Ja, den gibt es noch: Der VW Sharan im Alltagstest.
Der Sinn für das Praktische kommt den Menschen meist unfreiwillig abhanden. Das Diktat des Zeitgeists wirkt stärker, was in manchen Fällen – denken wir an modische Zwangskombinationen von Socken und Sandalen oder Gürteltaschen für den Herren – aus geschmacklicher Sicht ja nicht verkehrt ist.
Auch beim Auto ist eine ähnliche Bewegung zu beobachten. Auf den Kombi, einst vom unschicklichen Handwerkerwagen zum Familienliebling und gar Lifestyleobjekt gereift, folgte der Van. Die Amerikaner fuhren damit schon länger durch die Vorstädte, also auch bei uns die geräumigen Begleiter mit bis zu sieben Sitzplätzen populär wurden, als Krönung auch mit Schiebetüren.
Irgendwann beschlossen dann erst die Marketingabteilungen und später in der Konsequenz auch die Kunden, dass man doch viel lieber SUV fährt. Oder, wenn man denn unbedingt Platz benötigt (oder zumindest glaubt, jedes Wochenende zum Camping aufzubrechen), einen Bus wie den VW T6 oder eine V-Klasse.
Große und kleinere Vans laufen ersatzlos aus. Zafira Tourer, Ford C-Max und andere sind Geschichte, während Renault mit Scenic und Escpace seltsame Crossover-Zwitter anbietet. Ford lässt den Galaxy mit seinem Bruder S-Max einigermaßen uninspiriert weiterlaufen und auch bei VW in Portugal werden sie nicht müde, den Sharan zusammen mit seinem Zwilling Seat Alhambra zusammenzuschrauben.
Kleines Update für 2019
Eine kleine, aber treue Fangemeinde hält die Van-Fahne oben, neun Jahre nach der Markteinführung des aktuellen Sharan dürften die Produktionsanlagen längst mehrfach abgeschrieben und die Margen damit ansehnlich sein. Als letzter Überlebender der Vor-MQB-Ära (neben dem Caddy) halten sich die Aktualisierungsmöglichkeiten des Sharan in engen Grenzen. Für 2019 bekam er einen Notbremsassistenten, Regensensor, Multifunktionslenkrad und einen automatisch abblendbaren Innenspiegel in die Liste der Serienausstattungen diktiert. Ein bisschen Schminke bringt ein „Black Style Paket“.
Grund genug, den VW Sharan im Alltagstest auf Herz und Nieren zu prüfen. Dabei reichen schon zwei, drei Tage im Familienleben, den großen Van nicht mehr missen zu wollen. Integrierte Kindersitze in der zweiten Reihe, wie vieles beim Testwagen optional und gegen Aufpreis zu erhalten, bringen eine ungeahnte Spontanität ins Leben. Mal eben kurz auf dem Rückweg vom Büro oder einer Reise die Kinder abholen? Kein Problem und kein „Ich habe die Sitzerhöhungen nicht dabei“-Umweg.
Auf der Verkehrsfläche eines Mitteklasseautos können zudem nicht nur bis zu sieben Menschen im Sharan sitzen (ja, genau: kostet Aufpreis), fünf davon dürfen sogar auf Isofix-Kindersitzen mitreisen. Die drei gleich großen Einzelsitze im Fond bedingen aber auch eine suboptimale Sitzposition für größere Menschen, da man sehr nah an den Türverkleidungen hockt.
Maximal 2.430 Liter Laderaum
Alternativ kann man auch den halben Hausstand in den 2.430 Liter großen Laderaum hineinwerfen. Steile Seitenscheiben und schlanke Dachpfosten sorgen für eine ungewohnte Rundumsicht, wenn man das nicht raumhoch ausnutzt. Der Bildschirm des in anderen VW-Modellen längst ausrangierten Navigationssystems wirkt etwas klein, kann aber auch ganz modern für Apple CarPlay und Android Auto genutzt werden. Das lässt fehlende Echtzeit-Verkehrsdaten des VW-Navis verschmerzen.
Das Motorenangebot für den Sharan ist mittlerweile stark eingeschränkt. Neben dem 1.4 TSI-Benziner mit 150 PS steht ein gleich starker TDI zu Wahl, außerdem die 177 PS-Ausführung des Diesels. Der steckte, in Verbindung mit Siebengang-DSG und Allradantrieb, im Testwagen und macht den Sharan nochmal mehr zur SUV-Alternative.
Zum Rennwagen wird der große Van auch damit nicht, kommt aber stets souverän nach vorn. Mit der aus dem Heckstoßfänger ausklappbaren Anhängerkupplung (sagte ich es schon? Gegen Aufpreis) kann man auch noch bis zu 2,4 Tonnen schwere Anhänger hinten dranknallen. Als Zugfahrzeug für den Familienurlaub im Wohnwagen macht der Sharan also eine gute Figur.
Große Augen machen dabei die Nachbarn der Parzelle ebenso wenig wie die in der Heimat. Auch das Black-Style-Paket mit Seitendekor, schwarzem Dach, Außenspiegelkappen und Leichtmetallrädern reißt das nicht heraus, zumal im Zweifel seit Jahren ein ähnlich ausstaffierter Seat Alhambra FR-Line um die Ecke parkt.
Fazit zum VW Sharan
Der VW Sharan ist ein Auto für Menschen, die Vorwürfe der Langeweile entspannt weglächeln und sich jeden Tag über neue Facetten ihres Multifunktionstools auf Rädern freuen. Teuer ist er, auch wenn kaum ein Kunde einen Sharan im vollen Testwagen-Ornament für fast 67.000 Euro bestellen dürfte. Andererseits bekommt man auch dafür drei Autos in einem: Einen Transporter, einen SUV-Ersatz mit hoher Sitzposition und Zugkraft sowie einen Kleinbus für den Shuttledienst zum nächsten Kindergeburtstag. Auf Dauer spart die Konzentration auf nur einen Stellplatz natürlich auch irgendwie Geld…
Technische Daten
VW Sharan Comfortline Black Style TDI 4Motion |
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Hubraum | 1.968 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 130 kW / 177 PS |
Max. Drehmoment | 380 Nm bei 1.750 - 3.250 U/min |
Getriebe | 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe |
Höchstgeschwindigkeit | 208 km/h |
Verbrauch real auf 100km | 7,8 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Pirelli Cinturato 225/45 R18 |
Leergewicht | 1.915 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.854 / 1.904 / 1.746 mm |
Grundpreis | 52.570 Euro |
Testwagenpreis | 66.815 Euro |