BYD Atto 3 Da steckt Musik drin

Der BYD Atto 3 im ersten Fahrbericht. Was kann der neue Player aus China?

Stell´ dir vor, du fährst mit dem ganz neuen Modell einer noch unbekannten Marke herum, aber keiner sieht hin. Das kommt im BYD Atto 3 vor. Zu erkennen daran, dass der Kollege im elektrischen Renault Megane, seit rund einem Jahr auf dem Markt, haufenweise Blicke von Fußgängern und anderen Autofahrern erntet – der Elektro-Chinese dahinter aber unbeachtet bleibt.

Der BYD Atto 3 im Video

Das spricht auf seine Art und Weise für den BYD Atto 3. Er ist eines von drei Modellen, mit denen die chinesische Marke jetzt in Deutschland an den Start gehen. Neben dem kompakten Crossover gibt es die Limousine Han und das große SUV Tang.
Die Linienführung des Atto 3 ist unaufgeregt. „Typisch asiatisch“ schreibt man da, oder? Nein, denn so sieht er nicht aus. Die Klarheit mancher Proportionen und Flächen sorgt für ein angenehmes Welt-Design. Da verschmerzen Ästheten auch das etwas nichtssagende Gesicht mit de Markennamen bzw. dessen Abkürzung (BYD steht für Build Your Dreams, die Aufklärung gibt es dann am Heck des Autos).

Was bringt die Blade-Batterie?

„E-Platform 3.0“ nennt BYD die neue Elektroauto-Architektur, die den Atto 3 trägt. Zentraler Bestandteil ist die Blade-Batterie. Deren Zellen sind in flache Quader gepackt, die flexibel angeordnet werden können. Das bringt Vorteile bei der Raumausnutzung, zudem kann bei einem ähnlichen Volumen wie bei herkömmlichen Akkus mehr Speicherkapazität und damit mehr Reichweite erreicht werden. Die stabile Bauweise der Gehäuse sorgt für mehr Sicherheit bei Unfällen (weniger Brandgefahr). Außerdem gibt BYD Vorteile bei der Langlebigkeit an. 5.000 Lade- und Entladezyklen sollen problemlos möglich sein, ohne dass der Lithium-Eisenphosphat-Akku abbaut.

60,48 kWh Speicherkapazität stecken im BYD Atto 3. Laut WLTP-Norm ist damit eine Reichweite von bis zu 420 Kilometern möglich, im reinen Stadtverkehr gar 565 Kilometer. 15,6 kWh Strom soll der Chinese auf 100 Kilometer verbrauchen.

Die konnten wir bei den Testfahrten, die bei winterlichen Verhältnissen mit gemischtem Streckenprofil (Stadt, Überland) stattfanden, nicht erreichen. Knapp 23 kWh für 100 Kilometer zeigte der Bordcomputer an, womit eine Reichweite von etwa 260 Kilometern möglich ist.

Warum so wenig Ladeleistung?

BYD Atto 3 Test Fahrbericht Video Fotos Review 2023

Spätestens dann muss geladen werden. Der Anschluss sitzt im rechten vorderen Kotflügel. Das bringt Vorteile beim Parken am Straßenrand. Wenn man das Auto im urbanen Raum an einer Ladesäule anschließt, muss man nicht auf der verkehrszugewandten Seite mit dem Kabel herumhantieren. In der heimischen Garage oder unter dem Carport dürfte die Wallbox aber meist auf der Seite der Fahrertür montiert sein. Allen kann man es halt nie rechtmachen.

In den beiden höheren Ausstattungslinien Comfort und Design kann der BYD Atto 3 Wechselstrom dreiphasig mit bis zu 11 kW laden. Ein Schwachpunkt ist, wie bei vielen chinesischen Autos, die Performance am Schnelllader. 88 kW Ladeleistung werden vom Hersteller angegeben. Damit füllt sich der Akku in etwa 44 Minuten von zehn auf 80 Prozent. Zumindest in der Theorie. Was der Atto 3 und sein CCS-Anschluss in der Realität wirklich können, muss und wird ein späterer Test mit mehreren Ladevorgängen zeigen, die dann die Erstellung von Ladekurven möglich machen.

Wenden wir uns dem Antrieb zu. Der permanenterregte Synchronmotor sitzt unter der vorderen Haube und treibt hier die Räder an. Schade: Trotz der neuen Plattform hat BYD es nicht geschafft, hier Platz für ein vorderes Staufach (Frunk), beispielsweise als Ablage für Ladekabel, zu realisieren.
150 kW (204 PS) leistet der Elektromotor maximal, entwickelt ein Drehmoment von 310 Newtonmetern. Die Nennleistung wird mit 65 kW (88 PS) angegeben. Was bedeuten diese Zahlen in der Praxis?

Komfortabel unterwegs

BYD Atto 3 Test Fahrbericht Video Fotos Review 2023

Bei Tritt auf das Fahrpedal kommt der BYD Atto 3 zügig voran, ohne aber stürmisch in Richtung Horizont zu schieben. Genau das dürfte im Alltag vieler Kunden auch nicht gewünscht sein, auf Dauer passt das homogene Anfahrverhalten besser.

Schnell fällt der hohe Komfort des Autos auf. Die Federung bügelt viele kleine Unebenheiten gekonnt weg, dabei verkneift sich der Aufbau lästiges Nachschwingen. Abrollgeräusche sind kaum zu hören, der Antrieb sowieso nicht. Die Windgeräusche an der Fahrertür dürften vom Dichtgummi kommen. Ob dies ein Einzelfall ist, werden weitere Erfahrungen mit anderen Testwagen zeigen.

Dieser BYD Atto 3 ist eines der ersten Exemplare, die Großkunde Sixt bei den Chinesen bestellt hat. Dennoch wird unser Urteil nicht durch einen möglicherweise stark abgenutzten Mietwagen beeinflusst. Dieses Exemplar wurde von uns direkt nach Anlieferung übernommen, der Kilometerstand betrug jungfräuliche 26 Kilometer.

Drehbares Display

BYD Atto 3 Test Fahrbericht Video Fotos Review 2023

Dank weitem Verstellbereich des Lenkrads in Höhe und Weite und elektrisch in Position fahrendem Sitz findet man schnell eine gute Position. Die integrierte Kopfstütze ist auch für große Menschen hoch genug.

An den VW ID.3 erinnert das kleine Display auf der Lenksäule, in dem sich die fahrrelevanten Informationen versammeln. Die Ablesbarkeit bietet keinen Anlass zu Kritik, davor erleichtern physische Tasten auf dem Multifunktionslenkrad die Bedienung.

Auf der Mittelkonsole dominiert ein 15,6 Zoll großes Infotainmentdisplay (in der Basis 12,8 Zoll) die Landschaft. Der Touchscreen lässt sich, auch per Tastendruck im Lenkrad, drehen. Was wie eine Spielerei klingt, hat handfeste Vorteile. Während der Fahrt kann man im Hochkant-Format die Strecke der Navigation im Auge haben, während einer Ladepause Medieninhalte im Querformat ansehen.

Routenplanung ohne Ladestopps

BYD Atto 3 Test Fahrbericht Video Fotos Review 2023

Die Anzeige stellt sich schnell auf die Ausrichtung des Displays ein. Auch Befehle der Touchscreen-Funktion werden schnell umgesetzt. Auf Android-Basis erlaubt das System auch Apps, beispielweise Streamingdienste wie Spotify. Apple CarPlay oder Android Auto haben beim hier gezeigten Exemplar aber noch nicht funktioniert, außerdem brach der Empfang von DAB-Radiosendern ständig ab.. Zudem war die Menüführung noch in englischer Sprache programmiert, was auch für die Sprachsteuerung gilt.

Die Navigation erkennt Ladesäulen und deren Leistung, ebenso freie Plätze. Die Stromzapfanlagen werden aber leider nicht in die Routenführung integriert, was eine Langstreckenplanung mit dem Elektroauto erleichtern würde. Man muss die Stopps also manuell mit eingeben.

Die Scheiben beschlagen schnell

BYD Atto 3 Test Fahrbericht Video Fotos Review 2023

Unnötig kompliziert ist die Klimabedienung. Sie läuft über den Touchscreen, da ein separates Bedienelement fehlt. Auch mehrfach gereinigte Scheiben beschlagen im BYD Atto 3 schnell (dieses Phänomen zeigt zuletzt auch der Subaru Solterra ), also muss man ständig an der Lüftungsintensität herumfummeln. Auch die zweistufige Sitzheizung kann man hier justieren.

Nicht nur im Untermenü, sondern auch per Schalter auf der Mittelkonsole, kann man die Rekuperation von „Standard“ auf „High“ umstellen. Ein Unterschied ist aber nicht spürbar. Ein-Pedal-Fahren ist mit dem BYD Atto 3 nicht möglich. Auch eine deutliche Spreizung der Antriebscharakteristik bei den drei zur Wahl stehenden Fahrmodi ist nicht zu erkennen.

Gute Verarbeitung und viel Platz

BYD Atto 3 Test Fahrbericht Video Fotos Review 2023

An die Feinarbeit dieser Software dürfen die Chinesen also gerne nochmal ran. In Sachen Materialqualität und Verarbeitung haben sie ihre Hausaufgaben schon gemacht. Die Kunstlederausstattung (vegan) wirkt hochwertig und trotz der Dreifarbigkeit nicht zu flippig. Das unterschäumte Material im Cockpit und in den Türverkleidung (Cremefarben) fühlt sich sehr gut an. Interessante Details sind die Türöffner auf den Lautsprecher-Knubbeln und die Spanngurte an den Türtaschen. Die sehen nicht nur aus wie die Saiten einer Gitarre, sondern machen beim Ziehen und Loslassen auch ein ähnliches Geräusch.

Nicht nur deswegen steckt Musik im Atto 3. Der Blinkerton ist kein Klicken, sondern ein animierter Hinweis. Unbedarfte Insassen denken hier aber zuerst an einen Warnton. Nach dem Ausschalten des Motors verabschiedet sich der BYD mit Synthiesound, Gitarrensaite (!) und Vogelgezwitscher. Liest sich wild, klingt aber angenehm.

Isofix-Bügel gibt es auf dem Beifahrersitz und auf den Außenplätzen im Fond. Hier hinten hat man auch als Erwachsener viel Platz. Die flache Batterie bringt den Vorteil, dass man die Beine auf der Rücksitzbank nicht über Gebühr anwinkeln muss. Große Menschen würden sich etwas mehr Kopffreiheit wünschen.

Anhänger oder Fahrradträger sind nicht möglich

BYD Atto 3 Test Fahrbericht Video Fotos Review 2023

Der Kofferraum fasst 440 Liter. Leider entsteht beim Umklappen der Rücksitzlehne eine Stufe. Sie dürfte mit einem doppelten Ladeboden verschwinden. Die Vorrichtung dafür war im Testwagen vorhanden. Ob spätere Kundenfahrzeuge einen eingelegten Zwischenboden mit sich führen, werden wir beobachten.
Leider zeigt sich der BYD Atto 3 im Gepäckabteil weniger alltagsorientiert als weiter vorne. Haken zum Aufhängen von Einkaufstaschen fehlen. Immerhin gibt es kleine Ablagefächer im Kellerabteil. Die Taschen mit den Ladekabeln (eines für die Haushaltssteckdose, eines für Wallbox oder öffentliche Ladesäule) liegen aber einfach so herum.

Anhänger wird der Atto-3-Kunde nicht ziehen können, auch keinen Fahrradträger. Als Dachlast werden 50 Kilogramm vom Hersteller angegeben.

Fantasievolle Fahrassistenz

Auf der Autobahn wird der BYD bei Bedarf 160 km/h schnell. Entspannter wäre aber das Mitschwimmen im Verkehr um Richtgeschwindigkeit, assistiert von der adaptiven Geschwindigkeitsregelanlage und Spurführungsautomatik. Dafür sollte man aber über das Menü auf dem Touchscreen tunlichst die Verkehrszeichenerkennung mit intelligenter Steuerung der Tempoautomatik deaktivieren. Selbst auf unbegrenzten Autobahnabschnitten fantasiert sich der BYD gerne mal ein Limit von 60 km/h herbei und will die Fuhre automatisch abbremsen.

Das kostet der BYD Atto 3

BYD Atto 3 Test Fahrbericht Video Fotos Review 2023

Als unbedingtes Schnäppchen geht der BYD Atto 3 nicht durch. Die Basisausstattung mit dem Namen Active kostet ab 42.245 Euro. Das Topmodell Design, unter anderem mit 18-Zoll-Felgen und Panorama-Glasdach, kostet 47.005 Euro.

Ein Kia Niro EV, der mit Head-up Display, Memoryfunktion für den elektrisch verstellbaren Fahrersitz und erweiterter Fahrassistenz etwas besser ausgestattet ist, kostet 47.590 Euro (alle Preise Stand Januar 2023). Die Koreaner gewähren eine Neuwagengarantie für den Zeitraum von sieben Jahren (bis 150.000 Kilometer), BYD immerhin vier Jahre (bis 120.000 Kilometer, acht Jahre bis 200.000 Kilometer auf die Batterie).

Deutlich teurer fährt man mit einem ähnlich ausgestatteten VW ID.3, der zudem in Sachen Materialanmutung nicht an den BYD herankommt. Von der Software-Geschwindigkeit ganz zu schweigen.

Fazit

BYD Atto 3 Test Fahrbericht Video Fotos Review 2023

Der BYD Atto 3 bereichert den Markt als geräumiges Elektroauto im einigermaßen kompakten Format. Sein Design ist gefällig, Platzangebot und Verarbeitung liegen über dem Niveau vieler etablierter Mitbewerber. Auch die Infotainmentausstattung zeigt ein hohes Niveau.
Feinarbeiten an der Lüftungssteuerung, der Verkehrszeichenerkennung und bei der Energierekuperation sollten die Chinesen schnell in die Serie einfließen lassen. Dazu dann noch eine deutsche Menüführung, Apple CarPlay sowie Android Auto – und der Atto 3 dürfte es den Mitbewerbern richtig schwer machen.

Das Auto für diesen Fahrbericht haben wir regulär und auf eigene Kosten bei Sixt gemietet. Die Verwendung eines Mietwagens war eine Ausnahme und der Tatsache geschuldet, dass BYD noch keine Pressetestwagen vorhält. Zudem war der Mietwagen im Ersteinsatz.

Technische Daten

BYD Atto 3

Antrieb Frontantrieb
Getriebe Eingang-Reduktionsgetriebe
Elektromotor: Maximale Leistung kW 150 kW (204 PS)
Elektromotor: Maximales Drehmoment 310 Nm
Batterie 60,48 kWh Lithium-Eisenphosphat
Maximale Ladeleistung Gleichstrom (DC) 88 kW
Beschleuningung 0-100 km/h 7,3 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 160 km/h
Norm-Verbrauch kWh / 100 km 15,6 kWh
Leergewicht 1.750 kg
Anhängelast (gebremst) n/a
Länge / Breite / Höhe 4.455 / 1.875 / 1.615 mm
Grundpreis 42.245 Euro (Active)
Testwagenpreis 47.005 Euro (Design)
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Text: Bernd Conrad
Bilder: Matthias Gill, Bernd Conrad