Der neue Fiat 600e im ersten Fahrbericht mit Video-Review.
Die älteren unter uns denken gerne an Zeiten zurück, in denen es noch „große Fiats“ gab. Gemeint sind damit 130 oder auch (der erste) Croma. Eine Vergangenheit, in denen die italienische Marke ein sogenannter „Vollsortimenter“ war, der vom kleinen 126 bis zum Familien-Van alles in die Schauräume der Händler brachte.
Der Fiat 600e
Mittlerweile ist die Marke Teil des französisch-italienischen Stellantis-Konzerns und hat ihre Rolle im Angebot von kleinen und kompakten Autos gefunden. Dazu gehört auch die 500er-Serie mit gleich zwei Baureihen. Der Verbrenner-Dreitürer ist seit 2007 fast unverändert auf dem Markt und für sich schon eine Ikone, dazu kommt der elektrische 500e auf eigener Basis.
Zu ihm gesellt sich jetzt ein größeres Modell mit Elektroantrieb, der neue Fiat 600e. Er löst auf Sicht des 500X ab und soll im Segment der City-SUV (Fachleuchte sprechen vom B-Segment SUV) wildern. Dabei setzt er auf eine Weiterentwicklung des 500(X)-Designs, trägt dabei stolz seine wiederbelebte Zahl in der weitestgehend geschlossenen Frontmaske.
Konzerntechnik unter der Hülle
Die Exklusivität einer eigenen technischen Basis, die der 500e nebst Abarth-Bruder noch aus der FCA-Zeit mitbringt, wird dem 600e nicht zuteil. Er nutzt die e-CMP genannte Konzernarchitektur in aktueller Ausbaustufe, die eine Vielzahl von Modellen über sich stülpt. Opel Corsa und Mokka, Peugeot 208 / 2008, Citroën C4, DS 3 und der Jeep Avenger sind enge Verwandte. In den jeweiligen E-Versionen teilen sie sich den Antrieb ebenso wie den Akku. Die neueren Vertreter gibt es dabei ausschließlich mit dem moderneren Unterzeugs in Form einer bis zu 115 kW (156 PS) starken Maschine und 54 kWh (netto nutzbar 51 kWh) großem Lithium-Ionen-Akku.
Alles gleich also? Diesen Vorwurf entkräftet der Fiat 600e schon auf den ersten Blick, auch wenn die Bedienstruktur sowie das Infotainment-Display mit zu kleinen Icons und manchmal störrischer Touchscreen-Funktion dem Autotester mittlerweile hinlänglich bekannt sind. Auch die kunstlederne Abdeckung über der Ablage in der Mittelkonsole entsprich in ihrer Form dem Äquivalent im Jeep Avenger.
Ansonsten folgt der neue Italiener mit einer breiten Spange im Cockpit, Logos in den Sitzen und vielen weiteren Details auch im Innenraum einer Stilsicherheit, wie sie scheinbar nur südlich der Alpen ohne Krampf im Arm aus dem Ärmel zu schütteln ist. Das tröstet sogar eher über große Hartplastik-Flächen weg als im Jeep Avenger.
Enger Fond im 600e
Vorne sitzt man bequem, in der höheren Ausstattungslinie „La Prima“ ist der elektrisch verstellbare Fahrersitz zudem mit einer Massagefunktion ausgestattet. Ein Manko der Plattform trägt auch der Fiat 600e mit sich herum: Im Fond ist er nicht wirklich geräumig, zudem ist der Kofferraum mit einem Volumen von 360 Litern nur durchschnittlich groß.
Ebenfalls aus dem Stellantis-Regal kommt der Startknopf. Mal wieder wundert man sich, dass man ihn auch ein einem Elektroauto lange drücken muss, bis alle Systeme ihre Startbereitschaft verkünden. Die Testfahrt beginnt in der Fiat-Heimatstadt Turin. Für gute Straßenbeläge ist die norditalienische Metropole wirklich nicht bekannt, womit der Fiat 600e gleich auf eine harte Probe gestellt wird. Das Ergebnis: gar nicht mal so hart!
Gelungene Abstimmung
Den Entwicklern, die für die Fahrwerksabstimmung verantwortlich zeichnen, gebührt großes Lob. Wellen im Asphalt und mittelschwere Verwerfungen bügelt der 600e glatt. Nur ausgeprägte Querfugen reicht er durch, dämpft aber auch sie weg. Kein Vergleich um rumpeligen Fiat 500X! Und auch im Wettbewerbsumfeld der kompakten Elektroautos ist der Fiat 600e in dieser Disziplin weit vorne.
Im wuseligen Stadtverkehr hat die sehr leichtgängige Lenkung einen Vorteil. Spätestens auf der Ausfallstraße wirkt sie aber zu rückmeldungsfrei. Da hilft auch der Wechsel in den Sportmodus nicht, in dem die volle Motorleistung anliegt (Normalmodus 80 kW, Eco-Modus 60 kW). Vor allem auf den lasziv geschwungenen Bergstraßen des Piemont-Gebirges wünscht man sich mehr Rückstellkräfte und eine besser dosierbare Linie.
Bergab kann man durch Druck auf die entsprechende Taste der Getriebesteuerung mit der B-Stufe die Energie-Rekuperation erhöhen. Jetzt verzögert der Fiat im Schubbetriebe spürbar stärker, ist aber noch weit von einem „One-Pedal-Drive“ entfernt. Schaltwippen am Lenkrad zur Einstellung der Rekuperation wären fein. Vor allem, weil der Platz dafür durch den Entfall der Audio-Tasten auf der Rückseite des Lenkrads da wäre. Für die Lautstärke von Musik, Podcasts und Hörbüchern gibt es endlich einen intuitiv bedienbaren Drehknopf in der Mittelkonsole.
Den Stromverbrauch gibt der Hersteller mit 15,2 bis 15,5 Kilowattstunden auf 100 Kilometer an, die Reichweite mit 409 Kilometern (im reinen Stadtverkehr 604 Kilometer). Am Ende des Testtages steht ein Wert von 16,7 kWh je 100 Kilometer auf der Anzeige des Bordcomputers.
Einen validen Wert dafür und die Ladekurve wird ein späterer Test aufzeigen. 100 kW sollen am Schnelllader mit Gleichstrom maximal möglich sein, Wechselstrom an der Wallbox oder eine öffentlichen Ladesäule saugt der 600e dreiphasig mit 11 kW.
Basis ab 36.490 Euro
Zum Marktstart des 4,17 Meter langen Fiat 600e stehen zwei Ausstattungsvarianten in Konfigurator und Preisliste. Das Modell Red kommt mit 16-Zoll-Stahlfelgen samt Radvollblenden, im Scheibenwischerbereich beheizbarer Windschutzscheibe, roter Cockpitspange, Klimaautomatik, Smartphone-Integration mit Apple CarPlay und Android Auto, Parksensoren am Heck, Geschwindigkeitsregelanlage und Spurhalteassistent. Der Preis 36.490 Euro.
Damit ist der rund geformte Fiat 600e nicht nur etwas günstiger als viele Konkurrenten – darunter auch Jeep Avenger und Peugeot e-2008 -, sondern unterbietet auch den ähnlich emotional auftretenden Ora Funky Cat aus China. EU-Strafzölle sind also nicht der letzte Weg, denn auch Europäer können gute Elektroautos zu verhältnismäßig günstigen Preisen bauen. Andererseits kann man auch attestieren, dass der Ora schlicht zu teuer ist.
Soll es mehr sein? Zum Beispiel 18-Zoll-Alus, elektrischer Fahrersitz mit Massage doppelter Ladeboden, adaptive Geschwindigkeitsregelanlage, Totwinkelwarner, Verkehrszeichenerkennung, Fernlichtassistent, Rückfahrkamera, schlüsselloser Zugang, elektrische Heckklappe und Kunstlederbezüge? Macht 6.000 Euro mehr, in Form des Fiat 600e La Prima also 42.490 Euro.
Verbrenner ab 2024
Blicken wir auf den Vorgänger: Der Fiat 500X Hybrid mit 130 PS und DCT-Doppelkupplungsgetriebe startet aktuell bei 29.990 Euro. Dieser Preis dürfte vom Fiat 600 ab Frühjahr 2024 unterboten werden, wenn auch mit übersichtlicherer Ausstattung. Dann startet er als Dreizylinder-Benziner mit Mildhybrid-System (100 PS plus Elektromotor). In Italien soll diese Variante ab 24.950 Euro kosten.
Fazit
Kompromisse gehörten bei Fiat lange zum guten Ton. „Ach ist der süß“, sagten die Kundinnen und Kunden, nahmen dann teils lahme Antriebe oder verbesserungswürdige Fahrwerksabstimmungen in Kauf.
Der elektrische 500 stimmte die Instrumente neu, ihm kann man bis auf hohe Preise wenig vorwerfen. Jetzt kommt der 600e, der viel Konzerntechnik markentypisch verpackt. Und mit dieser Kombination ein ziemlich gutes Auto wird. Sogar die Preise sind, verglichen mit den Wettbewerbern, nicht abgehoben. Kritik verdient der enge Fond. Aber trotzdem kann man sagen: Auch wenn sich die Marke auf kleine und kompakte Autos konzentriert – der 600e ist ein großer Wurf.
Technische Daten
Fiat 600e |
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Antrieb | Frontantrieb |
Getriebe | Eingang-Reduktionsgetriebe |
Elektromotor: Maximale Leistung kW | 115 kW (156 PS) im Sportmodus / 100 kW (136 PS) im Normalmodus / 79 kW (108 PS) im Eco-Modus |
Elektromotor: Maximales Drehmoment | 260 Nm |
Batterie | 54 kWh (netto 51 kWh), Lithium-Ionen, WLTP-Reichweite 409 km |
Maximale Ladeleistung Gleichstrom (DC) | 100 kW |
Maximale Ladeleistung Wechselstrom (AC) | 11 kW (dreiphasig) |
Beschleuningung 0-100 km/h | 9 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 150 km/h |
Norm-Verbrauch kWh / 100 km | 15,1 - 15,2 kWh |
Realer Verbrauch im Testzeitraum kWh/100 km | 16,7 kWh (lt. Bordcomputer) |
Leergewicht | 1.520 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.171 / 1.781 / 1.523 mm |
Grundpreis | 36.490 Euro (Red) / 42.490 Euro (La Prima) |