Verleiht keine Flügel, aber belebt Körper und Geist: Cadillac CT6
Ein bisschen aufpassen muss man ja schon, wenn man im Cadillac CT6 unterwegs ist. Zum Beispiel darauf, den Verkehr nicht aufzuhalten. Immer schön im Tempolimit bleiben, nicht aus Versehen vergessen, nach einer 60er-Beschränkung auf der Landstraße gemütlich weiter zu zuckeln.
Es ist nicht so, dass die amerikanische Oberklasselimousine nur langsam kann. Unter der kantigen Motorhabe mit dem betörend kurzen vorderen Überhang steckt ein durchaus modernes Triebwerk. Sogar die Vokabel Downsizing ist kein Fremdwort für die Marke mit dem opulenten Image. Ein Dreiliter-V6-Benziner mit Twin-Turbo-Aufladung und 417 PS treibt den CT6 voran.
Bis zu 555 Newtonmeter maximales Drehmoment werden auf die Achtgang-Automatik losgelassen. Werden die nur teilweise genutzt, schalten sich zwei der sechs Töpfe ab und der Cadillac fließt als Vierzylinder mit dem Verkehr. Davon merkst Du als Fahrer rein gar nichts, wenn nicht gerade der Blick auf die kleine „V4“-Anzeige in den digitalen Instrumenten fällt.
Maximal 250 Stundenkilometer schnell treibt der V6 den CT6 auf der freien Autobahn nach vorne in den Geschwindigkeitsbegrenzer. Das probierst du einmal, vielleicht zwei Mal aus, dann lässt du es sein. Urpsrünglich hier vermerkte starke Windgeräusche um die A-Säule an der Beifahrerseite haben sich im Nachgang als das Resultat einer beschädigten Radhaus-Innenverkleidung entpuppt, sind dem edlen Wagen konstruktiv also nicht (mehr) anzukreiden. Für eine Schreckmillisekunde sorgt dann auch noch eine rote Warnung im Cockpit, die aber nur darauf hinweist, dass die Geschwindigkeit jetzt leider abgeregelt wird. Zu viel des Guten.
Langsamer fahren macht im Cadillac CT6 nicht nur mehr Sinn, sondern auch mehr Spaß. Richtig Freude sogar. Dann kann man nämlich aus den fünf unterschiedlichen Sitzmassageprogrammen – jedes in drei Härtegraden einstellbar – das für den Moment passende heraussuchen. Auch Menschen, die schon viele Autos mit diesem Komfortextra bewegen durften, sei gesagt: Vergesst es! Probiert die Sitzmassage im CT6 aus! Der Physiotherapeut am Ort bekommt das kaum besser hin. Des Autors Favorit: „Dehnen“, natürlich auf der höchsten Stufe 3. Die Luftpolster im Sitz beginnen ihre Pumpakrobatik mit sanftem Nachdruck und Ausdauer. Eigentlich müsste die Krankenkasse einen Teil des Cadillac-Preises übernehmen.
Und das führt dann auch dazu, dass man sich von der Geschwindigkeitshetzerei lossagt, eingemummelt und immer weiter entspannt cruist. Wenn dann noch die Lieblingsmusik läuft, will man eigentlich gar nicht mehr ankommen. Das Bose Panaray Soundsystem kommt dem perfekten Klang schon ziemlich nahe. Auf den Millimeter. Wo Klangsysteme im Auto immer irgendeinen Grund zum mäkeln bieten, schaffen es die 34 Lautsprecher im Cadillac, die sich selbst in den Kopfstützen verstecken, ein wirkliches Surround-Erlebnis zu vermitteln. Toll.
Da freut man sich dann auch so sehr über den aus dem Armaturenbrett ausfahrenden Center Speaker, dass man dessen fragwürdigen Materialmix gar nicht moniert. Während das ganze Cockpit entweder mit Mahagoni-Holz oder Leder (sogar um das Mitteldisplay, hier wie die Sitze perforiert) ausgeschlagen ist, reicht der Box schnöder Kunststoff als Gehäuse. Hier hält der CT6 selbst in der höchsten Platinum-Ausstattung, wie übrigens auch in den Türverkleidungen um die Fensterheber, Respektabstand zur europäischen Konkurrenz in Form von Audi A8, BMW 7er und Mercedes S-Klasse. Deren Sitzmassage ist aber… wir hatten das schon.
Die Assistenzsysteme im Cadillac CT6 sind mit adaptiver Geschwindigkeitsregelung samt Abstandsfunktion, Spurhalteassistent und Querverkehrswarner auf dem aktuellen Stand der Technik. Erst im Fahrbetrieb zeigt sich der eher hemdsärmelige Charakter von Software und Abstimmung im großen Ami. Der Spurhalteassistent lenkt erst beim Überfahren der Begrenzungslinien sanft gegen, der Abstand wird recht ruppig geregelt. Automatisches Einparken funktioniert aber prima. Wenn der Parkvorgang – zumindest aus Sicht des Fahrers – abgeschlossen ist, steigt das System mit der Warnung „Parken nicht möglich“ aus. Nun gut, der Wagen steht ja und du steigst auch aus. Dann hupt der Cadillac gerne mal unvermittelt. Das hat schon irgendein System (man kennt das von Supermarktparkplätzen in den USA), erschreckt die kleinbürgerlicher deutsche Nachbarschaft aber doch jedes Mal aufs Neue.
Als ob der CT6 dir zurufen will „Komm zurück, die Massagebehandlung ist noch nicht vorbei“. Also wieder rein ins Auto, Knöpfchen gedrückt, Musik an. Und es wird weiter gecruist. Dabei fließen dann im Testmittel 12,8 Liter Supersprit pro 100 Kilometer durch die Einspritzdüsen. Damit liegt der CT6 auf dem Niveau seiner Mitbewerber mit Benziner. Das Vorurteil des amerikanischen Spritschluckers kann also weggepackt werden.
Der Taschenrechner übrigens auch. Wer den Cadillac CT6 in der Platinum-Version inklusive Einzelsitze hinten mit Liegesitz- und Massagefunktion (schon wieder!), Monitoren für die Fondpassagiere und dem erwähnten Soundsystem für 95.900 Euro kauft, kann und muss keine weiteren Optionen bestellen. Das macht den CT6 auf dem Papier einen höheren fünfstelligen Betrag günstiger als die Mitbewerber. Die trumpfen dann auf, wenn Worte die Leasingrate und Restwert durch den Raum fliegen.
Was auch ein Grund sein dürfte, dass seit der Markteinführung 2016 nicht mehr als 100 CT6 in Deutschland verkauft wurden. Barzahlenden Musikliebhabern, denen die teutonische Perfektion in der Oberklasse auf Dauer fad wird, dürfte der extravagante Auftritt im Cadillac CT6 aber gerne verstärkt ans Herz gelegt werden. Und dann wäre da ja noch die Sache mit der Massagefunktion…
Die technischen Daten findet Ihr unter der Bildergalerie.
Technische Daten
Cadillac CT6 Platinum |
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Hubraum | 2.997 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | V6 |
Maximale Leistung kW / PS | 307 kW / 417 PS bei 5.700 U/min |
Max. Drehmoment | 555 Nm bei 5.100 U/min |
Getriebe | Achtgang-Automatik |
Beschleuningung 0-100 km/h | 5,7 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 9,6 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 12,8 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Pirelli P Zero 245/40 ZR20 |
Leergewicht | 1.950 kg |
Länge / Breite / Höhe | 5.184 / 1.880 / 1.472 mm |
Grundpreis | 95.900 Euro |
Testwagenpreis | 95.900 Euro |