Erste Fahrt im neuen Porsche 718 Boxster GTS 4.0 mit Sechsylinder-Boxermotor.
Das Auge visiert den Verlauf der sich den Berg hinaufschlängelnden Straße an. Im Gehirn werden die Befehle an die Hände (am Lenkrad, am Schalthebel) und Füße (auf der Kupplung, auf dem Gaspedal) sortiert. Der Hintern benötigt keine Aufforderung von hinter der Stirn. Er dreht sich, in sündhaft teure Carbon-Vollschalensitze gepackt, wie von Geisterhand um den Scheitelpunkt der Kurve.
Der Porsche 718 Boxster im Video
Das Mittelmotorlayout des Porsche 718 Boxster sorgt für ein unglaublich präzises Fahrverhalten. Das ist soweit bekannt. Heute kommt auf unseren Fahrten an der portugiesischen Atlantikküste aber auch eine emotional aufgeladene Orchestrierung dazu. Denn hinter den integrierten Kopfstützen mit GTS-Stickerei hämmert ein frei saugender Sechszylinder-Boxermotor sein ganz eigenes Lied. Ohrwurm garantiert!
Ablösung des GTS mit Vierzylinder-Boxer
Porsche ersetzt in der 718er-Baureihe, bestehend aus dem offenen Boxster und dem Blechdach-Sportwagen Cayman, den bisher verwendeten 2,5 Liter-Vierzylinder im GTS durch einen vier Liter großen Sechsender. Porsche 718 Boxster GTS 4.0 heißt das ganze höchst offiziell. Nach all´ dem Industrie-4.0-Gehype klingt das schon mal modern, rein rhetorisch doch aber eher wie ein Schritt zur Seite oder gar zurück?
Was ist denn mit Downsizing? Aufladung? Anpassung? Schon der Dreh am Zündschlüssel, der trotz einem elektronischen Befehl weiterhin klassisch links vom Lenkrad gedreht werden will, wischt alle diese Fragen beiseite. Die Antwort heißt: So wird es gemacht! So und nicht anders! Aber gerne doch.
Gene aus dem Porsche 911
Das von der Motorenfamilie des Porsche 911 (992) abgeleitete Triebwerk erfüllt selbstredend die aktuellsten Euro 6d-Abgasbestimmungen und bleibt auch in Sachen Klangschleppe weit diesseits der Grenzwerte. Gute Musik erkennt man ja auch daran, dass sie nicht nur bei voller Lautstärke funktioniert.
Der Mittelmotor holt über die Kiemen vor den hinteren Radkästen tief Luft. Sie ist eine Zutat für bis zu 294 kW / 400 PS Leistung und 420 Nm Drehmoment. Saugertypisch liegt die Kraftspitze recht spät an, im Falle des 4.0 bei 5.000 bis 6.500 Umdrehungen pro Minute. Aber auch auf dem Weg dort hin ist jeder Meter ein Genuss. Ansaugen, Schaltarbeit, der Sound des Boxerlayouts. Vor allem beim Fahren mit offenem Verdeck ist die Mechanik des Antriebs hör- und fühlbar. Kein Turbogeräusch liegt wie ein Teppich darüber, keine unnötige Wattepackung entfernt den Piloten von seiner Maschine.
Das serienmäßige Sportfahrwerk mit 20 Millimetern Tieferlegung und variablen Dämpfer (PASM, Porsche Active Suspension Management) sorgt für maximalen Bodenkontakt der vorne 23,5 und hinten 26,5 Zentimeter breiten Reifen. Das PSM genannte Stabilitätsprogramm lässt ausreichend Spielraum für selbstbestimmte Fahrernaturen, ohne dass es je brenzlig wird.
Mit Mark Webber auf der Rennstrecke
Das gilt auch für die Grenzerfahrung von Gehirn und Knochengerüst bei einer besonderen Mitfahrt. Der ehemalige Formel-1-Fahrer Mark Webber, der von 2007 bis 2013 für Red Bull Racing an den Start ging und danach als Werksfahrer für Porsche in die FIA-WEC-Langstreckenmeisterschaft wechselte, lädt zu einer Spritztour ein. Dieses Mal nicht auf öffentlichen Straßen, sondern auf dem Kurs der Rennstrecke in Estoril, außerhalb der Hauptstadt Lissabon.
Auch mit den fachkundigen und furchtlosen Rennfahrerhänden am Alcantara-Lenkradkranz gibt sich der Porsche 718 Boxster GTS 4.0 keine Blöße. Der Asphalt schein magnetisch zu sein, erlaubt dem Auto aber präzises eindrehen um die eigene Achse. Mit knapp 250 km/h fliegt der Boxster – natürlich mit geschlossenem Verdeck – am Ende der Start-Ziel-Geraden auf die erste Rechtskurve zu. Jetzt zeigt sich schonungslos, zu welch brachialer Verzögerung auch die serienmäßige Grauguss-Bremsanlage mit roten Sätteln fähig ist. Und das Rund um Runde. Wer mag, kann natürlich trotzdem über 7.300 Euro in die Keramik-Bremsanlage investieren. Aber zumindest auf den Küsten- und Bergstraßen außerhalb der Rennstrecke hat auch der Autor sie nicht vermisst.
270 Liter Gepäckraum stellt der Porsche 718 Boxster bereit, 120 davon befinden sich im Heck und 150 vorne. Zwei Personen könnten damit übers Wochenende verreisen, wenn sie kompakt Packen. Allzu viel Klamotte muss eh nicht sein. Denn der Dreitagestrip mit dem Boxster wird vor allem dann schön, wenn die meiste Zeit gefahren wird.
Fazit zum Porsche 718 Boxster GTS 4.0
Der Vierzylinder-Boxermotor war für viele Kunden ein Ausschlusskriterium. Aber nicht für alle. Schön, dass Porsche jetzt Facetten bietet. Die Basismodelle sowie S und T haben weiterhin vier Töpfe, die neuen GTS 4.0-Modelle lösen in Europa den bisherigen GTS ab und verzaubern mit der hohen Kunst des klassischen Motorenbaus. Dafür muss es kein teurer 718 Spyder mehr sein.
Mit „Hausfrauenporsche“ hat dieses Auto übrigens, falls das jemand immer noch glaubt, gar nichts zu tun. Wobei gerne auch eine der Fahrdynamik zugeneigte Dame so ein Auto fahren darf. Sollte! Wenn zur Euphorie über den 4.0 dann noch die Solvenz passt, wird alles gut. Denn mit Preisen ab 83.949 Euro ist der 718 Boxster GTS 4.0 nicht nur teurer als der Vorgänger, sondern auch in der Preisliste auf einem hohen Sportwagenniveau angekommen.
Technische Daten
Porsche 718 Boxster GTS 4.0 |
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Abgasnorm | Euro 6d |
Hubraum | 3.995 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | Sechszylinder-Boxermotor |
Maximale Leistung kW / PS | 294 kW / 400 PS bei 7.000 U/min |
Max. Drehmoment | 520 Nm bei 5.000 bis 6.500 U/min |
Getriebe | Sechsgang-Schaltgetriebe |
Beschleuningung 0-100 km/h | 4,5 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 293 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 10,8 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | 235/35 ZR 20 (v.) / 265/35 ZR 20 (h.) |
Leergewicht | 1.480 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.391 / 1.801 / 1.262 mm |
Grundpreis | 83.949 Euro |
Testwagenpreis | 104.470,55 Euro |