmen. Dazu kommt der ungefilterte Klang der Abgasanlage mit zwei Endrohren, sie sich nur knapp hinter den Sitzen ihres Sounds entledigen.
Offen wie einst der Z1
Ein furioses Quartett also dort unter Motorhaube. Das dich direkt in den Sturm schickt. Ja, der Plus Four trägt während der Testfahrten, die bei Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt stattfanden, ein Stoffverdeck. Es ist aber eher als Schutz vor allzu starken Regenschauern zu verstehen. Es zieht an jeder Ecke durch daumendicke Öffnungen ins Auto hinein. Ein Wunder, dass die Haube trotzdem auch bei über 200 km/h sitzt.
Anstelle der tiefen Türausschnitte, bei denen selbst ein seliger BMW Z1 neidisch werden dürfte, haben wir dem Morgan Plus Four die Steckscheiben an die Türen geschraubt. Dünne Plastikgläser mit Schiebefunktion erinnern mehr an Briefschlitze als an jegliche Form der Isolation.
Gut, dass die Morgan-Preisliste im Jahr 2020 auch Weicheier-Optionen wie Sitzheizung (in zwei Stufen: „Well done“ und „die ist doch defekt!“) und sogar eine beheizbare Windschutzscheibe für mehr Durchblick bietet.
Hinter dem überraschend schnöden Zubehör-Lenkrad blickt man auf ein kleines Display für fahrrelevante Anzeigen, das sich zwischen Kunststoff-Schaltpaddels zeigt.
Digitale Neuzeit im Cockpit
In der Mitte des Armaturenbretts trägt der Morgan Plus Four weiterhin große, klassische Rundinstrumente zur Anzeige von Drehzahl und Geschwindigkeit. Darunter gruppieren sich Druckknöpfe, die dann mit dem Display vor dem Fahrer interagieren. Wird die Temperatur der optionalen Klimaanlage geändert, zeigt dies die Anzeige entsprechend an.
Zurück zum Fahrerlebnis. Wobei man das besser erlebt als beschreibt. Traktionskontrolle oder sonstige Fahrassistenten sind nicht vorhanden, der Morgan Plus Four ist noch eine richtige Fahrmaschine.
Die Leistung will beherrscht werden
Tempo 50, Ortausgang. Mit gar nicht mal zu schwerem rechten Fuß beschleunigst Du den Roadster in Richtung 100 km/h. Es reicht minimale Luftfeuchtigkeit, die sich auf dem Asphalt absetzt, um richtig Arbeit aufkommen zu lassen. Der Plus Four heckwedelt aus der Ortschaft.
Man sitzt hinter der gefühlt 180 Meter langen Motorhaube (pardon, den Motorhauben). Kurven sind dennoch hervorragend anzupeilen, weil die Kotflügel und die aufgesetzten Hauptscheinwerfer perfekte Fixpunkte darstellen.
Mit warmer Bremse den Scheitelpunkt passieren. Fuß aufs Gas. Konzentration am Lenkrad. Und loooooos. In 4,8 Sekunden soll die Automatikversion des Plus Four auf 100 km/h beschleunigen und maximal 240 km/h schnell werden.
Viel mehr als die mögliche Längsdynamik begeistert aber die Kurvenfreude des Morgan. Das liegt nicht nur an der ausreichend direkten Lenkung, sondern vor allem am Format. Während selbsternannte Sportwagen immer breiter und länger werden, bleibt der Plus Four mit 3,83 Metern Länge und nur 1,65 Metern Breite sehr kompakt. Als Kleinserienhersteller müssen die Briten weniger strikte Vorgaben bei Crashverhalten und Fußgängersicherheit einhalten.
Gute Verarbeitung, viele Optinen
Kleinserie, Handarbeit. Das zirpt und klappert doch an allen Ecken und Kanten! Mitnichten. Die gesteppten Lederbezüge auf den schlanken Sitzen wirken knitterfrei, Armaturenbrett und Mittelkonsole sind stabil und akkurat zusammengeschraubt. Da gab es, auch in der Redaktion, schon andere Erlebnisse mit viel teureren Autos.
Teuer ist ein Morgan aber auch. Wobei er für Menschen, die sich so einen Roadster wohl als Fünftauto gönnen, kaum spürbare Löcher ins Budget reißen dürfte.
76.500 Euro ruft Morgan für den Plus Four mit Automatik auf. Dazu kommen neben Habhaftigkeiten wie Klimaanlage, Sitzheizung oder Audiosystem vielfältige Individualisierungsmöglichkeiten in Form von Felgen (die Speichenräder des Testwagens kosten 3.200 Euro Aufpreis), Lacken, Lederarten und Details. Knapp über 90.000 Euro kostet das hier gezeigte Exemplar.
Fazit
Irgendwann denkst du, alle Facetten des Themas Automobil zumindest im Ansatz erfahren zu haben. Was kann da so ein enger, kleiner, flacher Roadster schon durcheinanderwirbeln? Fast alles!
Format, Sound und Fahrleistungen des Morgan Plus Four ergeben eine Fahrmaschine, die seine Sinne fesselt. Konzentration ist gefragt, um stets Herr über die Kräfte zu bleiben. Dabei vergisst man schnell den Lärmpegel um sich herum.
Und blickt in die erfreuten Gesichter der Passanten. Wer weiß. Vielleicht ist ja unter ihnen einer, der den wahren Reiz eines Morgan schon erfahren konnte. Der weiß, dass das scheinbar gestrige Auto im heute angekommen ist. Und mit sich spielen lässt, als gäbe es kein Morgen.
Technische Daten
Morgan Plus Four |
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Abgasnorm | Euro 6d |
Hubraum | 1.998 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 190 kW / 258 PS bei 4.400 U/min |
Max. Drehmoment | 400 Nm bei 1.000 - 4.300 U/min |
Getriebe | Achtgang-Automatik |
Tankinhalt | 46 Liter |
Beschleuningung 0-100 km/h | 4,8 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 240 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 7,0 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 9,0 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Michelin Alpin 6 205/50 R16 |
Leergewicht | 1.009 kg (ohne Flüssigkeiten) |
Anhängelast (gebremst) | n/a |
Länge / Breite / Höhe | 3.830 / 1.650 / 1.250 mm |
Grundpreis | 76.500 Euro |
Testwagenpreis | ca. 91.000 Euro |