Die hohe Kunst des Reisens: Der Rolls-Royce Ghost im Fahrtest mit Video-Review.
Entschlossen hält sie den Kopf in den Fahrtwind, spannt die Flügel und schickt die Botschaft unserer Ankunft voraus. Auch wenn eigentlich der Weg das Ziel ist. „Spirit of Ecstasy“ (der Geist der Ekstase) ist der offizielle Name der Dame in Silber, sie rümpft aber auch beim Spitznamen „Emily“ nicht die Nase.
Ihr ist es auch egal, ob sie mit weit über 200 km/h den Asphalt einer leeren Autobahn erblickt oder sich in einer Menschenansammlung, die sich bei Stopps in besiedeltem Gebiet zwangsläufig um das Auto scharen, präsentieren muss.
Der Rolls-Royce Ghost im Video
Eine gefühlte Tagesreise weiter hinten räkelt man sich derweil auf bequemem Ledermobiliar und nimmt Emily nur als kleine Lichtreflexion wahr. Zwischen ihr und mir ist nämlich Platz für einen klassischen Antriebsstrang, dessen technische Daten schon die Abmessungen erahnen lassen: 6,75 Liter Hubraum verteilt der Motor des Rolls-Royce Ghost auf 12 Zylinder. Ja, mit 420 kW / 571 PS und 850 Newtonmetern maximalen Drehmoment (50 weniger als im Rolls-Royce Phantom ) kann die 2,5 Tonnen schwere Luxuslimousine auch richtig schnell sein. 4,8 Sekunden für Nullhundert, 250 km/h Höchstgeschwindigkeit? Willkommen im Sportwagen-Oberhaus.
Vielmehr liegt aber das entspannte Reisen im Wesen des Rolls-Royce Ghost. Die Rolle des Einstiegsmodells in die Limousinen-Palette der britischen Luxusmarke spielt er mit Bravour. Denn Einsteigen will man hier sehr gerne. Die gegenläufig öffnenden Türen schwenken nach Zug am massiven Griff elektrisch unterstützt auf.
Luxus pur
Die Füße verlieren sich im Hochflor-Teppich, während ich zuerst in den Fond steige. Ein Knopfdruck in der Dachsäulenverkleidung schließt das Tor zur Außenwelt voll elektrisch. Dann herrscht Ruhe. Rund 100 Kilogramm Dämmaterial und Doppelverglasung sorgen für ein eigenes Universum im Ghost. Dessen zweite Reihe bietet tolle Platzverhältnisse, ohne hier jedoch endlose Weiten zu präsentieren. Das ist Absicht, denn wer darauf Wert legt, greift eh zur Extended-Wheel-Base-Version (EWB) oder gleich zum Phantom.
Der elektrisch ausklappbare Tisch, wie vieles im Testwagen mit offenporigem Walnussholz verkleidet, kommt bei großen Fondpassagieren dann schon mal dem Knie nahe. Also kümmere ich mich lieber um die vielfältigen Einstellmöglichkeiten der Einzelsitze, freue mich über den leeren Kühlschrank (denn ich will fahren, nicht rasten) und erfreue mich an den tollen Materialien, wie zu erwarten piekfein verarbeitet. Erhobenen Hauptes, das ist der größte Vorteil der hinten angeschlagenen Fondtüren, entsteige ich dem Passagiertabteil. Nächste Station: Fahrerplatz.
Moderne Konzerntechnik im Ghost
Die Zeiten, in denen der Chauffeur hinter dem dürren Lenkrad eines Rolls-Royce eher weniger kommod seinen Job verrichtete, sind lange vorbei. Auch deswegen, weil Autos wie der Ghost längst zu „Selbstfahrerautos“ geworden sind, die zudem eine überraschend junge Kundschaft ansprechen.
Das Lenkrad erinnert nur noch entfernt an das Steuer eines Schiffs. Wie im nautischen Bereich navigiert sich auch der Rolls-Royce Ghost voll digital in Richtung Zielhafen. Die Bedienelemente und das Infotainmentdisplay stammen aus dem gut sortieren Regal der Konzernmutter BMW. Jedes einzelne Teil bekommt jedoch ein eigenes Antlitz und wirkt deutlich hochwertiger. Die acht Favoritentasten aus silbernen Kunststoff in der Mitte des Armaturenträgers fallen da fast schon negativ auf.
Auch die Rundinstrumente sind digital. Dabei verkneifen sie sich aber ein Konfigurations-Mäusekino, man kann über den linken Lenkstockhebel lediglich die Grundfunktionen einer kleinen Bordcomputer-Anzeige wechseln. Auch beim Ambientelicht macht der Ghost den Firlefanz der unzähligen Lichtfarben nicht mit. Man kann zwischen zwei Weißtönen wählen – und fertig. Das Auge der Mitfahrer bleibt eh an den 850 LED-Lichtpunkten des Furniers mit Modellschriftzug vor dem Beifahrerplatz hängen.
Links vom Lenkrad liegt der Startknopf. Er weckt den doppelt aufgeladenen V12 auf, ein Zug am Automatik-Hebel lässt die Reise beginnen. Die Allradlenkung, bei der die Hinterräder bis zu einem Tempo von 70 km/h gegensinnig einschlagen, lässt den 5,55 Meter langen Rolls-Royce Ghost im Stadtverkehr überraschend handlich wirken. Dabei hilft auch, dass die anderen Verkehrsteilnehmer – anders als beim hohen Phantom – nicht aus dem Blickfeld des Lenkers verschwinden.
Kamerabilder von der Straßenoberfläche helfen, das Luftfahrwerk zu konditionieren. Das Ergebnis ist ein Gefühl des unbeschwerten Gleitens, als ob ein fliegender Teppich knapp über dem Asphalt das Auto und seine Insassen trägt.
Von der Arbeit des Verbrennungsmotors ist dabei nichts zu hören, die „Power Reserve-Anzeige (eine Art umgekehrter Drehzahlmesser) zeigt meist Werte von 80 bis 100 Prozent an. Man kann dem V12 aber auch die Sporen geben. Mit dem Bug des Ghost hebt sich auf die Stimme des Motors. Tatenfreudig-kernig schüttert er seine Kraft aus, die vier angetriebenen Räder bringen sie auf die Straße.
Auch er muss mal rechts ran
Ab und zu musst du auch am Steuer eines Rolls-Royce Ghost mal rechts ran, abtauschen in die Realität. Beim Tanken nämlich. Der Sticker in der Tankklappe verkündet den Weltauto-Ansatz des Briten, schlägt neben E5 und E10 auch E25 (in Brasilien populär) vor. Wir gönnen ihm ROZ98. 83 Liter passen in den Tank, da zieht sich das Päuschen in die Länge. Immerhin wurde man vorher stundenlang auf den Sitzen mit einem der vielfältigen Programme gut durchmassiert. Gut 20 Liter Durchschnittsverbrauch je 100 Kilometer ergibt im Anschluss der Abgleich von Tankbeleg und Kilometerzähler.
Auto oder Eigentumswohnung?
Zahlen spielen für die typische Rolls-Royce-Kundschaft wohl dann eine untergeordnete Rolle, wenn sie von einem Währungssymbol begleitet werden. Denn ein Auto wie dieses hat keine Mitbewerber mit vier Rädern. Es kommt eher darauf an, ob man im Moment der Kaufentscheidung Lust auf einen neuen Hubschrauber, die Sanierung des Personalhauses im eigenen Anwesen oder eine Kunstsammlung hat. Oder ob man findet, dass sich ein Ghost doch hervorragend auf einem der wenigen freien Plätze in der eigenen Tiefgarage machen würde.
Für alle Träumer unter uns, den Autor eingeschlossen: Bei gut 300.000 Euro startet der Einstieg in den Rolls-Royce Ghost. Nach oben gibt es, vor allem durch das Bespoke-Programm für alle nur erdenklichen Sonderwünsche der Kunden, kaum Grenzen. Der Testwagen hat mit 362.318 Euro einen fast noch „weltlichen“ Preis. Nicht.
Fazit
Im Anschluss an das Tippen dieser Zeilen wird der Rolls-Royce Ghost noch ein letztes Mal ausgeführt, bevor er zurück in den Schoss des Herstellers kommt. Es tat gut, sich das alles von der Seele zu schreiben. Das macht die Rückkehr in den Alltag leichter. Nicht nur den automobilen…
Technische Daten
Rolls-Royce Ghost |
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Hubraum | 6.749 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | V12 |
Maximale Leistung kW / PS | 420 kW / 571 PS bei 5.000 U/min |
Max. Drehmoment | 850 Nm bei 1.600 U/min |
Getriebe | Achtgang-Automatik |
Tankinhalt | 83 Liter |
Beschleuningung 0-100 km/h | 4,8 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 15,2 - 15,7 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 20,3 Liter |
Leergewicht | ca. 2,5 Tonnen |
Anhängelast (gebremst) | Pirelli Winter Sottozero 255/45 R20 |
Länge / Breite / Höhe | 5.546 / 2.148 / 1.571 mm |
Grundpreis | ca. 305.000 Euro |
Testwagenpreis | 362.318 Euro |