Bentley Flying Spur W12 Der perfekte Fluchtwagen

Eine Luxuslimousine, die nicht erst bei 333 km/h die Flucht aus dem Alltag ermöglicht: Der Bentley Flying Spur W12 im Test mit Video-Review.

Die Inspiration zu diesem Text entsteht bei der morgendlichen Laufrunde. Ein Ritual wie dieses hilft, die Gedanken zu sortieren und die kreative Arbeit für den Tag zu strukturieren. So schafft man als Autor die nötige Distanz, um nicht – dieses Mal wäre die Gefahr besonders groß – eine stumpfe Ansammlung von Superlativen abzuliefern. Das entspräche weder dem Anspruch der geschätzten Leserschaft noch dem meiner selbst.

Der Bentley Flying Spur im Video

Gefühlt geht es nicht so richtig voran. Ob es an der Morgenschwere in Knochen und Gelenken liegt? War das Essen gestern zu schwer? Liegt es am Wind? Irgendein Grund kann schon als Ausrede herhalten, warum man gefühlt im Treibsand steckt. Die Auswertung des Laufs in der unumgänglichen App zeigt danach: Alles ok! Zwar fühlte ich langsam, aber die Pace lag sogar im besseren Drittel der persönlichen Bandbreite. Womit nach 130 Wörtern endlich die Brücke zum Auto in diesem Test gefunden ist!

Auch im Bentley Flying Spur W12 sind die Wahrnehmung des Tempos und die tatsächliche Geschwindigkeit nur zwei entfernte Bekannte. Dazu komme ich gleich, beginnen wir mit dem Startritual. Die Servoschließfunktion zieht die Tür sanft ins Schloss. Auf Knopfdruck erwacht die digitale Cockpitlandschaft zum Leben, das Infotainmentdisplay dreht sich auf Wunsch ins Bild, stellt damit eine Alternative zu drei klassischen Runduhren oder einem leeren Panel dar. Dass Bentley zum Volkswagen-Konzern gehört, will der Flying Spur gar nicht unbedingt verheimlichen. Die Menüs kennt man von Porsche, aber natürlich bekamen alle Anzeigen ihr markengerechtes Layout.

Auf die Knie!

Über die Einstellungen auf dem Touchscreen lässt sich das „Flying B“ auf dem Kühlergrill ausfahren, außerdem eines der vielen Sitzmassageprogramme auswählen. Ein erneuter Druck auf den Starknopf in der breiten Mittelkonsole weckt den sechs Liter großen Zwölfzylinder auf. Er zeigt eine ungewohnte „W“-Bauweise, wurde salopp gesagt aus zwei jeweils drei Liter großen Sechszylindern zusammenkonstruiert. Autoaffine Passanten fallen andächtig auf die Knie, sobald der Flying Spur W12 im Leerlauf erstmals ausatmet. Den beiden ovalen Endrohren entspringt ein präsenter, dumpfer Klang. Innen ist davon nichts zu hören.

Das Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe gönnt sich eine halbe Gedenksekunde, nachdem der Wählhebel auf die D-Stellung gewandert ist. Laufruhig setzt sich das schwere Gerät in Bewegung. In der Stadt sorgt die Hinterachslenkung für eine überraschende Wendigkeit des immerhin 5,32 Meter langen Flying Spur. Damit kann man gewiss ohne Probleme auch die enge Einfahrt des Londoner Soho Hotels in Angriff nehmen.

Wie beim Laufen treibt es mich raus aus der geschlossenen Ortschaft. Spätestens auf der Landstraße zeigt der Flying Spur W12, was in ihm steckt. Es reicht ein winziger Pedalweg mit dem rechten Fuß. Die Front mit dem mächtigen, senkrecht stehenden Kühlergrill steigt sanft auf und 2,5 Tonnen Luxusauto schießen katapultartig in Richtung Horizont. 900 Newtonmeter Drehmoment liegen ab 1.350 U/min an, also eigentlich fast immer. Die Klangfarbe des Zwölfzylinders wechselt bei sportlicher Beanspruchung von maximaler Ruhe in einen heiseren Ton, eine akustische Wohltat.

Kurven und Kehren nimmt das Trumm mit spielerischer Leichtigkeit in Angriff. Hier sorgen die erwähnte Hinterachslenkung für Spurtreue, die Wankstabilisierung sorgt für Entspannung an Bord. Das gilt auch für die Dreikammer-Luftfederung, die den Straßenzustand kaum jemals nach innen mitteilt.

Trans-Europa-Express

Bentley Flying Spur W12 Test Fahrbericht Video Review 2022

160 km/h auf der Autobahn fühlen sich an wie sonst Tesla-Schleichen bei 88 Sachen im Winschatten eines LKW. Der große Kühlergrill und die auffälligen Doppelscheinwerfer sorgen für Überholprestige, die linke Spur wird freigeräumt. Wenn man es jetzt darauf anlegen würde, könnte man eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 333 km/h erreichen. Wie die Beschleunigung auf 100 km/h von 3,8 Sekunden ein Wert, der den Bentley Flying Spur W12 in die Liga von Supersportwagen katapultiert. So fühlt sich wohl die erste Klasse eines Sternenflotten-Raumschiffs an, das von Impulsantrieb auf Warp-Geschwindigkeit wechselt.

Der hohe Komfort an Bord, das famose Naim-Audiosystem und das niedrige Geräuschniveau lassen sofort Gedanken an eine Kontinentaldurchquerung entstehen. Unterbrechen müsste man die Hatz nur durch gelegentliche Tankstopps. Das Kraftstoffreservoir fasst zwar üppige 90 Liter, der Testverbrauch von knapp unter 20 Litern je 100 Kilometern steigt bei schneller Autobahnfahrt aber massiv an. Immerhin: Nach der eingangs erwähnten Laufrunde über acht Kilometer mahnte auch die Smartphone-App zum Flüssigkeitskonsum.

The Driver´s Car

Bentley Flying Spur W12 Test Fahrbericht Video Review 2022

Der Bentley Flying Spur ist in guter alter Tradition des Hauses ein „Driver´s Car“. Was nicht heißt, dass nicht auch die Passagiere verzückt sind. Im Fond lässt sich das Display zur Bedienung von Infotainment- und Sitzfunktionen (im Testwagen auch hier mit Heizung, Kühlung, Massage) herausnehmen und als Fernbedienung verwenden. Das sanft abfallende Dach, das für die sportliche GT-Optik der Limousine sorgt, schmälert aber für große Menschen die Aussicht etwas.

Gibt es sonst noch Dinge, die Kritik vertragen müssen? Ja. In einem Fast-300.000-Euro-Auto sollten die optisch feinen Stäbchen zum Schließen der Lüftungsdüsen sowie die Umrandungen ebenjener aus echtem Metall sein und nicht nur aus verchromtem Kunststoff. Das gleiche gilt für die Schaltwippen und die Lenkstockhebel.

Gibt es Mitbewerber?

Bentley Flying Spur W12 Test Fahrbericht Video Review 2022

226.338 Euro kostet der Bentley Flying Spur W12. Er ist das Topmodell der Baureihe, die es außerdem als V8 und neuerdings auch als Plug-in Hybrid mit 2,9-Liter-V6-Motor gibt. Diese Antriebe zeigen die Konzernverwandtschaft. Unter Bentley Flying Spur und Continental steckt der MSB (Modulare Standardantriebs-Baukasten), der auch die Basis für den Porsche Panamera stellt.

Um der solventen Kundschaft ihre Wünsche zu erfüllen, halten sie bei Bentley im britischen Crewe selbstredend eine große Bandbreite an Optionen bereit, teilweise im Mulliner-Programm aufgeführt. Aus dem stammt ein Paket am Testwagen mit dreidimensional herausgearbeiteten Verkleidungen in den Vordertüren und den 22-Zoll-Felgen. 298.035,50 Euro beträgt der genaue Listenpreis des hier gezeigten Testwagens.

Mit seinem Preisgefüge entzieht sich der Flying Spur W12 den meisten Konkurrenten. Ein Rolls-Roye Ghost ist deutlich teurer (ab ca. 317.000 Euro), am ehesten rückt noch die Mercedes-Maybach S-Klasse ins Blickfeld. Spätestens mit dem famosen W12-Motor und dessen Fahrleistungen ist der Bentley Flying Spur aber wieder einzigartig. Und er hilft beim Sparen: Denn wenn es nur ums Tempo geht, muss sein Eigentümer nicht noch extra einen Sportwagen in die temperierte Garage stellen.

Fazit

Bentley Flying Spur W12 Test Fahrbericht Video Review 2022

Der Bentley Flying Spur W12 ist der perfekte Fluchtwagen. Damit ist nicht die ans Unglaubliche grenzende Fahrdynamik gemeint, mit der man sich wohl jeder Situation entziehen kann. Auch bei leichterem Gasfuß kann man ihn ihm aber auch alle Geräusche und Sorgen des Alltags hinter sich lassen. Eine eigene Welt im Verkehrsgetümmel.

Teuer? Ja, und wie. Aber seinen Preis wert. Sagt zumindest einer, der sich ein Auto wie dieses eh nie leisten können wird. Darüber muss ich gar nicht erst nachdenken, auch nicht bei der nächste Laufrunde… Immerhin ist auch das eine Art Alltagsflucht.

Technische Daten

Bentley Flying Spur W12

Antrieb Allradantrieb
Hubraum 5.950 ccm
Anzahl und Bauform Zylinder W12
Maximale Leistung kW / PS 467 kW / 635 PS bei 5.000 - 6.000 U/min
Max. Drehmoment 900 Nm bei 1.350 - 4.500 U/min
Getriebe 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe
Tankinhalt 90 Liter
Beschleuningung 0-100 km/h 3,8 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 333 km/h
Norm-Verbrauch auf 100km 14,0 Liter
Verbrauch real auf 100km 19,8 Liter
Leergewicht 2.437 kg
Länge / Breite / Höhe 5.316 / 2.013 / 1.483 mm
Grundpreis 226.338 Euro
Testwagenpreis 298.035,50 Euro
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Text: Bernd Conrad
Bilder: Andreas Hof, Bernd Conrad