Erste Fahrt im neuen VW Touareg. Was kann VWs neues Flaggschiff?
Der richtige Aufschlag gelingt nicht spontan aus der Hüfte, sondern setzt ausreichend Vorbereitung voraus. Das wissen natürlich auch die Produktplaner bei VW. Der neue Touareg muss sitzen. Im Feld des Kunden, genau so gespielt, dass die Konkurrenz von BMW (X5) oder Mercedes-Benz (GLE) ihn nicht mehr zurückspielen kann.
Jetzt wurde endlich ausgeholt. Nachdem AUTONOTIZEN im Februar bereits einen noch getarnten Vorserien-Prototypen fahren durfte und der neue Touareg im März erstmals öffentlich gezeigt wurde, sind jetzt Fahrten mit dem Serienmodell möglich.
Die dritte Generation des VW Touareg ist für VW ein sehr wichtiges Auto, obwohl die Modellreihe mit dem Modellwechsel im großen US-Markt aus dem Angebot fliegt. Europa, Asien und der Mittlere Osten sind die Kernmärkte für den Touareg, der vom seinem Start im Jahr 2002 weg geschafft hatten, was dem Phaeton allen ingeniösen Meisterleistungen zum Trotz nie auch nur ansatzweise gelungen ist. Er hat sich als ernstzunehmende Alternative zu den oben genannten Premium-Mitbewerbern etabliert und diese sogar überholt: Über eine Millionen VW Touareg wurden bisher gebaut.
Die neue Generation, die Ende Juni bestellbar ist, startet mit einem 210 kW / 286 PS starken Dreiliter-V6-TDI, der dementsprechend für die ersten Ausflüge bereitstand. Später im Jahr folgen eine schwächere Version des gleichen Motors mit 231 PS und ein 340 PS starker TSI-Benziner. 2019 folgt der Vierliter-V8-TDI mit 421 PS.
Schon auf den ersten Kilometern zeigt sich, dass der große Diesel, der natürlich einen SCR-Katalysator und einen AdBlue-Tank mit sich trägt, nach wie vor der passende Antrieb für den Touareg ist. Obwohl er gegenüber dem Vorgänger je nach Ausstattung um mindestens 106 Kilogramm leichter geworden ist, bewegt sein Fahrer immer noch fast zwei Tonnen (1.995 kg Leergewicht in der Basisversion). 600 Netwonmeter maximales Drehmoment, die über eine Achtgang-Wandlerautomatik des Zulieferers ZF filetiert werden, sorgen aus jeder Situation heraus für anständigen Vortrieb.
Wird der, beispielsweise bei einem Überholvorgang, hastig erwünscht, dehnt sich die halbe Gedenksekunde, die sich das Getriebe vor dem Herunterschalten genehmigt, jedoch unangenehm aus. Dabei ist Agilität für den VW Touareg kein Fremdwort. Die Allradlenkung (wie so vieles optional erhältlich) sorgt für eine ungewohnte Gelenkigkeit des großen Wagens.
Bei Geschwindigkeiten bis 37 Stundenkilometer schlagen die Hinterräder im entgegengesetzten Winkel zu den Vorderrädern ein. Damit verringert sich der Wendekreis um einen auf 11,2 Meter. Beim Rangieren in einer Tiefgarage, aber auch in engen, steilen Kehren macht sich der Touareg damit gefühlt eine Klasse kleiner. Über 37 km/h sorgen die in der Richtung der Vorderachse mitlenkenden Hinterräder für mehr Richtungsstabilität, z.B. beim Wechseln einer Fahrspur. Dass die Lenkung selber dabei eher arm an Rückmeldung und ein bisschen sehr leichtgängig ist, sei auch erwähnt.
Der Testwagen hat das volle Fahrwerkspaket inklusive Luftfederung und aktiver Wankstabilisierung verbaut. Das bedeutet übrigens nicht, dass der Touareg seine Passagiere exakt in der Ebene hält. VW hat vielmehr, dem komfortbetonten Charakter des SUV entsprechend, eine gewisse Neigung in das System hineinprogrammiert.
Die Luftfederung macht den VW Touareg dann zum (Fast-)Alleskönner. Ab einer Geschwindigkeit von 120 km/h senkt es das Fahrzeug um 15 bis 25 Millimeter ab, womit die Aerodynamik verbessert wird. Das Nebeneffektchen: Die Höchstgeschwindigkeit steigt mit dieser Option von 235 und 238 km/h.
Langsamer geht es natürlich abseits der Straße voran. Hier helfen zwei höhere Einstellungen des Fahrwerks, 25 oder 70 Millimeter, weiter. Ausprobiert haben wir das mit einer Wasserdurchfahrt, die der hochgebockte Touareg meisterte. Soll schweres Gepäck mit, kann vom Kofferraum aus das Heck um 40 Millimeter abgesenkt werden, womit die Ladekante niedriger ausfällt.
Voll beladen zeigt sich der VW Touareg auch gerne im Innenraum, hier vor allem im Cockpit. 3.500 Euro Aufpreis verlangt das Innovision Cockpit, das den Touareg laut Hersteller zum „SUV für die digitale Generation“ machen soll. Es besteht aus dem digitalen Cockpit mit 12 Zoll Diagonale und dem neuen Discover Premium – Infotainmentmodul. 15 Zoll misst dessen Bildschirm in der Diagonale. Zu besseren Erreichbarkeit ist er gebogen („curved“).
Die Bedienung ist im Stand schick und modern, während der Fahrt zeigt das System aber Grenzen eines auf Touchscreen basierenden Systems auf. Zu sehr ist man als Fahrer manchmal abgelenkt. Für die Aktivierung der Massagefunktion in Fahrer- oder Beifahrersitz sind beispielsweise mindestens vier Fingertapser nötig. Der erste zielgenau auf das Sitzsymbol (sonst wärmt oder kühlt man ihn, geht also beides auch). Dann auf „Massage“. Und dann muss man noch ein Menu anklicken und anschließend eine aus unzähligen Massagefunktionen aussuchen. Der Flyer meines Physioherapeuten ist weniger umfangreich. Liebling des Autos: „Kreisen Rücken“ – das nur der Vollständigkeit halber.
Vollständig vernetzt ist der Touareg natürlich mit dem großen, digitalen Armaturenbrett. Gestochen scharfe Google Maps – Karten werden mit Echtzeit-Verkehrsdaten versorgt. Das Mobiltelefon läft entweder induktiv kabellos oder wird über Draht für die Nutzung von Apple Car Play und Android Auto angeschlossen.
Weitere 1.300 Euro Aufpreis verlangt das Head-up-Display. Erstmals bei VW spiegelt es die Informationen nicht auf eine kleine Plexiglasscheibe, sondern direkt in das Blickfeld des Fahrers. Diese Option macht vor allem nachts Sinn, wenn man zusätzliche 1.820 Euro in das Nachtsichtgerät namens Night Vision gesteckt hat. Einmal aktiviert zeigt es hinter dem Lenkrad ein ziemlich scharfes, weißes Bild der Frontkamera. Fußgänger oder Tiere am Straßenrand werden orange markiert und damit vom Fahrer erkannt, bevor sie in den Lichtkegel kommen. Auf einer Nachtfahrt hat das auch bei zwei Polizisten, die mit einer mobilen Tempokontrolle auf der Lauer lagen, gut funktioniert.
Verkehrsschilder werden zu später Stunde vom Matrix-LED-Licht (jawohl, Aufpreis: 1.870 Euro), angestrahlt, ohne dass sie zurückblenden. Die dafür zuständigen Einheiten der 75 LED-Pixel je Scheinwerfer werden „entstromt“ und damit abgedunkelt. Aha.
Wenn jetzt noch extra erwähnt wird, dass der VW Touareg des Jahres 2018 natürlich auch adaptiv den Abstand zum Vordermann hält, selber in Parklücken lenkt und einen Querverkehrswarner am Heck mit Bremsfunktion hat, guckt er bestimmt beleidigt und die „digitale Generation“ ob solcher Normalitäten gelangweilt. Er hat sie aber wieder: mit dem Kreuzungsassistenten, der um die Ecke sehen kann (falls das Internet – Start-up -Büro eine unübersichtliche Ausfahrt hat) und einem Baustellenassistenten. Der erkennt verengte Fahrspuren in der Baustelle und passt dann besonders auf. Also dürfen Autos immer größer werden, mit dem richtigen Assistenten kommt man trotzdem am LKW vorbei? Nur, wenn bei dem der Fahrer keine Faxen macht.
Sie merken schon, ziemlich oft wurden Mehrpreise genannt. Auch bei der Möglichkeit zur Individualisierung ist der VW Touareg ganz Premiumprodukt. Da staunt man auch nur kurz, dass der voll ausgestattete Testwagen 104.366 Euro laut Liste kostet. Und das sollte sich bald noch steigern lassen, denn das Panoramadach fehlt ebenso wie – unverständlicherweise – ein Rundum-Kamera-System.
Was nicht fehlt, ist das typische VW-Lenkrad. Womit wir auch bei einem der wenigen Kritikpunkte am neuen Touareg angekommen sind – und was irgendwie zum noch nicht ganz überzeugenden Lenkgefühl passt. Ein Auto für einen sechsstelligen Betrag sollte doch an dem Bauteil, dass der Fahrer ständig in der Hand hat, einen sicht- und fühlbaren Unterschied zum Rest der Modellpalette bereithalten – Kostenkontrolle hin oder her.
Die gelingt aber an der Tankstelle. 8,5 Liter Diesel auf 100 Kilometer hat der VW Touareg auf den Testfahrten laut Bordcomputer geschluckt. Weil da auch einige verbrauchsintensive Rangierfahrten für Fotos dabei waren, ist das ein durchaus beachtlicher Wert.
Wer diese Verbrauchsregionen mit einem Benzinmotor erreichen will, muss noch ein wenig warten. Ob VW den China-Plug-in Hybrid mit 2.0 TSI-Vierzylinder auch nach Europa bringt oder auf die jüngst im Porsche Cayenne E-Hybrid und dem Bentley Bentayga vorgestellte Kombination aus Dreiliter-V6-TSI und Elektromotor favorisiert, wird erst im Oktober entschieden. Vor Sommer 2019 dürfte der Touareg mit Steckdose also nicht zu haben sein.
Unabhängig vom Antriebsmodul unter der Motorhaube zeigt der neue VW Touareg aber schon heute: Ein großer VW war nie moderner und nur selten edler. Diese kleine Phaeton-Nachweinträne darf auch in der Touareg-Predigt erlaubt sein. Trotz Sieg im dritten Satz.
Das ausführliche Video zum neuen VW Touareg findet Ihr unter der Bildergalerie.
Die technischen Daten und Preise findet Ihr nochmals darunter.
Technische Daten
VW Touareg V6 TDI |
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Hubraum | 2.967 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | V6 |
Maximale Leistung kW / PS | 210 kW / 286 PS |
Max. Drehmoment | 600 Nm bei 2.250 - 3.250 U/min |
Getriebe | Achtgang-Automatik |
Beschleuningung 0-100 km/h | 6,1 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 238 km/h (mit Luftfederung) |
Norm-Verbrauch auf 100km | 6,9 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 8,5 Liter (laut Bordcomputer) |
Leergewicht | 1.995 kg (ohne Extras) |
Länge / Breite / Höhe | 4.878 / 1.984 / 1.717 mm |
Grundpreis | 60.675 Euro |
Testwagenpreis | 104.336 Euro (der Braune) / 105.016 Euro (der Blaue) |