Der Abarth 600e leistet bis zu 207 kW (280 PS). Alltags-Test mit Video-Review.
Abarth, innerhalb des Stellantis-Konzerns als sportliche Schwestermarke von Fiat scheinbar zu allem bereit außer Kompromissen, wächst. Mit dem Umstieg auf Elektroautos gilt das zumindest für das Modellprogramm, das vom 595/695-Doppel auf Basis des bisherigen Fiat 500 jetzt auf zwei Baureihen ausgedehnt wird. Und auch für das Format eines der aktuellen Modelle. Neben dem Abarth 500e rollt jetzt der 600e an den Start. Ganz zeitgeistig als kleines SUV und weit von der Idee entfernt, auf möglichst kleiner Verkehrsfläche maximalen Krawall zu veranstalten.
Der stärkste Abarth aller Zeiten
Dafür stecken die Ingenieure ihm einen anderen Superlativ unter das fünftürige Karosseriekleid, das vom Fiat 600e stammt. Mit bis zu 207 kW (280 PS) ist der 600e der leistungsstärkste Abarth aller Zeiten. Diese Ausbaustufe des Elektromotors, so auch im technisch eng verwandten Alfa Romeo Junior Elettrica Veloce zu finden, gehört zum Sondermodell Abarth 600e Scorpionissima. Die Grundversion mit dem Namen Turismo ist auch nicht ärmlich motorisiert, hier kommt die Maschine auf 176 kW (240 PS). Die Auflage des 600e Scorpionissima ist auf 1.949 Exemplare limitiert, eine Hommage an das Gründungsjahr des Unternehmens durch Carlo (Karl) Abarth im Jahr 1949.
Der Abarth 600e im Video
Die 4,19 Meter lange Kompakt-Crossover-Karosserie wird nur beim Scorpionissima im Farbton „Hypnotic Purple“ lackiert (Acid Green steht ebenfalls zur Wahl). Je nach Lichteinfall changiert die Farbe zwischen Blau und Lila, zeigt dabei mal einen leichten Grün- oder einen Rotstich. Hypnotisierend? Nicht unbedingt, auf jeden Fall bemerkenswert und interessant. Die Lackierung harmoniert überraschend gut mit den Acid-grünen Details wie die Skorpion-Logos an den Felgen und Kotflügeln (mit Energieblitz als Zeichen des Elektro-Zeitalters) und den ebenso lackierten Sätteln der Hochleistungsbremse. Voluminöse Stoßfänger mit schwarzen Verblendungen an Front und Heck tragen ebenso dick auf wie der Abarth-Schriftzug an den Flanken und die mächtigen 20-Zöller.
Innen packen dich Sabelt-Sportsitze, Teil der Scorpionissima-Ausstattung, in ihren Mikrofaser-Griff. Das Gestühl trägt mit seinen festen Schalen dick auf, reduziert den ohnehin schon knappen Fond-Beinraum der 600er-Basis weiter. Nach vorne blickst Du auf das Fiat-Cockpit mit eingraviertem Abarth-Schriftzug in der Deko-Blende, ein Lenkrad mit Mikrofaser-Einlagen und 12-Uhr-Markierung sowie ein markenspezifisches Layout der digitalen Instrumente.
Sonderserie mit Soundgenerator
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Auf dem 10,25 Zoll großen Infotainment-Touchscreen lassen sich virtuelle Zusatzinstrumente einblenden, außerdem ein Lap Timer starten. Wer mag, kann hier auch den „Soundgenerator“ aktivieren. Den kennt man vom Abarth 500e, zumindest vom Prinzip. Im Gegensatz zum nervigen Dauerhochton des kleinen Dreitürers sorgt der große Außenlautsprecher am 600er-Boden für ein hörbar künstliches Bollern, dessen Frequenz beim Beschleunigen ansteigt. Damit kann man auch im Stand mit der scheinbaren Drehzahl spielen, beim Stopp des Autos bratzelt der nicht vorhandene Auspuff noch kurz nach. Zu sehen und zu hören ist das im Video.
Auch wenn der Soundgenerator ist ganz so irre klingt wie im Abarth 500e, so dürfte sich seine Arbeit im Alltag mit dem großen Bruder auch eher auf „Hat man halt mal ausprobiert“-Momente beschränken. Denn mal wieder gilt: Ein Elektroauto mit künstlichem „Seht her!“-Sound ist und bleibt eher peinlich. Zumal dann, wenn sich der erzeugte Klang nicht mit künstlichen Drehzahlsprüngen über Schaltwippen am Lenkrad ins Gehör Gaming-affiner Fahrer bei einem Track Day hämmern lässt.
Ein Pirelli-Problem?
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Eine Rundstrecke, genauer das herstellereigene Testzentrum im italienischen Balocco, diente vor einigen Wochen als Kulisse für erste Fahrberichte zum Abarth 600e. AUTONOTIZEN war damals leider terminlich verhindert. Umso lieber nutzen wir jetzt die Gelegenheit zum Check des Sportlers im Alltag. Saisonbedingt rollt der Italiener auf Winterrädern (Pirelli Sottozero) an.
Ein Kurvenkünstler ohne Traktionsverluste soll der Abarth 600e sein, haben wir mehrfach gelesen. Die Sommer-Michelins verzahnen sich mit dem Asphalt, das mechanische Torsen-Sperrdifferenzial an der Vorderachse leistet ganze Arbeit. Letzteres können wir bestätigen, den Rest nicht.
„Vollstrom“ aus dem Stand bei trockener Straße, warmen Pirellis und rund sieben Grad Außentemperatur – von den versprochenen 5,9 Sekunden für den Spurt auf 100 km/h sind wir weit entfernt. Die 345 Newtonmeter Drehmoment, die in den beiden Fahrmodi Scorpion Street und Scrorpion Track anliegen (die volle Leistung nur im Track-Modus) überfällt die Vorderräder. Bis über 70 km/h hat die Traktionskontrolle alle Hände voll zu tun, kann immensen Gummiabrieb dennoch nicht verhindern. Auch volles Beschleunigen aus rund 25 bis 30 km/h Ausgangsgeschwindigkeit wird mit wischenden Reifen quittiert. Das mag an den Winterreifen liegen, nachstellen lässt sich diese Überforderung auf unterschiedlichen Untergründen.
Was bestätigt werden kann ist die Kurvengier des 600e. Wenn man das Tempo so hält, dass der Grip passt, lenkt der eher große Kleine präzise ein. Das Lenkgefühl am Mikrofaser-Kranz erinnert direkt an den Porsche Cayenne. In engen Kehren drückt der Abarth das Heck kontrollierbar nach außen und sorgt für hohen Fahrspaß – bis er dann eben anfängt, über alle viere sanft nach außen zu rutschen. Die E-Maschine hängt dabei stets gut am Fahrpedal und hilft, den 600e wieder auf Spur zu bringen.
Die großen Räder sehen am kompakten Crossover schick aus, bedingen aber kurze Federwege. Übersetzt: Plötzlich merkst du, wie viele Gullideckel auf deiner Haustrecke im Asphalt eingesetzt wurden. Über diese, in den meisten anderen Autos diesseits des Dallara Stradale nicht bis kaum spürbaren, Kanten prügelt der Abarth 600e ohne Gnade drüber, reicht den Schlag direkt in den harten Sitz und somit ans Steißbein des Fahrers weiter. Ähnlich unverblümt erfährst du mehr über Querfugen und Fräskanten im Straßenbelag.
Abstecher auf die Autobahn. 200 km/h wird der Abarth 600e bei Bedarf schnell, bei weniger freier Strecke hilft die einfach zu bedienende und zuverlässig arbeitende Fahrassistenz beim Halten von Tempo, Abstand und Spur. Egal ob Richtgeschwindigkeit 130 oder schneller – einmal mehr zeig sich, dass ein Abarth Kurvengetümmel lieber mag als Autobahn-Langstrecke. Auch hier ist die Karosserie, bedingt durch nicht aufhörende Anregungen aus den Radkästen, ständig in Bewegung.
Verbrauch und Ladeleistung
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Allzu lange muss man das aber nicht mitmachen. Denn schnell mahnt die Reichweitenanzeige zum Boxenstopp. 51 netto nutzbare Kilowattstunden Strom passen in den Lithium-Ionen-Akku. Diese Größenordnung ist bekannt, der Abarth 600e nutzt die eCMP-Plattform des Stellantis-Konzerns. 18,9 kWh davon sollen alle 100 Kilometer in Vortrieb umgewandelt werden, zumindest nach WLTP-Norm. Die Reichweite gibt Abarth mit 315 bis 344 Kilometer an.
Kurzgefasst: Die Strecke ist im Alltag nicht zu schaffen. Auch bei entspannter Fahrweise im Überlandverkehr ohne Autobahn pendelt sich der Stromhunger bei 23,6 kWh je 100 Kilometer ein. Nach 206 Kilometern ist die Energie verbraucht, schon vorher rollt man an die Ladesäule. Ein Radius, denn bald auch in Europa Plug-in Hybride schaffen dürften.
Über den CCS-Anschluss fließt Gleichstrom mit maximal 100 kW. Im kühlen (aber nicht zu kalten) Winterwetter, bei dem der Akku des Abarth kaum auf Temperatur kommt, sind bei mehrfachen Versuchen maximal 85 kW drin. Nach einem kurzen Peak fällt die Ladekurve zudem schnell ab, bei 80 Prozent Füllstand lässt man es dann stets freiwillig sein – was die Reichweite bis zur nächsten Pause weiter verknappt. Zuhause zieht sich der 600 Wechselstrom über drei Phasen mit 11 kW aus der Wallbox, hier benötigt er über fünf Stunden für eine vollständige Ladung. Kleinlich: Das Typ-2-Ladekabel kostet 410 Euro Aufpreis.
Teuer? Ja!

Damit kommen wir zu den Zahlenspielen, schrauben uns dabei ordentlich in die Höhe. Eines vorweg: Aus rein rationalen Gründen hat man bisher keinen Abarth gekauft, und man wird es wohl auch in der Elektro-Ära nicht tun. Sonst landet man schnell bei dem Vorhaben, sich für das gleiche (oder deutlich weniger) Geld ein Mittelklasse-SUV mit größerem Akku, weniger Verbrauch und somit deutlich mehr Reichweite zu kaufen bzw. zu leasen.
Doch jetzt zum Abarth 600e Scorpionissima. Das Designerstück auf Rädern kostet stolze 48.990 Euro, ist damit 4.000 Euro teurer als der unlimitierte Abarth 600e Turismo. Für diesen Mehrpreis erhält man nicht nur die changierende Lackfarbe und 40 Pferdestärken mehr Leistung, sondern auch eine andere Abstimmung. In den drei Fahrmodi Turismo, Scorpion Street und Scorpion Track liegt beim Sondermodell stets mehr Leistung an.
Die Serienausstattung wird bei ihm mit den haltstarken Sabelt-Sitzschalen, den erwähnten Soundgenerator, ein Navigationssystem, schlüssellosen Zugang, die elektrische Heckklappe, Sitzheizung für Fahrer und Beifahrer, einen doppelten Ladeboden im 360 Liter großen Kofferraum und weitere Optionen erweitert. Die Fahrassistenz umfasst zusätzlich eine Fernlichtautomatik, Totwinkelüberwachung und eine Verkehrszeichenerkennung.
Der direkte Mitbewerber für den Abarth 600e Scorpionissima kommt aus dem eigenen Konzern. Es ist der erwähnte Alfa Romeo Junior Elettrica Veloce. Der Plattform-Bruder kostet 48.500 Euro. Die Sabelt-Sitze und das Navigationssystem gehen dann aber noch extra, letzteres ist in einem umfangreichen Options-Paket enthalten. Immerhin in diesem Vergleich mit dem Alfa Romeo ist der teure Abarth 600e also günstig(er).
Fazit

Abarth ist gewillt, die Kompromisslosigkeit der Hosentaschen-Racer 595 und 695 in die Jetztzeit zu übertragen. Während dies beim 500e mit dem nur geringen Leistungsunterschied zur Ausgangsbasis von Fiat nur bedingt gelingt, wirkt der 600e abarthiger. Der hohe Stromverbrauch, gepaart mit den langen Ladezeiten, wirft aber einen dunkeln Schatten auf den schicken Lack. Wen das nicht stört, der dürfte beim heftigen Preis ins Grübeln kommen.
Technische Daten
Abarth 600e Scorpionissima
- Antriebsart
- Elektro
- Antrieb
- Frontantrieb
- Maximale Leistung kW / PS
- 207 kW (208 PS)
- Max. Drehmoment
- 345 Nm
- Getriebe
- Eingang-Reduktionsgetriebe
- Batterie
- 51 kWh netto nutzbar (brutto 54 kWh)
- Batterie: Typ
- Lithium-Ionen
- Maximale Ladeleistung Gleichstrom (DC)
- 100 kW
- Maximale Ladeleistung Wechselstrom (AC)
- 11 kW (drephasig)
- Ladeleistung Wechselstrom (AC) im Test
- 11 kW
- Beschleunigung 0-100 km/h
- 5,9 Sekunden
- Höchstgeschwindigkeit
- 200 km/h
- Norm-Verbrauch kWh / 100 km
- 17,5 - 18,9 kWh
- Reichweite nach Norm
- 315 - 344 km
- Realer Verbrauch im Testzeitraum kWh/100 km
- 23,8 kWh
- Kofferraumvolumen
- 360 - 1.231 Liter
- Reifenmarke und –format des Testwagens
- Pirelli Sottozero 3 Winter 225/40 R20
- Leergewicht
- 1.925 kg
- Länge / Breite / Höhe
- 4.189 / 1.808 / 1.505 mm
- Basispreis Baureihe
- 44.990 Euro
- Basispreis Modellvariante
- 48.990 Euro