Der neue Volvo EX90 im ersten Fahrbericht mit Video-Review.
„Gut Ding will Weile haben“. Wenn dieses Sprichwort auf den neuen Volvo EX90 zutrifft, muss er ganz formidabel sein. Wir probieren das im ersten Fahrbericht aus.
Ende 2022 hat die schwedische Marke ihr neues, vollelektrisches SUV-Flaggschiff erstmals vorgestellt. Nachdem Herausforderungen bei der Hardware und auch bei der Software des Nvidia-Systems den Entwicklern bei Volvo einige Monate lang Überstunden beschert haben dürften, startete in diesem Sommer die Produktion des EX90 in Charleston im US-Bundesstaat South Carolina. Von dort wird der neue EX90 auch nach Deutschland geliefert. Aus demselben Werk rollt auch der technisch eng verwandte Polestar 3, außerdem baut Volvo in Charleston die Limousine S60.
Der Volvo EX90 im Video
Ale einer der ersten Autohersteller hat sich Volvo früh dazu bekannt, zum reinen Elektroauto-Anbietet zu werden. Naben dem kompakten EX30 ist der EX90 die zweite Baureihe der Marke, die es ausschließlich mit E-Antrieb gibt. Bei der technischen Grundlage profitieren die Schweden von der Möglichkeit, Architekturen und Plattformen der chinesischen Konzernmutter Geely zu verwenden.
Die Premiere des EX90 bedeutet für Volvo und seine Kunden jedoch (noch) keine Abkehr vom Verbrenner in der SUV-Oberklasse. Der auch neun Jahre nach seinem Debut noch sehr erfolgreiche XC90 wird, parallel zum EX90, einige Jahre weitergebaut.
Der größte Volvo
Seine Rolle als Chef im Ring zeigt der neue Elektro-Volvo schon mit seinem Format. Während XC90 und auch der große Kombi V90 unter der Fünfmeter-Marke bleiben, reißt der EX90 mit einer Länge von 5,04 Metern diese Grenze. Die Karosserie ist – mit Außenspiegeln – 2,11 Meter breit und 1,74 Meter hoch. Der üppige Radstand von 2,99 Metern schafft Platz für große Batterie-Pakete zwischen den Achsen.
Im Fond sollte man trotzdem kein uneingeschränktes Raumwunder erwarten. Zumindest mit einem für große Menschen einstellten Fahrersitz bietet die zweite Reihe nur durchschnittlichen Beinraum. Innenbreite und Kopffreiheit unter dem feststehenden Panorama-Glasdach genügen dagegen auch (im wahrsten Sinne des Wortes) hohen Ansprüchen. Je nach Ausstattung gibt es den Volvo EX90 in Europa als Fünf- Sechs- oder Siebensitzer. Unser Testwagen trägt die maximale Platzzahl mit elektrisch einklapp- und ausklappbaren Sitzen in der dritten Reihe in sich. Auch hier freuen sich kinderreiche Familien über zwei Isofix-Verankerungsmöglichkeiten. Nicht nur der Einbau der Kindersitze gestaltet sich mutmaßlich herausfordernd. Auch der Ein- und Ausstieg erfordert, trotz der nach vorn fahrenden Sitze in der zweiten Reihe, Gelenkigkeit. Trotz der Längsverstellmöglichkeit der Rücksitzbank geht es ganz hinten eher kuschelig zu. Wie andere Siebensitzer-SUV auch ist der Volvo EX90 in dieser Konfiguration vor allem für den spontanen Transport zusätzlicher Kinder, beispielsweise als Shuttle nach einer Geburtstagsparty, geeignet.
Bei voller Bestuhlung bleibt ein Kofferraum von 324 Litern übrig, von denen 65 Liter im üppigen Kellerabteil unter dem doppelten Ladeboden stecken. Im Fünfsitzer steigt das Volumen auf 662 Liter. Die Teppichauskleidung, die auch die Seitenwände mit einbezieht, wirkt hochwertig. In Verbindung mit dem optionalen Luftfahrwerk lässt sich das Heck auf Knopfdruck absenken, was das Einladen schwerer Gepäckstücke erleichtert. Weitere 34 Liter, beispielsweise für das Ladekabel, gibt es im „Frunk“ unter der vorderen Haube.
Vorne sitzt man auf sehr bequemem Mobiliar. Die optionale Innenausstattung „Tailored Wool“ sorgt zusätzlich für Behaglichkeit. Sitzheizung und -massage sind an Bord. Wer belüftete Vordersitze haben möchte, der greift zu einer der unterschiedlichen „Nordico“-Innenraumwelten. Lederausstattungen bietet Volvo auch im EX90 nicht mehr an.
Die Gestaltung des Cockpits ist reduziert, ohne – wie im kleinen EX30 – kahl zu wirken. Dafür sorgt das Fahrerinformationsdisplay hinter dem Lenkrad. Ab der zweiten Ausstattungslinie „Plus“ projiziert ein Head-up-Display seine Informationen auf die Windschutzscheibe.
Bis auf die Bedienfelder im Multifunktionslenkrad und einen hochwertigen Dreh-Drücksteller für die Audiofunktionen auf der Mittelkonsole bleibt das Cockpit im EX90 von Tasten und Knöpfen befreit. Die zentrale Steuereinheit ist das hochkant angebrachte Infotainment-Display in der Mittelkonsole.
Grandioses, aber teures Soundsystem
Android Automotive als Betriebssystem liefert mit Google Maps ein stets aktuelles Navigationssystem mit Echtzeit-Verkehrsdaten. Wie der Google Assistent als Sprachsteuerung braucht die Software jedoch eine gute Mobilfunk-Verbindung. Apps wie Musik-Streamingdienste lassen sich über den Play Store ins Auto laden.
Wer das 3.050 Euro teure Soundsystem von Bowers & Wilkins mit 1.610 Watt Ausgangsleistung und 25 im Auto verteilten Lautsprechern ordert, der sollte über eine Quelle für unkomprimierte Musik (also z.B. Tidal statt Spotify) nachdenken. Nur so kann man den Facettenreichtum der formidablen Klanganlage voll auskosten. In den beiden höheren von drei Ausstattungslinien ist serienmäßig ein BOSE-System mit 940 Watt und 14 Lautsprechern an Bord. Auch damit dürfte den meisten Ansprüchen Rechnung getragen werden.
Jetzt schalten wir die Musik aber aus. Denn als Kontrast zur Audio-Kompetenz ist es vor allem die Ruhe, die man im Volvo EX90 genießen kann. Damit meinen wir nicht (nur) den stillen Elektroantrieb.
Eine schwedische Heimat hat der Volvo EX90 - siehe oben - nur dem Markennamen nach, zum ersten Kennenlernen geht es in die USA. Auf den ersten Testfahrten in Kalifornien, wo die Landstraßen und Nebenstrecken südlich von Los Angeles nicht unbedingt zu den Paradebeispielen der Asphaltier-Kunst zählen, dringen auch kaum Abrollgeräusche in den Innenraum – trotz der großen 22-Zoll-Räder des Testwagens. Außerdem bleiben Umgebungsgeräusche, beispielsweise Lkw-Motoren, weitestgehend außen vor.
In Watte gepackt haben die Ingenieure scheinbar auch die bis zu 380 kW (517 PS) des Zweimotoren-Elektroantriebs im Topmodell EX90 Twin Motor Performance. Nach dem Druck auf das Fahrpedal beschleunigt das SUV entspannt und baut erst nach einem Moment mehr Leistung auf. Traditionalisten könnten das mit einem minimalen Turboloch aus der Verbrenner-Welt vergleichen. Im Elektro-Volvo sorgt diese Abstimmung für ein gewohntes Reaktionsverhalten des Autos im Fahralltag.
Wer den Tritt in den Rücken sucht, der klickt auf dem Startbildschirm des Infotainment-Displays einfach auf den „Performance“-Button. Und dann: Holla, die Waldfee! Wie in einer Steinschleuder vorgespannt schnalzen 2,8 Tonnen Masse nach vorne, dem Beifahrer wird flau im Magen. 4,9 Sekunden für Nullhundert? Glaubhaft!
Das hätte man kaum erwartet
Wir verlassen den Küstenstreifen in Laguna Beach und schrauben uns die Berge hinauf. Das Drehmoment von bis zu 910 Newtonmetern (im Performance-Modus) wird an der Hinterachse bedarfsgerecht an die Räder verteilt, die Lenkung gibt ein feinfühliges Feedback über Winkel und Fahrbahnneigung. Auch im Rahmen der US-Tempolimits lässt sich der EX90 hier durch enge Kehren scheuchen, wie man es ihm beim entspannten Reisen über den Freeway gar nicht zugetraut hätte.
Es genügen wenige Kilometer, und du wähnst dich am Steuer eines viel kompakteren Autos – ähnliches gelingt bei den großen SUV sonst vor allem dem Porsche Cayenne. Im grundsätzlich komfortorientierten Volvo überrascht die große Spreizung der Möglichkeiten umso mehr – auf positive Art und Weise.
Lässt man es gemütlicher angehen, schaltet der EX90 in manchen Fahrsituationen, zum Beispiel beim Fahren mit gleichmäßigem Tempo, den hinteren Motor ab. Ohne den Widerstand der mitlaufenden PSM (Permanenterregte Synchronmaschine) wird die Effizienz gesteigert. Bei Bedarf wird sie blitzschnell wieder zum Dienst gerufen. Interessant: Obwohl die "Single Motor"-Version des Volvo EX90 einen Heckmotor hat und die Allradversionen eine zweite Maschine vorne mitbringen, wird der effizientere Zweiradmodus nicht über den hinteren Elektromotor gesteuert.
Auf einer Landstraße mit zunehmendem Rush-Hour-Verkehr bleibt Zeit, die Fahrassistenz auszuprobieren. Die Aktivierung des virtuellen Co-Piloten über einen Zug am rechten Lenkstockhebel, mit dem man auch die Fahrstufen einlegt, ist mittlerweile Geely-Standard. Die Scharfstellung der Systeme wird im Display hinter dem Lenkrad logisch dargestellt.
Neben Kameras und Sensoren thront über der Windschutzscheibe des Volvo EX90 auch eine Ausbuchtung für ein Lidar-System. Damit kann die Software bis zu 250 Meter nach vorne blicken und die Assistenzsysteme entsprechend steuern. Geschwindigkeit und Abstand hält der EX90 zuverlässig. Die Spurführung mit aktivem Lenkeingriff übernimmt das System auch auf kurvigen Strecken mit hoher Zuverlässigkeit, solang man die Hände am Lenkrad lässt.
Wie die Fahrassistenz auf einer deutschen Autobahn funktioniert, kann erst ein späterer Test in heimischen Gefilden klären. Dann wissen wir auch, wie nervig die (von der EU vorgeschriebene) Verkehrszeichenerkennung mit Tempowarnung ist. In den USA werden zwar die Limits zuverlässig im Fahrer-Display angezeigt, eine akustische Warnung ist aber keine Pflicht.
Auch der Check der Ladeleistung wird auf später vertagt. In Verbindung mit Allradantrieb hat der Volvo EX90 einen Akku mit 107 kWh netto nutzbarer Speicherkapazität (111 kWh brutto). Das Grundmodell mit Heckmotor (205 kW Leistung) hat ein Zellmodul weniger und kommt auf 101 kWh netto (104 kWh brutto).
In der heimischen Wallbox oder einer öffentlichen Ladesäule zieht der EX90 Wechselstrom über drei Phasen mit 11 kW. Eine 22-kW-Option, die im Konzern zu haben ist, fehlt noch in Konfigurator und Preisliste. Über den CCS-Anschluss soll am Schnelllader eine Leistung von 250 kW zu erreichen sein. Der Hersteller gibt für den Hub der Akku-Speicherkapazität von zehn auf 80 Prozent eine Zeit von 30 Minuten an.
Bis zu 614 Kilometer Reichweite sollen möglich sein, wenn man den WLTP-Normverbrauch von 20,8 bis 22 kWh je 100 Kilometer zugrunde legt. Wir haben am Ende der zweitätigen Testfahrten, laut Anzeige des Bordcomputers, 23 Kilowattstunden Strom je 100 Kilometer verbraucht.
Der Ü80-Volvo
Der neue EX90 ist nicht nur der größte, sondern auch der teuerste Volvo. Die Preise beginnen beim Basismodell Core mit 205 kW starkem Heckantrieb als Fünfsitzer bei 83.700 Euro. Darüber rangieren die Ausstattungslinien Plus und Core. Adaptive Pixel-LED-Scheinwerfer, eine Soft-Close-Funktion für die Türen, Sitzmassage und eine 360-Grad-Kamera sind erst in der Ultra-Variante Teil der Serienausstattung.
Als Twin Motor Performance mit 380 kW (517 PS) kostet der Volvo EX90 Ultra als Siebensitzer 107.400 Euro. Unser Testwagen, lackiert in der Gratis-Farbe Vapour Grey, bringt neben der Tailored Wool Innenausstattung und dem Zweikammer-Luftfahrwerk auch 22-Zoll-Felgen, erweitertem Fahrassistenz-Paket, getönten Scheiben im Fond und Winterpaket (wichtig wegen der Lenkradheizung) stolze 118.770 Euro.
Das kostet die Konkurrenz.
Zu den Mitbewerbern des Volvo EX90 zählen der BMW iX (ab 77.300 Euro) und der Mercedes EQE SUV (ab rund 83.500 Euro). Auch der Kia EV9 fährt als vollelektrisches SUV im gleichen Segment vor, der Koreaner kostet ab 72.490 Euro. Im Gegensatz zu den deutschen Premium-Modellen und dem EX90 lässt sich der Listenpreis des Koreaners jedoch auch mit Allradantrieb nicht in sechsstellige Regionen bringen. Dafür hinkt der EV9 als Topmodell einer Mainstream-Marke beim Image hinterher, für die feineren Aufgaben steht innerhalb der Hyundai Motor Group die Marke Genesis bereit.
Fazit
Das Warten auf den Volvo EX90 hat sich gelohnt. Fahrwerk, Antrieb und Geräuschkomfort des großen Elektro-SUV liegen auf hohem Niveau. Die Bedienung profitiert von der integrierten Google-Software für Navigation und Sprachsteuerung. iPhone-Nutzer müssen warten, Apple CarPlay wird über ein Over-the-Air-Update nachgereicht.
Zumindest im tempolimitierten Kalifornien bleibt der Stromverbrauch im Rahmen, der große Akku ermöglicht also hohe Reichweiten. Die Preise sind üppig – auch im Konfigurator soll der EX90 also den Premium-Anspruch der Marke Volvo unterstreichen.
Technische Daten
Volvo EX90 Twin Motor Performance |
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Antriebsart | Elektro |
Antrieb | Allradantrieb |
Getriebe | Eingang-Reduktionsgetriebe |
Elektromotor vorn: Maximale Leistung kW | 180 kW (245 PS) |
Elektromotor vorn: Maximales Drehmoment | 420 Nm |
Elektromotor hinten: Maximale Leistung kW | 200 kW (272 PS) |
Elektromotor hinten: Maximales Drehmoment | 490 Nm |
Systemleistung: kW / PS | 380 kW (517 PS), 910 Nm |
Batterie | 107 kWh netto / 111 kWh brutto |
Batterie: Typ | Lithium-Ionen |
Maximale Ladeleistung Gleichstrom (DC) | 250 kW |
Maximale Ladeleistung Wechselstrom (AC) | 11 kW (dreiphasig) |
Beschleuningung 0-100 km/h | 4,9 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 180 km/h |
Norm-Verbrauch kWh / 100 km | 20,8 - 22,0 kWh |
Realer Verbrauch im Testzeitraum kWh/100 km | 23,0 kWh (lt. Bordcomputer) |
Kofferraumvolumen | 324 - 1.955 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Pirelli Scorpion 265/35 R22 v. + 295/35 R22 h. |
Leergewicht | 2.757 kg |
Anhängelast (gebremst) | 2.200 kg (Twin Motor) |
Stützlast | 100 kg |
Dachlast | 100 kg |
Länge / Breite / Höhe | 5.037 / 1.964 / 1.744 mm |
Basispreis Baureihe | 83.700 Euro |
Basispreis Modellvariante | 107.400 Euro |
Testwagenpreis | 118.770 Euro |