Der Wey Coffee 01 im ersten Fahrbericht mit Video-Review.
Man stelle sich vor, die Armbanduhr ist stehengeblieben (und man hat kein Smartphone). Also kommt man zur Party, als die Musik gerade ausgeht, die letzten Gäste gehen und der Putztrupp loslegen will. Dieses Bild lässt sich spontan auf die Marke Wey übertragen. Das Premium-Label des chinesischen Konzerns Great Wall Motors präsentierte auf der IAA Mobility im September 2021 SUV als Plug-in Hybride. Lockdowns, Lieferkettenprobleme und andere Umstände haben den für das gleiche Jahr geplanten Marktstart in Deutschland massiv verschoben.
Der Wey Coffee 01 im Video
Jetzt soll es im Januar 2023 so weit sein. Gerade dann, wenn bei uns die Kaufprämie für elektrifizierte Verbrenner ausgelaufen ist und nur der Vorteil bei der Versteuerung von Firmenwagen übrigbleibt. Privatkunden, die bisher wegen der Umwelt- und Innovationsprämie mit dem Stecker-Hybriden ein Schnäppchen machen konnten, gehen in dieser Hinsicht leer aus. Schlechtes Timing für Wey? Das wird sich zeigen.
Unabhängig vom Antriebskonzept will Wey mit Produktattributen punkten, die auch die Volkswagen-Tochter Skoda erfolgreich gemacht haben. Der Wey Coffee 01 und sein bald startender kleiner Broder Coffee 02 sind innen und außen größer als die direkten Mitbewerber, parken also zwischen den Klassengrenzen. Dazu sollen sie mit einer umfangreichen Ausstattung zum relativ günstigen Preis um Kunden werben. „Smart Premium“ nennen die Chinesen ihren Anspruch.
Primärer E-Antrieb an der Hinterachse
Nach statischen Präsentationen und einer Mitfahrgelegenheit konnten wir jetzt erstmals selbst hinter das Steuer des Wey Coffee 01. Die Neugier war groß. Kann das geräumige SUV sein Reichweitenversprechen einlösen? Dank einem 41,8 kWh großen Lithium-Ionen-Akku, von dem 39,7 kWh netto nutzbar sind, sollen nach WLTP-Norm bis zu 146 Kilometer Reichweite möglich sein. Drei Motoren kümmern sich um den Vortrieb.
Der primäre Elektromotor sitzt an der Hinterachse und leistet bis zu 135 kW (184 PS). Die Maschine an der Vorderachse steuert weitere 110 kW (150 PS) dazu. Der zwei Liter große Vierzylinder-Benziner mit 150 kW / 204 PS, der nach dem verbrauchsoptimierten Miller-Circle-Verfahren arbeitet, stellt den Verbrenner-Anteil dar. Systemleistung (350 kW / 476 PS) und Kraft (847 Newtonmeter) werden von einem 9-Gang-Doppelkupplungsgetriebe verwaltet.
Erste Fahrt im Wey Coffee 01
So viel zur Theorie. Am Flughafen Lissabon steht der Wey Coffee 01 bereit. Laut Anzeige auf dem 9,2 Zoll großen Display hinter dem Lenkrad ist der Akku zu 98 Prozent geladen, die elektrische Reichweite errechnet der Bordcomputer überraschend mit 147 Kilometern. Diesen Wert errechnet die Software aus einer noch dünnen Erfahrung, der Testwagen hat erst etwa 500 Kilometer „auf der Uhr“.
Über den, leider etwas trägen, Touchscreen im üppigen 14,6-Zoll-Format, wird der EV-Fahrmodus ausgewählt. Beim Ausparken und Rangieren im Parkhaus hilft die serienmäßige 360-Grad-Kamerarundumsicht mit „durchsichtigem“ Chassis. So lassen sich auch im täglichen Umgang Kratzer an den 21-Zoll-Felgen vermeiden.
Im dichten Verkehr der portugiesischen Hauptstadt zeigt das – ebenfalls serienmäßige – Head-up-Display mit AR-Inhalten den Weg. Die beweglichen Pfeile zeigen die richtige Ausfahrt im Kreisverkehr klar und deutlich an. Das funktioniert besser als die Anzeige in aktuellen Modellen des Volkswagen-Konzerns.
Auf der Autobahn soll der Wey Coffee 01 bis zu 135 km/h rein elektrisch fahren können. Das Assistenzpaket kümmert sich um die Steuerung von Abstand, Tempo und Spur. Die letztgenannte Disziplin erfordert aber noch ein paar Stunden im Trainingslager. Trotz einer Vielzahl von Kameras und Sensoren treibt der individuelle Wachhund das Auto erst bis an und teils über die Fahrbahnmarkierung, bevor eingegriffen wird.
Dominante Fahrerüberwachung
Umso hyperaktiver ist die Fahrerüberwachung mittels Kamera an der A-Säule. Es reicht schon ein Blick auf die Navigationskarte, um einen mahnenden Sprachbefehl zu erhalten. In Kreisverkehren und an Kreuzungen schaltet der Routenführer außerdem zu oft die Seitenkameras hinzu, deren Einblendung verdeckt die Darstellung auf der Karte.
Deutlich ausgewogener wirkt das Fahrwerk. Auf welligen Landstraßen zeigen sich die Dämpfer, die je nach Fahrmodus adaptiv ihren Charakter ändern, ihre Schluckfreudigkeit. Dabei wird auch ein unangenehmes Nachschwingen verhindert. In Kurven neigt sich der Coffee 01 aber teils stark zur Seite. Dann merkt man, dass die Vordersitze etwas wenig Seitenhalt bieten. Außerdem dürfte die Lenkung um die Mittellage herum gerne mehr Feedback geben.
Viel Platz im Fond
Das Platzangebot ist vor allem Fond im sehr gut, sowohl für die Beine als auch für die Köpfe der Passagiere – trotz Schrägheck und Panorama-Glasschiebedach. Die Insassen standen bei der Entwicklung auch ganz vorne im Lastenheft – das zeigt der mit 371 Litern überraschend kleine Kofferraum. Schade: Ein spezieller Platz für die Ladekabel ist nicht vorgesehen, obwohl Plattform und Auto von vornherein speziell als Plug-in Hybrid entwickelt wurden. Ein Unterflurfach als Kellerabteil fehlt, da der Bauraum hier von der elektrifizierten Hinterachse beansprucht wird.
Fahrzeugdefekt verhindert Reichweitentest
Was ist denn nun mit der elektrischen Reichweite? Aufgrund eines technischen Defekts am Testwagen konnten wir die leider nicht herausfahren, das Auto musste gewechselt werden. Der zweite Wey, eigentlich nicht für Probefahrten vorgesehen, hatte einen leeren Akku. Um diesen aufzuladen, kann man am Schnelllader über CCS 50 kW Leistung erreichen. Wechselstrom wird dreiphasig mit 11 kW geladen.
Zumindest können wir am Ende des Tages erfahren, dass der Wey Coffee 01 beim Betrieb als Verbrenner mit kleiner Unterstützung der E-Maschinen (wenn genug Energie rekuperiert wurde), 9,2 Liter Benzin auf 100 Kilometer verbraucht. Kein Ruhmesblatt. Dazu muss man aber wissen, dass der Chinese in der Luxury-Ausstattung üppige 2.365 Kilogramm wiegt. Immerhin kann attestiert werden, dass der Vierzylinder-Benziner nie übermäßig laut wird. Auch das Zusammenspiel der einzelnen Motoren wirkt gekonnt, nichts ruckelt beim Übergang.
An den Schaltpaddels am Lenkrad kann man durch die neun Gänge des von Great Wall Motors selbstentwickelten Doppelkupplungsgetriebes flippern. Für die Energierekuperation muss aber ein Untermenü auf dem Touchscreen bemüht werden. Die drei einstellbaren Stufen unterscheiden sich aber gefühlt nicht.
Es ist noch Feinschliff nötig
Einer von mehreren Punkten, der bis zur Auslieferung der Kundenfahrzeuge noch verbessert werden sollte. Apple CarPlay und Android Auto sollen erst später einziehen. Man kann also nur hoffen, dass auch diese – heutzutage wichtigen – Infotainment-Funktionalitäten „over the air“ als Update eingespielt werden können. Fix ist die Position des Neun-Zoll-Touchscreens zur Klimabedienung. Das Display liegt etwas zu weit hinten, um blind bedient werden zu können. Zudem sind die Icons für Sitz- und Lenkradheizung sehr klein. Man muss also lange hinsehen und – wer ahnt es schon? – wird umgehend vom Aufmerksamkeitsassistenten ermahnt.
Das kostet der Wey Coffee 01
Die Positionierung von Marke und Modell zeigt sich beim Preis. Trotz des üppigen Formats ist der Wey Coffee 01 günstiger als viele kleineren SUV-Konkurrenten. Was nicht gleichzeitig heißt, dass das Auto ein Schnäppchen ist. 55.900 Euro kostet die Premium-Ausstattung. Die Fahrassistenz bis hin zum Parklenkassistenten (der im Testwagen auch noch nicht funktionierte), Head-up-Display und 21-Zoll-Felgen sind serienmäßig.
Der Wey Coffee 01 Luxury bringt für 59.900 Euro zusätzlich die Augmented-Reality-Erweiterung des Head-up-Displays, eine Alcantara-Innenausstattung, Sitzmassage vorne und das Panoramadach mit. Auch ein Filtersystem zur Reinigung der Luft im Innenraum ist an Bord. Ob die Software davon Schuld daran ist, dass es im Testwagen immer entweder zu kalt oder zu heiß ist?
Vertrieb, Service und Wertverlust
Der chinesische Newcomer vertreibt seine Autos im Agentur-Modell. Das heißt, dass die vom Partner Emily Frey betriebenen Standorte Probefahrten und Service anbieten, die Kaufverträge für die Autos aber direkt mit dem Hersteller abgeschlossen werden. Somit sollen Fixpreise ohne Rabattschlachten ermöglicht werden. In Deutschland sollen als erster Schritt 60 Wey-Stützpunkte eröffnet werden. Neben Berlin wird es auch in anderen Großstädten Flagship-Stores, von Wey „Brand Experience Center“ genannt, geben.
Aktuell kann man den Coffee 01 über eine App konfigurieren. Sie soll in Zukunft zur Kundenbindung eingesetzt werden. Die „Community“ kauft dann, wenn es nach den Vorstellungen von Great Wall Motors geht, hier auch Merchandising-Artikel und Autos.
Wenn die angesprochene Preisbindung im Handel funktioniert, kann der mögliche Wertverlust schon vorab recht genau kalkuliert werden. Ein wichtiger Indikator als Grundlage zur Berechnung von Leasing- und Finanzierungsraten. Das Unternehmen Schwacke stellt für den Coffee 01 Luxury, Angaben von Wey zufolge, nach drei Jahren und 60.000 Kilometern einen Restwert von 54,1 Prozent des Neupreises (also gut 32.400 Euro) in Aussicht.
Bleibt er ein Solist?
Kurz nach dem Marktstart des Wey Coffee 01 wird mit dem Coffee 02 ein kompakterer Bruder nachgereicht. Die Marke wird ihre Autos also chronologisch durchnummerieren. Der 02 kommt mit kaum kleinerem Akku und auch als Einstiegsvariante mit nur einem Elektromotor im Hybridverbund als Fronttriebler. Eine [erste Sitzprobe]() zeigte auf, dass der kleine Bruder kaum weniger Platz im Innenraum bietet als der 01.
Die Strategen der Marke verraten im Gespräch zudem, dass sich Wey in Zukunft nicht nur auf SUV konzentrieren wird. Denkbar ist also auch eine Limousine im Premium-Segment. Nach dem Start mit Plug-in Hybriden sind zudem auch reine Elektroautos zu erwarten. An der Technologie für Wasserstoff-Brennstoffzellen wird ebenfalls gearbeitet.
Fazit
Der Wey Coffee 01 ist ein geräumiges und komfortables Auto. Zumindest in Deutschland kommt der Plug-in Hybrid trotz hoher Reichweite für viele Schnäppchenjäger aber zu spät. Die Förderparty ist vorbei. Im Gegensatz zur Konkurrenz kann das Timing immerhin durch - verhältnismäßig - günstige Preise ausgeglichen werden.
Bis zum Markstart sollten aber einige Funktionen wie der Spurhalteassistent und die Temperaturkontrolle der Klimaautomatik verbessert werden, damit aus den ersten Kunden keine frustrierten Beta-Tester werden.
Technische Daten
Wey Coffee 01 Luxury |
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Antrieb | elektrischer Allradantrieb |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 150 kW (204 PS) |
Getriebe | 9-Gang-Doppelkupplungsgetriebe |
Elektromotor vorn: Maximale Leistung kW | 110 kW (150 PS) |
Elektromotor hinten: Maximale Leistung kW | 135 kW (184 PS) |
Systemleistung: kW / PS | 350 kW / 476 PS, 847 Nm |
Batterie | 41,8 kWh (netto nutzbar 39,7 kWh), Lithium-Ionen - WLTP-Reichweite 146 km |
Maximale Ladeleistung Gleichstrom (DC) | 50 kW |
Maximale Ladeleistung Wechselstrom (AC) | 11 kW (dreiphasig) |
Beschleuningung 0-100 km/h | 5,0 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit elektrisch | 135 km/h |
Höchstgeschwindigkeit | 235 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 0,4 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 9,2 Liter im Sport-Modus (lt. Bordcomputer mit Verbrenner) |
Leergewicht | 2.365 kg |
Anhängelast (gebremst) | n/a (noch in Homologation) |
Länge / Breite / Höhe | 4.870 / 1.960 / 1.690 mm |
Grundpreis | 59.900 Euro (Luxury) |
Testwagenpreis | 62.400 Euro |