Der neue Kia Proceed GT mit 204 PS im ersten Fahrbericht.
„Du, Schatz. Müllers von Gegenüber haben sich jetzt auch ein SUV gekauft, fast das gleiche Modell wie ihre Nachbarn. Und Herr Mayer war neulich kurz hier. Auch im SUV.“
Szenen einer Ehe, wenn es um das Thema „was fahren denn alle so?“ geht. Wer etwas anders machen will, aus dem Einheitsbrei ausbrechen möchte, der kauft nicht mehr Kombi, oder schlimmer noch „Limousi, ne!“ sondern eben ein gerne kompaktes SUV.
Dumm nur, wenn plötzlich alle so anders sind wie man selbst, da bleibt nicht mal mehr die bessere Übersicht. Denn wenn alle hoch sitzen und hoch fahren, guckt man wieder auf Dachsäulen und getönte Fensterscheiben. Nur eben eine halbe Etage höher.
Da biegt plötzlich der Kia Proceed ums Eck. Klar, auch die koreanische Marke verkauft mit Stonic, Sportage und Sorento allerlei SUV (so viele S-Worte). Aber traut sich jetzt auch einen neuen Ansatz im Kompaktklassesegment.
Der Name Proceed ziert jetzt nicht mehr ein mittlerweile kaum noch nachgefragte dreitüriges Kompaktmodell, sondern einen Sportkombi, Kia spricht vom Shooting Brake. Den leisten sie sich neben dem fünftürigen Ceed und dem traditionell praktischen Kombi namens Ceed SW.
Mit 4,61 Metern Länge sind Ceed SW und Proceed annähern gleich lang, der andere Frontstoßfänger des Shooting Brake sorgt für 5 Millimeter Unterschied.
Über vier Zentimeter flacher duckt sich der Proceed aber in den Fahrtwind, bedingt durch eine Tieferlegung und eine niedrigere Karosserie. Die fließt bogenförmig ab der A-Säule, wo die blechernen Gemeinsamkeiten des Proceed mit den anderen Ceeds enden, in einem ziemlich schrägen Heck aus.
Das erinnert, reden wir nicht drum herum, mit der klaren Ordnung seiner Proportionen, den flachen LED-Rückleuchten und dem durchgehenden Lichtband bis hin zum zentralen Schriftzug vehement an einen gewissen Sport Turismo aus Süddeutschland.
Trotzdem wirkt der Kia Proceed nicht wie ein billiger Asien-Abklatsch. Ist er auch gar nicht, wurde er doch in Deutschland entwickelt und designt, das Werk steht in der Slovakei.
Dort bauen sie den Proceed als Topmodell der Baureihe in der hochwertigen GT-Line-Ausstattung als 1.4 T-GDI mit 140 PS und 136 PS starken Diesel, für Märkte außerhalb Deutschlands auch mit 120 PS starkem Dreizylinder-Turbobenziner.
Und als Kia Proceed GT. Der hat wie der fünftürige Sportbruder den bekannten 1,6 Liter großen Turbomotor mit 150 kW / 204 PS unter der Haube.
In Sachen „Hot Hatch“ behält im konzerninternen Duell also der
Hyundai i30 N
mit 250 oder 275 PS die Krone auf.
Während sportliche Kompaktmodelle, egal ob GTI, RS, eben jeder N und so weiter leistungsmäßig weiter nach oben streben, besetzt Kia mit Ceed GT und Proceed GT mal eben die neu entstandene Nische des 200 PS-Kompakten.
Mit Klappensteuerung in der Abgasanlage will der Proceed GT im Sportmodus, unterstützt von einem künstlichen Sound über Lautsprecher, trotzdem für ein wenig Krawall sorgen.
Das vorlaute Wesen passt aber nur bedingt. Denn der Kia Proceed GT präsentiert sich als dynamisches, sportliches Alltagsauto, das auch ohne adaptive Dämpfer mit 18-Zoll-Felgen einen überraschend hohen Langstreckenkomfort bietet.
Da wird das synthetisch klingende Geräusch manchmal nervig. Der Ausweg: Den Fahrmodus auf „Normal“ stellen.
Der Sportmodus macht einsame Landstraßen zur kleinen Portion Breitensport, die man gerne mal in den Alltag einbaut.
Anbremsen, Einlenken, raus aus der Kurve, hoch in den Wald. Klappt mit der direkten, aber nicht nervösen, Lenkung prima, die Vorderräder scharren nur auf feuchtem Untergrund. Und dann spürt man das lange Hinterteil.
Nicht, dass der vorderradgetriebene Proceed seinen aufreizenden Hintern achtlos ums Eck werfen würde, aber schon vor dem Einsatz der Sittenpolizei in Form des ESP merkst Du einfach, dass da viel Auto mit um die Kurve will. Das stets überraschend fahrsicher ist.
Für das Kurvenräubern dürfte, mutmaßlich, der kürzere Kia Ceed GT besser geeignet sein. Das gilt es, später einmal herauszufinden.
Wenn nicht gerade der Auspuff über Gebühr tönt, gibt sich der Kia Proceed GT als harmonischer und leiser Reisewagen. 265 Nm Drehmoment reichen für alle Alltagslagen. Das optionalen Doppelkupplungsgetriebe, bei Kia DCT genannt, sortiert sie über sieben Vorwärtsgänge.
Der Griff zu den Schaltpaddels am Lenkrad macht manchmal Freude, ist aber nie nötig.
Sogar Stau macht Freude im Kia Proceed GT. Das liegt nicht am serienmäßigen Stauassistenten, der Stop-and-Go-Funktion der adaptiven Geschwindigkeitsregelanlage, sondern am Innenraum an sich.
Der Blick schweift über das Cockpit, Sitze und Türverkleidungen und einmal mehr wird deutlich, wie stark die Koreaner aufgeholt haben. Und überholt. Das trifft für Kia mehr zu als für Hyundai.
Klavierlackoberflächen, angenehme Kunststoffe, sauber rastende Schalter, geschmackvoller Einsatz von verchromten Elementen und bequeme Ledersitze: das wirkt schon Premium-like.
Auch hinten sitzt es sich gut, sofern man unter 1,80 Meter groß ist. Sonst stößt nämlich der Kopf ans Dach, man verbeugt sich sozusagen vor der Karosserieform.
Die aber überraschend viel Platz für das Gepäck bereithält: 594 Liter sind eine Ansage. Zwar weniger als die 625 Liter des Ceed SW, aber mehr als viele auch teurere Mitbewerber aus der Mittelklasse.
Leider fehlt im Kia Proceed aber ein Trennnetz. Das verwundert umso mehr, weil er mit einem hervorragend verarbeiteten Schienensystem auf dem Gepäckraumboden und cleveren Fächern darunter durchaus dem Pragmatiker mimt.
Wenn man sich im Auto satt gesehen hat, verfliegt die Freude ein wenig beim Blick nach draußen. Der ist nämlich vor allem für große Fahrer bescheiden. Niedrige Fenster sorgen für schlechten Blick auf Ampeln und Schilder, nach hinten ist durch die flache Heckscheibe kaum etwas zu sehen.
Beim Gespräch mit Nachbarn, Bekannten und Verwandten wird aber schnell klar: im ach so hippen SUV-Coupé ist das auch nicht besser.
Fazit zum Kia Proceed GT
Danke für dieses Auto. Dafür, dass man auch ohne Premiumpreise eine Alternative zum unumgänglichen SUV kaufen kann.
Junge Familien dürften sich den Kia Proceed ebenso ansehen wie Best Ager, bei denen zwar die Kinder aus dem Haus sind, nicht aber das Rennrad oder der Paraglider.
Außerdem dürften sich auch manche Firmenwagenfahrer mal durchrechnen lassen, ob sie mit dem Kia Proceed nicht einen ebenso standesgemäßen Auftritt auf dem Mitarbeiterparkplatz haben, sich aber gleichzeitig eine merkbare Steuerlast im Vergleich zum Listenpreis eines Mittelklassekombis sparen.
Wird hier ganz nebenbei der einst extra für Europa entwickelte Kia Optima SW angezählt?
Ein Auto für alle, also? Nein. Wer einen wirklich sportlichen Kompaktwagen sucht, der wird mit dem Proceed GT nicht glücklich. Wer nach einem kompromisslosen Alltagsbegleiter für fast alle Lebenslagen Ausschau hält, mit dem man auch optisch gut ankommt, der sollte sich den neuen Kia aber einmal ansehen.
„Du, Liebling“, könnte man dann Müllers oder Mayers sagen hören, „guck mal: die haben da was Schickes. Und man muss die Einkäufe oder den Hund gar nicht so hoch in den Kofferraum heben.“
Technische Daten
Kia Proceed GT |
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Hubraum | 1.591 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 150 kW / 204 PS bei 6.00 U/min |
Max. Drehmoment | 265 Nm bei 1.500 - 4.500 U/min |
Getriebe | 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe |
Beschleuningung 0-100 km/h | 7,5 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 225 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 6,2 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 10,7 Liter (lt. Bordcomputer) |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Michelin Pilot Sport 4 225/40 R18 |
Leergewicht | 1.438 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.605 / 1.800 / 1.422 mm |
Grundpreis | 33.190 Euro |
Testwagenpreis | 35.560 Euro |