Die Motorpresse bringt wieder einen "Auto Katalog"
Sachen gibt’s. Jetzt schreibe ich als Blogger einen Text über ein Printprodukt. Im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte und ohne Schizophrenie-Diagnose.
Weil ich mich freue, das Kind im Manne wieder herauskommt. Warum? Ich war im Supermarkt. Noch mal schnell was besorgen. Und in guter alter Tradition nehme ich auf dem Weg zur Kasse in Höhe des Zeitschriftenregals immer ein bisschen Fahrt aus dem Einkaufswagen. Und da fiel er mir ins Auge.
Wie aus dem Nichts stand er vor mir im Regal. Der „Auto Katalog“ der auto motor und sport, Modelljahr 2016. Und jetzt erzähle ich, warum ich davon erzähle.
Mein erster Kontakt mit der jährlichen Auto-Enzyklopädie des deutschen Kindes (der jährliche Katalog der „Auto Revue“ aus der Schweiz war und ist im normalen Pressehandel hier nämlich nicht erhältlich) war 1985, ich war acht Jahre alt. Modelljahr 1986 hieß der Katalog damals. 1.800 Autos waren darin, sortiert nach Marken und Ländern. Erst Deutschland, dann DDR (!), danach sämtliche Länder auf der Welt mit eigener Automobilproduktion. Schon als Kind war das Schmökern darin der bestmögliche Zeitvertreib. Klar ist es natürlich fraglich, was einem Achtjährigen detailliertes Wissen des Fiat-Modellprogramms in Argentinien bringt.
Jedes Jahr Anfang September kam der neue „Auto Katalog“, in den 90ern dann auch durchgehend farbig. Jedes Jahr habe ich mir Anfang September brav mein Exemplar gekauft. Als Kind vom Taschengeld lange geplant, später spontan.
2014 war ich dann etwas irritiert. Die Motorpresse verkündete auf Nachfrage, dass es keinen „Auto Katalog“ mehr geben wird. Bei aller Trauer war das sofort verständlich. In einer Zeit des Internets (puh, endlich kommt die Brücke zu meinem Blog!) hat man auf Mausklick alle Informationen vor der Nase. Volkswagen Brasilien? Holden Australien? Proton Malaysia? Einfach die entsprechenden Websites suchen und besuchen.
Man muss halt nur wissen, wo man sucht. Und hier kommt das Problem. Den nein Werk wie der „Auto Katalog“ lässt einen auch Marken, Modelle und Märkte finden, über die man mit gezielter Suche im WWW nicht gestolpert wäre. Dieses Blättern, Schmökern, Beiseitelegen und dann wieder von vorne anfangen macht es aus.
Und das wichtigste: Klar kann ich im Internet in den Gebrauchtwagenbörsen auf Youngtimersuche gehen: Alle Autos bis Baujahr 1986. Aber was ich nur beim Schmökern in meiner brav sortierten „Auto Katalog“-Sammlung (1985-heute, ohne Modelljahr 2015 J) entdecken kann, sind Modelle, die heute schon zu rar sind, Informationen über Modellpaletten, ein Abbild der Konkurrenz- bzw. Marktsituation damals. Vielleicht doch Omega statt Scorpio. Oder: gibt es überhaupt noch einen intakten Fiat Regatta? Randgruppenforschung in der Vergangenheit.
Deswegen meine Schnappatmung im Supermarkt. Ohne Vorankündigung liegt er da, wie ich erfahrn habe mit EVT (für alle Digital Natives: Das bedeutet „Erstverkaufstag“) 1. Dezember 2015. Und daher top aktuell. Dieses späte Erscheinen macht viel mehr Sinn als der September. Zum einen können alle Neuigkeiten der Automessen in Frankfurt, Tokio und Los Angeles eingepflegt werden, zum anderen bietet die ruhige Advents- und Weihnachtszeit doch viel mehr Lesezeit und somit Käuferpotenzial.
Und die Käufer werden es auch richten müssen. 255 Seiten zählt das Heft, darin keine einzige bezahlte Anzeige (nur Eigenwerbung des Verlages). Das lässt die Entscheidung aus 2014, den „Auto Katalog“ einzustellen, verständlich erscheinen. Und zollt den Verantwortlichen umso mehr Respekt, dieses Produkt heutzutage doch wieder erscheinen zu lassen.
Meinen „Auto Katalog“ habe ich brav gekauft und selbst bezahlt, ziehe also aus dieser Ode an ein Presseerzeugnis keinerlei Vorteil. Aber Nutzen: Entspannte Leseabende. Und Ärger: Über das Eselsohr auf der Titelseite, dass ich gleich hineingeknickt habe. Das kann natürlich mit einer Website nicht passieren.
Text und Fotos: Bernd Conrad