Reise und Verkehr: Singapur Der 10-Jahres-Plan

Automobile Beboachtungen aus dem Stadtstaat Singapur.

Um in eine andere Welt einzutauchen, bedarf es einem Zeitinvestment von knapp 12 Stunden. Die sind nötig, um nach dem Start in München im Stadtstaat Singapur aus dem Flugzeug zu steigen. Schon am Flughafen empfängt einen die Republik Singapur, das ist der offizielle Name der Stadt mit ca. 5,5 Millionen Einwohnern, bombastisch. Endlose Gänge, fußballfeldgroße Werbeplakate von Alibaba (dem chinesischen Internetgiganten) und eilige Menschen stehen im Kontrast zum freundlich lächelnden Zollbeamten, der einem nach dem Stempel im Pass sogar noch Bonbons aus einer Schale am Tresen anbietet.

Reise und Verkehr: Singapur

Das Taxi, das mir zugewiesen wird, ist ein Chevrolet Malibu. Der Innenraum ist mit kleinen Transformers-Signets überhäuft – General Motors hatte im Rahmen seines Product Placements entsprechende Sondermodelle auf den Markt gebracht. Nachdem wir nicht zum Autobot transformiert, sondern im Sollzustand das Hotel erreichen, beginnt die Entdeckungsreise.

Eines vorab: Singapur ist nicht so sauber, wie man sich das nach Geschichten immer vorstellt. Nein, es ist viel sauberer!

Reise und Verkehr: Singapur

Selbst in den Ecken einer beliebigen U-Bahn-Station könnte man getrost vom Boden essen. Zur Sauberkeit kommt die unbedingte Ordnung der Menschen, niemand hetzt oder ist laut. Man wähnt sich ein bisschen in einem Science Fiction-Film. Das dystopische Element daran zeigt sich in Form der vorherrschenden Verbotsschilder (Essen und Trinken, das Mitführen von Haustieren etc. – alles in öffentlichen Verkehrsmitteln verboten) und der allgegenwärtigen Überwachungskameras.

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Auch der Straßenverkehr unterliegt dem wachen Auge der Obrigkeit. Der Vorteil: Trotz der beengten Platzverhältnisse in Singapur sind größere Staus aufgrund eines ausgeklügelten Verkehrsleitsystems selten. Die Autofahrer folgen dem Vordermann entspannt, niemand hupt oder drängelt. Anfangs ungewohnt ist es auch, wenn man an einer Unterführung steht und dort nicht einmal die Fahrer eines Ferrari oder eines Ducati-Motorrades aufs Gas gehen, um sich den Motorsound von den Betonwänden um die Ohren hauen zu lassen. „Nur nicht negativ auffallen“ lautet da Motto.

Das gilt auch für das Auto als Statussymbol. „Wenn Du ein Mädchen kennenlernst, schaut sie zuerst auf Dein Auto“, erzählt mir ein Einheimischer, „da brauchst Du schon ein deutsches Fabrikat, um zu zeigen, dass Du Geld hast“.

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Wobei man Geld für alles braucht in Singapur. Für Autos erst recht. Um den Verkehrsinfarkt einzudämmen, versteigert die Regierung die Zulassungsgenehmigungen namens COE (Certificate of Entitlement).

So ein COE kostet zurzeit für Fahrzeuge bis 1,6 Liter Hubraum ca. 60.000 Singapur-Dollar (umgerechnet ca. 40.000 Euro), über dieser Motorgröße aktuell um die 90.000 Singapur-Dollar (ca. 60.000 Euro). Kein Wunder also, dass ein Mini in Zeitungsanzeigen für 126.800 Singapur-Dollar (84.000 Euro) als Schnäppchen angeboten wird.

In Singapur gibt es zwei Autozeitschriften, die in jeder Ausgabe die aktuellen Fahrzeugpreise auflisten. Bei vielen Autos, vor allem im Luxussegment, werden diese aber nicht kommuniziert. Der Staat langt hier nochmals zu und erhebt höhere Einfuhrzölle. „Ein Lamborghini Aventador oder auch ein Rolls-Royce Phantom kostet dann schon mal 3 Millionen Singapur-Dollar“, erfahre ich vom Portier des Hotels. Der nebenbei gerade Koffer in einen ebensolchen Rolls hebt.

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Das COE gilt übrigens nur zehn Jahre. Es ist an das Auto gebunden, ein Gebrauchtwagen verliert also umso mehr an Wert, je kürzer die Restlaufzeit des Kennzeichens ist. So kommt es auch, dass in Singapur keine alten Autos auf den Straßen zu sehen sind, die Gebrauchtwagen werden dann ins benachbarte Ausland, z.B. nach Malaysia, verkauft.

Ein Taxifahrer rechnet mir vor: „Mit dem COE, Steuern und dem Autopreis spare ich 10 Jahre lang von der Neuzulassung des einen Autos bis zum nächsten Auto jeden Monat Geld an, um dann wieder ein Auto kaufen zu können.“ Er fährt eine Mercedes E-Klasse, immerhin kostet ihn der Spaß um die 200.000 Singapur-Dollar. Überraschen ist, dass die Taxifahrten selbst relativ günstig sind, die Tarife liegen ca. 25% unter den Taxipreisen in Deutschland.

Wird dafür rund um die Uhr gefahren? Nein, hier zeigt sich der asiatisch-geprägte Respekt auch vor Maschinen: Sein Bruder und er teilen das Auto zwar, aber "wir lassen den Wagen jeden Tag mindestens vier Stunden ruhen. Das braucht das Auto zur Entspannung." Übrigens: Die E-Klasse im absoluten Neuwagenzustand (und mit ebensolchem Geruch) hat, knapp 4 Jahre alt, 380.000 Kilometer auf dem Zähler. Wen man da an halb vergammelte Taxi-Kutschen in Deutschland denkt...

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Im Fond des Taxis fallen mir, es ist Samstagnacht, einige Autos mit roten Kennzeichen auf. Mein Chauffeur vorne rechts im Taxi (in Singapur herrscht Linksverkehr) weiß auch hierfür eine Erklärung. Hierbei handelt es sich um sogenannte Wochenend-Autos. Mit dem roten Kennzeichen darf man nur am Wochenende und unter der Woche zwischen 19 Uhr und 7 Uhr morgens fahren. Damit stehen diese Autos nicht im Rush-Hour-Stau und dafür zahlt man weniger Steuern. Gut also für Menschen, die mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ins Büro fahren, oder die – typisch Singapur – genug Geld haben, um sich ein Spaßauto für die Wochenenden zu leisten.

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Was im futuristischen Singapur irritiert: Elektromobilität oder alternative Antriebe finden kaum statt. Ein paar Toyota Prius mischen sich in Taxiflotten unter die Heerscharen von Chevrolet und Hyundai, zudem habe ich in fünf Tagen ein Tesla Model S gesehen. Aber gewiss 20 Bentley und ebenso viele italienische Sportwagen. Die alle wie gesagt mit ruhigem Fuß auf dem Gaspedal bewegt wurden.

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Text: Bernd Conrad
Bilder: Bernd Conrad