Ausflug mit einem zornigen Dinosaurier.
Viele Hersteller sehen in der Klasse der Pick-Ups gerade das künftige Wachstumssegment und präsentieren neue Modelle am laufenden Band: Renault Alaksan und Mercedes X-Klasse auf Nissan-Basis, der aufgefrischte VW Amarok, Mitsubishi L200/ Fiat Fullback und der Ford Ranger. Alles recht große Autos? Ha! Da lacht doch einer: und zwar der Ford F150 Raptor.
Reisen bildet. So sollte man zumindest schon mal irgendwo in den USA gewesen sein (und ich meine nicht New York City, ich meine die USA), um auch nur annährend nachzuvollziehen, dass die Ford F-Serie zu den meistverkauften Autos dort zählt. Und wenn der F150 Raptor dann plötzlich hier im kompakten Deutschland vor Dir steht und Schatten wirft, geht Dir dieser Ansatz von Verständnis wieder flöten.
Das massive Pick-up trompetet eh lieber. Dafür sorgen zwei Endrohre mit dem Umfang eines gut trainierten Oberarms am Heck der fast 5,90 Meter langen Bestie. Weiter vorne an der Abgasanlage findet sich, Achtung – festhalten, der Downsizing-Motor der aktuellen Raptor-Generation.
Statt einem frei saugenden V8 sorgt jetzt ein 3,5 Liter großer V6 mit dem auch bei uns bekannten Namenszusatz EcoBoost für Vortrieb. Dabei helfen ihm nicht nur zwei Turbolader, sondern auch der Geist des Sportwagens Ford GT. Denn mit dem teilt sich der F150 Raptor den Motor.
Nach dem Entern der Wartehalle namens Innenraum, die übrigens im ersten Obergeschoss liegt, drücke ich den Startknopf. Ein Ford-Logo erscheint im Cockpit. Ich drücke nochmal. Eine Meldung zur Einstellung eines Alarmsystems erscheint. Und ich drücke wieder. Dann erst, nach dem dritten Mal, bricht der Vulkan aus. Der F150 Raptor erwacht zum Leben. Und wie!
Wenn man per Drehknopf den Antrieb der Hinterachse überlässt (der Ford F150 Raptor hat einen zuschaltbaren Allradantrieb) und dann voll aufs Gas geht, denkt der Landkreis nicht nur, eine Gewitterfront rollt heran, sondern Du kannst Sterne sehen. Zumindest nachts. Denn die Front des Pick-up erhebt ich gen Himmel, ich wette, man könnte ein Blatt Papier unter die um Grip ringenden Vorderräder schieben, und der über 2,5 Tonnen schwere Ford stürmt bei Bedarf ich 5,1 (Fünfkommaeins!) Sekunden auf Tempo 100.
Diese Urgewalt lässt bis zur bei 170 km/h elektronisch abgeregelten Höchstgeschwindigkeit kaum nach. Nur das Lenken sollte man dann eher sein lassen. Denn wenn der Raptor gleichzeitig Vollgas geben und die Richtung wechseln soll, merkst Du, dass er lieber nur das Erste machen möchte.
Die Lenkübersetzung kann man in drei Stufen einstellen: Normal, Comfort und Sport. Kleiner Tipp für das große Auto: Immer hübsch auf Sport gestellt lassen, nur dann folgt der Ford einigermaßen den Wünschen des Fahrers. In den Programmen Normal und Comfort fühlt man sich ein bisschen an die Autofahrszenen in „Eine schrecklich nette Familie“ zurückerinnert – Du drehst das Lenkrad eine Drittel Drehung nach rechts (oder links) und…. es passiert erst einmal nichts. Irgendwann fährt das Auto dann doch mal in die gewünschte Richtung.
In den weiten von Texas also ganz easy, vor einer bundesdeutschen Straßenkreuzung empfiehlt sich jedoch das frühzeitige Ruderumlegen.
An die Schifffahrt erinnern auch Bremsmanöver. Es gleicht mehr einem Ankerwurf – Du verlagerst Dein Körpergewicht auf das Bremspedal und spürst, wie sich Masse und Kraft gegenseitig auszuspielen versuchen. Aber ja, der F150 Raptor steht dann doch recht fix.
Genug geheizt, es ist vor allem das gemütliche Fahren, was ihm liegt. Die 10-Gang-Automatik ist flink und sorgt dafür, dass Du mit Tempo 55 im neunten Gang durch den Ort cruist, der Motor dreht dabei mit meditativen 1.000 Umdrehungen pro Minute.
Es genügt ein Staubkorn auf dem rechten Fuß, ein minimales Zucken mit dem großen Zeh, und die bis zu 450 PS sind hellwach zur Stelle. Das Getriebe, das übrigens 2018 auch im dann gelifteten Mustang zum Einsatz kommt, schaltet zackig zwei Gänge zurück und ist wieder Spurtbereit.
Im normalen Autobahnverkehr mit ein paar geringen Tempowechseln, z.B. im Geschwindigkeitsbereich zwischen 110 und 140 km/h, bedient sich der F150 dann zu oft seiner zehn Übersetzungen, das ständige Hin- und Herschalten wird nervig.
Also schnell ablenken: Das gelingt leicht. Zum Beispiel, wenn man sich in die bequemen, weichen Sitze kuschelt, der für den Beifahrer ist durch eine Mittelkonsole mit Ablagefach im Kühlschrankformat von Dir getrennt. Auch im Fond herrscht Tanzsaalatmosphäre, die beiden äußeren Plätze dort verstecken sogar Isofix-Bügel zur Befestigung von Kindersitzen.
Die beiden Metallösen schaffen es aber nicht, Dir die heile Welt vorzugaukeln. Fakt ist: diese 2,20 Meter breite Schrankwand passt nicht auf unsere Straßen. Da lohnt es sich auch gar nicht, zu erwähnen, dass der Spritverbraucht bei durchaus forscher Fahrt mit 19,8 Litern auf 100 Kilometer geringer ausfällt, als befürchtet.
Spaß hat es trotzdem gemacht – der war ebenso gewaltig wie das Auto.
Kaufen kann man den Ford F150 Raptor bei uns als US-Import zu Preisen um 100.000 Euro.
Technische Daten
Ford F150 Raptor |
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Hubraum | 3.496 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | V6, Bi-Turbo |
Maximale Leistung kW / PS | 330 kW / 450 PS bei 5.000 U/min |
Max. Drehmoment | 691 Nm bei 3.500 U/min |
Getriebe | 10-Gang-Automatik |
Beschleuningung 0-100 km/h | 5,1 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 170 km/h (abgeregelt) |
Norm-Verbrauch auf 100km | 13,1 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 19,8 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | BF Goodrich AT 315/70 R17 |
Leergewicht | 2.584 kg |
Länge / Breite / Höhe | 5.889 / 2.192 / 1.955 mm |
Grundpreis | ca. 100.000 Euro |