Letzte Ausfahrt für den Zwölfzylinder: Unterwegs im 659 PS starken Bentley Continental GTC Speed.
Man kann in ihm das wohl letzte Relikt der Piëch-Ära, die den Volkswagen-Konzern lange Zeit bestimmt hat, sehen. Gemeint ist der sechs Liter große Verbrenner mit zwei Turboladern, der sein zwölf Zylinder in W-Bauweise anordnen ließ.
Im Video: Abschied vom W12
Aus zwei VR6-Motoren bauten sie Ingenieure damals den Zwölfender. Er trieb gleichnamige Sportwagenstudien an, aber auch den Phaeton und das SUV Touareg. Bentley, die Konzernmarke fürs Noble, überarbeitete den W12 im Jahr grundlegend. Hier sorgt er, als Alternative zu Varianten mit sechs und acht Zylindern und Hybriden, im Bentayga, der Limousine Flying Spur und der Continental-Baureihe (Coupé und Convertible GTC) für vehementen Vortrieb. Noch. Im April 2024 endet in Crewe nach dann über 105.000 Motoren die W12-Produktion. Auch Bentley macht sich auf den Weg in das Zeitalter der Elektro-Mobilität.
659 PS aus sechs Litern Hubraum
Vorher darf der W12 nochmal in der Redaktion anrollen. In seiner fast maximalen Ausbaustufe. Der 750 PS starke Bentley Batur , der nur 18-mal gebaut wird, ist selbstredend nicht als Testwagen vorgesehen. Stattdessen feiern wir das AUTONOTIZEN-Festival-of-Speed. Im Bentley Continental GTC W12 Speed klettert die Leistung auf 485 kW / 659 PS (650 hp). Der oben offene Brite trägt gold-gelbes „Khamun“. Die Farbe kostet ebenso Aufpreis wie die Karbon-Keramik-Bremsanlage hinter schwarzen 22-Zöllern.
Nach Druck auf den Startknopf auf der Mittelkonsole beginnt der Sechsliter unter der ewig langen Haube seine Arbeit. Zu hören ist davon kaum etwas. Selbst im Sportmodus, auch als Teil eines individuellen Fahrprogramms konfigurierbar, grummelt es nur ganz dezent aus den beiden ellipsenförmigen Endrohren. Bei Lastwechseln sind im Innenraum deutlichere Basstöne aus der Abgasanlage zu hören. Etwas künstlich und vorlaut für den edlen Gleiter, aber man kann ja in Sekunden den Fahrmodus wechseln.
Nur derer 3,7 sollen vergehen, um den rund 2,4 Tonnen schweren GTC aus dem Stand auf 100 km/h zu katapultieren. Jeder, der das Gaspedal auch nur mal auf halbem Weg gedrückt hat, glaubt das sofort. Es ist gewaltig, wie der W12 nach vorne stürmt. Umso mehr fällt auf, dass das Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe manchmal einen Wimpernschlag zu lange benötigt, um den Kick-Down-Befehl zu verstehen.
Die Box kommt, wie die Plattform, aus dem Konzernregal, was den Bentley Continental zum Verwandten des Porsche Panamera macht. Bei der Teileauswahl wurde zum großen Besteck gegriffen. Neben dem variablen Allradantrieb sorgen im GTC Speed auch Hinterachslenkung und Wankstabilisierung für maximale Fahrpräzision.
Leistung, in jeder Hinsicht
Der frühmorgendliche Kurvenspaß auf leeren Landstraßen wird nur durch das üppige Format des Bentleys eingeschränkt. Perfekt dosierbar folgt er einer im Geiste gesetzten Ideallinie. Er sehr spät drückt das Heck kontrolliert nach außen und meldet sich somit, lange bevor das ESP zur Stelle gerufen wird.
Gleichzeitig beherrscht der Continental GTC W12 Speed aber auch das entspannte Abspulen von Kilometern auf der Langstrecke. Becken und Rückenpartie werden dabei nicht nur von einem der vielen Sitzmassageprogramme durchgeknetet, sondern auch vom in die Sessel geleiteten Bass des Naim-Soundsystems mit 2.200 Watt und Subwoofer.
Anzeigengrafik, Lenkradbedienung und Infotainment-Menü sind vom Rest der Bentley-Palette (und von Porsche) bekannt. Klimafunktionen für Luft und Sitze sowie der zwar laute, aber leistungsstarke Nackenföhn lassen sich über eine der vielen Tasten in der Klavierlack-Mittelkonsole bedienen. Hier befinden sich auch die Kippschalter für das Öffnen und Schließen des Verdecks. Beides ist bis zu einem Tempo von 50 km/h möglich.
Mit geschlossenem Stoffdach ist der offene Continental auf Landstraßen nicht wahrnehmbar lauter als da Coupé. Auf der Autobahn säuselt der Wind nur leicht um die Kapuze. Die mögliche Höchstgeschwindigkeit von 335 km/h wurde im Testzeitraum aber (bei weitem) nicht ausgefahren. Auch so musste der Bentley Boy am Steuer öfter zum Boxenstopp, trotz 90 Liter großem Tank. 18,2 Liter Testverbrauch auf 100 Kilometer sind üppig. Das gilt auch für den WLTP-Normwert von 14,1 Litern.
Das 400.000-Euro-Cabriolet
Den gut betuchten Speed-Kunden dürfte das weniger interessieren. Er muss mindestens 308.100 Euro (mit deutscher Mehrwertsteuer) für das 2+2-sitzige Cabrio mit 659 PS ausgeben. Kaum ein Bentley dürfte das Werk aber ohne eine der vielen Optionen und Individualisierungsmöglichkeiten des Mulliner-Programms verlassen. Der Testwagen verkörpert einen Gegenwert von genau 397.367,85 Euro.
Fazit
Mit dem W12 von Bentley geht einer der letzten Zwölfzylinder-Verbrenner in den Ruhestand. Bis zur Premiere des ersten Elektro-Bentley dürfte ein kommender V8-Plug-in Hybrid die (System-)Leistungsspitze im Modellprogramm übernehmen.
In der Speed-Konfiguration ist der Bentley Continental GTC ein großer und großartiger Gran Turismo, der auf Wunsch den Sportwagen (aber nicht das Heck) heraushängen lässt. Dabei hängt ihm dieser Tage ein Reiz des Gestern an, ähnlich wie bei einer Deluxe-Vinyl-Pressung mit Klappcover. Titel des Albums: Mach´s gut, Großer!
Technische Daten
Bentley Continental GTC Speed W12 |
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Antrieb | Allradantrieb |
Abgasnorm | Euro 6 AP |
Hubraum | 5.950 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | W12 |
Maximale Leistung kW / PS | 435 kW / 659 PS bei 5.000 - 6.000 U/min |
Max. Drehmoment | 900 Nm bei 1.500 - 5.000 U/min |
Getriebe | Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe |
Tankinhalt | 90 Liter |
Beschleuningung 0-100 km/h | 3,7 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 335 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 14,1 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 18,2 Liter |
Leergewicht | 2.436 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.850 / 1.964 / 1.399 mm |
Grundpreis | 308.100 Euro |
Testwagenpreis | 397.367,85 Euro |