Nissan GT-R Prestige Edition Mein Freund Godzilla

Der japanische Sportwagen mit 570 PS im Alltagstest.

Tja. Dann sitzt man also da und soll mit 26 Buchstaben und Umlauten (mal sehen, ob auch das „ß“ noch mit ins Spiel kommt) versuchen, auch nur annähernd eine Erlebniserzählung zum Nissan GT-R in das Textverarbeitungsprogramm hacken.

Da könnte man ein paar Fakten herunterrattern wie die Tatsache, dass der Nissan GT-R bereits seit 2007 auf dem Markt ist und seither regelmäßig modellgepflegt von einst 485 and 570 PS erstarkt ist. Oder dass er auf Nissans „Premium Midship Platform“ ein entfernter Verwandter von Autos wie dem 370 Z oder dem SUV Infiniti QX70 ist. Auch deshalb weit entfernt, weil der Nissan GT-R schon weg ist, bevor man die jeweiligen Modellnamen ausgesprochen hat.

Womit wir die Fakten jetzt mal links liegen lassen und uns dem Wahnsinn zuwenden, denn Nissan da auf die vorne 255 und hinten 285 Millimetern breiten Dunlops vor die Tür gestellt hat. Da helfen Adjektive ganz gut, die sich natürlich auch dem Alphabet bedienen. Die knoten sich dann zu Worten wie „atemberaubend“, „brutal“ und „respekteinflößend“ (gesehen? Das „ß“ war da!), aber auch zu „alltagstauglich“ und „vertrauenserweckend“ zusammen.

Denn ganz rational betrachtet ist der Nissan GT-R zwar natürlich ein Supersportwagen, aber trotzdem ein wunderbarer Daily Driver, mit dem man morgens ins Büro und abends auf die Rennstrecke fährt. Zwischendurch vielleicht noch zur Tankstelle. Denn artgerecht bewegt bekommt das Monster dann doch ordentlich Durst, 18,5 Liter zerstäubte der 3,8 Liter-Motor über den Testzeitraum pro 100 Kilometer in seinen sechs Brennräumen.

100 Oktan sollte der Sprit übrigens mindestens haben. Im Gegenzug katapultiert Dich der Nissan GT-R aber auch, egal aus welcher Geschwindigkeit oder aus welchem Drehzahlbereich, wie eine Kanonenkugel nach vorn. Da sei ihm die Feinschmeckerallüre gegönnt.

Die maximale Kraftentfaltung kann man mit der Launch Control erleben. Das Auto steht, Getriebemodus der einstellbaren Fahrprogamme auf „R“. Der linke Fuß steht auf der Bremse, das Doppelkupplungsgetriebe hat den ersten Gang einlegt. Mit dem rechten Fuß auf dem Gas pendelt sich die Drehzahl bei 2.000 Umdrehungen ein. Wenn jetzt der linke Fuß vom Bremspedal rutscht, fliegen knapp über 1,8 Tonnen haargenau an der Schlupfgrenze der vier Räder nach vorne. Das Werk gibt für den Sprint von Null auf Hundert 2,8 Sekunden an.

Godzilla nennt die Szene den GT-R, die Mutter aller Monster. Und sie hat recht. Das eigene Empfinden sagt nach fünf Launch-Control-Starts (auf abgesperrter Strecke) „Hirnsuppe“. Der Inhalt von Kopf, Magen und dem Rest des Körpers klatscht von innen gegen Deinen Rücken und die Sitzlehne, Du brauchst eine kleine Pause um den Horizont wieder zu zentrieren.

Der Nissan GT-R steht unbeeindruckt neben Dir, der Motor läuft leis säuselnd im Leerlauf, um die beiden Turbolader abzukühlen. „War was?“ Das wird er auch nach einem Autobahnritt fragen, als der nachts mit knapp unter 300 Sachen über den Asphalt galoppierte. Die Höchstgeschwindigkeit von 315 km/h lassen auf deutschen Fernstraßen selbst zur Unzeit Bodenwellen oder Mittelspurfahrer kaum zu.

Bei all dem Hochleistungssport übt sich der V6 mit seiner Titan-Abgasanlage in asiatischer Diskretion. Klappenauspuff? Also bitte! Tieffrequentes Wummern? Das sollen die südeuropäischen Fußballer-Autos gerne übernehmen. Der Nissan GT-R hat seinen eigenen Sound. Mechanisch, sechszylindrig, mit wahrnehmbaren, aber nicht vorlautem Turboladerpfeiffen. Auf der Autobahn kommt ein Jet-artiges Geräusch dazu, dass die wie Feuerkränze wirkenden Rückleuchten in ganz neues Licht rücken.

Zurück in der Wohnstraße säuselt der GT-R aber wieder entspannt dahin, fällt den Ohren nicht auf. Geschulten Augen umso mehr. Es sind vor allem junge Erwachsene und Jugendliche, die den Japaner sofort erkennen und ihm nicht nur mit hochgereckten Daumen, sondern sogar mit dem Kniefall einer Gruppe Jungs huldigen. Den Sozialneid, den nicht minder schneller Ferrari, Lamborghini oder auch ein Audi R8 hervorrufen, hat der Nissan GT-R vergessen, einzupacken.

Nissan GT-R Prestige Edition 2018 Test

Platz für dieses und weitere Gepäckstücke hat er, zum Beispiel im 315 Liter großen Gepäckraum. Oder auf den Ablagen hinter den bequemen Sesseln, die lustigerweise wie Rücksitze aussehen, ohne Knie- und Kopffreiheit aber maximal dafür dienen, wagemutige Kameramänner zusammenzufalten.

99.900 Euro kostet der Nissan GT-R in der Grundausstattung, die getestete Prestige-Edition mit ihrer Volllederausstattung 105.500 Euro. Viel Geld? Ja und nein. Sämtliche Mitbewerber aus der Sportwagenkategorie, die in einer Liga mit Godzilla kämpfen, sind mehrere Zehntausend Euro teurer. Etwas langsamer, aber ähnlich berauschend dürfte in dieser Preisklasse vielleicht die Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio sein. Noch so eine Idee für einen Testbericht…

26 Zeichen in unterschiedlicher Konstellation und sogar elfmal das „ß“ haben Ihnen, werte Leser, jetzt nahegebracht, dass der Nissan GT-R ein verdammt tolles und verdammt schnelles Auto ist. Eine Maschine, die seit elf Jahren als Gipfelkreuz japanischer Ingenieurskunst gelten darf.

Alleine in der altjapanischen Schrift existieren übrigens über 40.000 Zeichen, Kanji genannt. In der Schule werden 2.000 bis 3.000 davon gelehrt, höher gebildete Japaner beherrschen angeblich 6.000 bis 7.000 Kanjis, lernen aber stets neue Zeichen dazu. Vielleicht würde das helfen, das sensorische Erlebnis namens GT-R zu beschreiben.

Belassen wir es einfach dabei, uns zum Abschied vom Nissan GT-R leicht zu verbeugen. Als Zeichen der guten (japanischen) Manieren, aber auch, um ihm den Respekt zu erweisen, den er verdient.

Technische Daten

Nissan GT-R Prestige Edition

Hubraum 3.799 ccm
Anzahl und Bauform Zylinder V6
Maximale Leistung kW / PS 419 kW / 570 PS bei 6.800 U/min
Max. Drehmoment 637 Nm bei 3.300 - 5.800 U/min
Getriebe Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe
Beschleuningung 0-100 km/h 2,8 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 315 km/h
Norm-Verbrauch auf 100km 11,8 Liter
Verbrauch real auf 100km 18,5 Liter
Reifenmarke und –format des Testwagens Dunlop Sport Maxx GT600 255/40 ZRF 20 v./ 285/35 ZRF 20 h.
Leergewicht 1.827 kg (inkl. Fahrer)
Länge / Breite / Höhe 4.710 / 1.895 / 1.370 mm
Grundpreis 105.500 Euro
Testwagenpreis 106.500 Euro
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Text: Bernd Conrad
Bilder: Karin Zipperling (12), Bernd Conrad (5)
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