Autonomes Fahren Neue Zeiten brechen an.

Wie sich das Automobil selbstfahrend neu erfinden soll.

Wir sitzen in einem Porsche 911 Turbo S. Nürburgring. Nordschleife. Der Puls steigt. Entweder aus purer Vorfreude oder weil man sich noch überlegt, ob man vor der Ehefrau / Freundin / Geliebten / den Kumpels vielleicht doch zu sehr geprahlt hat, dass man die Kiste auf Ideallinie über den Ring schnalzen lässt.

Aussichten auf das autonome Fahren

Wie schön wäre da nun eine Autopilot-Taste. Der Porsche donnert drei, vier Runden in Bestzeit die Strecke entlang, gibt Vollgas, wenn Du als Fahrer gedanklich noch nicht mal den Fuß von der Bremse gelöst hättest und lässt kein Haar zwischen Curbs und Niederquerschnittreifen.

Nach den Demonstrationsrunden und entsprechend gestiegenem Selbstbewusstsein legst Du den Schalter um und fährst selber. Derweil projiziert die Bordelektronik einen weiteren 911er als täuschend echtes Leading Car in die Windschutzscheibe. Wenn Du an dem dranbleibst, kommst Du auf die guten Zeiten. Und der Ideallinie ganz nah.

Klingt gut? Durchaus. Im Moment ist das aber leider nur eine Zukunftsvision. Und gleichzeitig ein interessantes Argument für autonomes Fahren. Deutlich einladender als die Vorstellung vieler Autofans, dass selbstfahrende Autos zu gesichtslosen Eiern im stetigen Stau der Megacities verkümmern.

Aussichten auf das autonome Fahren

Mit diesem Beispiel will Johann Jungwirth eine Lanze für selbstfahrende Autos brechen. Der Mann ist der neue Shooting Star der Autobranche. Wo vor nicht allzu langer Zeit die Designchefs götterhaft verehrt wurden und für den Aufbruch einer Marke in neue Zeiten standen, sind es heute die Köpfe fürs Digitale.

Total trendy ist es für Industrieunternehmen wie z.B. BMW, bei den neuen Abteilungen für digitale Strategien vom „Start-up im Konzern“ zu sprechen. Und Anekdoten zu erzählen, wie man die ersten Tage in der neuen Position erst einmal mit der Suche nach einer Sekretärin verbrachte. Also doch nicht ganz Start-up, sondern streng hierarchisches Industriedenken.

Da tritt Volkswagen erstaunlich dezenter auf. Johann Jungwirth, der im November 2015 von Apple zu Europas größten Autobauer wechselte, ist Herr über drei sogenannte „Future Centres“. Die sind nicht im industriell geprägten Wolfsburg angesiedelt, sondern in Potsdam, Peking und im Silicon Valley. Zusätzlich zu einer Schaltzentrale mit 40 Team-Mitgliedern am VW-Hauptsitz.
„Wir müssen dort sein, wo die Menschen gerne leben, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein“ erklärte der 42-jährige im Rahmen des Automobil Forums in München. Der Kongress, veranstaltet vom Branchen-Magazin Automobil Produktion, brachte unter dem Motto „Digitalisierung der Autoindustrie – in allen Aspekten“ 230 interessierte Teilnehmer aus sämtlichen Sparten unter einem Dach zusammen.

Aussichten auf das autonome Fahren

Klar, bei der seit einigen Monaten prognostizierten Neuerfindung des Automobils will natürlich niemand außen vor bleiben. Zumal sich neben den neuen Digital-Propheten der Industrie auch traditionelle Automenschen wie Audis Produktionsvorstand Dr. Hubert Waltl ein Stück weit in die Karten schauen ließen, wie in der Fabrik der Zukunft Mitarbeiter, Maschinen und Prozesse vernetzt werden können.

Ganz spitz waren die Ohren des Publikums aber bei den Beiträgen von Google, BCG („The Robo-Taxi Revolution“) und dem neuen Mann bei VW. Johann Jungwirth massierte auch mehrfach den Begriff SDS, Abkürzung für Self-Driving-System, in die Ohren seiner Jünger. Er geht davon aus, dass „SDS in wenigen Jahren ein allgemein verständlicher Begriff, so wie heute ABS“ sein wird.
Es ist schon interessant, wie computeranimierte Visionen von Großstädten, in deren leeren Straßen ab und zu ein Automobil an schlendernden Passanten vorbeistromert, bei Branchenvertretern für wohlwollendes Kopfnicken sorgt. Sollte nicht Angst herrschen, da selbstfahrende Autos, die noch dazu im Car Sharing eingesetzt werden und damit also mehr Menschen zur Verfügung stehen als das herumstehende Pendlerfahrzeug, automatisch weniger Absatzzahlen bedeuten?

Aussichten auf das autonome Fahren

„Mitnichten“ ist der grundsätzliche Tenor. Auch Dr. Nikolaus S. Lang, Senior Partner und Managing Director beim Beratungsunternehmen The Boston Consulting Group, gab Entwarnung. „Die Fahrzeuge unterliegen einer deutlich intensiveren Nutzung, müssen also öfter ersetzt werden.“

Verkommt das Auto, einst der brustschwellende Stolz technikverliebter Ingenieure, also zum profanen Wegwerfprodukt? Zum rein rational gehandelten Mobilitätsbaustein zwischen Fern- und Nahverkehrszügen, E-Bikes und Hyper Loops?

Das wird die eigentliche Herausforderung für die Hersteller. Denn es geht nicht nur um Menge. Die schaffen Firmen wie Foxconn, wo die Apple-Telefone aus der Fabrik purzeln, auch. Es ist sicher zu schaffen, dem Kunden auch in einem geteilten, per App herbeigerufenen Premium-Modell ein gewisses Markenerlebnis zu vermitteln (vorausgesetzt, der Terrier des Vornutzers hat sich nicht ungeplant im Hochflorteppich erleichtert). Nur wie soll die Dame oder der Herr diese Marketingansprache am Ende des Tages in eine Kaufentscheidung übersetzen? Wenn ich nicht mehr unbedingt ein eigenes Auto brauche, muss mich ein Unternehmen anders abholen.

Auch hier, wie sollte es anders sein, hat Johann Jungwirth eine entsprechende Aussicht parat. Der zukünftige VW-Kunde soll eine ID erhalten, ähnlich dem Vorbild der Apple-ID. Im VW Mietwagen, im Car Sharing-Mobil der gleichen Marke und im vielleicht doch noch vorhandenen eigenen Auto der Oma reicht die Identifikation des Fahrers durch die Bordelektronik. Schon werden Radiosender, Musik-Speicher, Innenraumtemperatur und Sitzposition automatisch auf die Person eingestellt. Alles furchtbar praktisch. Aber wieder ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung emotionslose Automobile. Denn der tief verankerte Neuigkeitswert, der ist doch ehrlich gesagt bei jedem neuen iphone auch nicht wirklich vorhanden, sobald ich meine ID eintippe und alles so ist, wie auf dem alten Gerät.

Die Entwicklungsabteilungen der Autohersteller sind also immens gefordert. Sie müssen nicht nur die selbstfahrenden Systeme straßenreif machen, sondern währenddessen auch nicht vergessen, den Abschied vom Verbrennungsmotor endlich zu beschleunigen. Die Zukunft wird spannend. Ich freue mich darauf.

Aussichten auf das autonome Fahren

Mit weniger Druck als Seval Oz, Head Of Intelligent Transportation Systems bei Continental. Sie hat von ihrer 13-jährigen Tochter einen klaren Auftrag erhalten: „Mama, Du musst dafür sorgen, dass ich im später einmal keinen Führerschein mehr machen muss, aber trotzdem mobil bin.“ Könnte zeitlich eng werden.

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Text: Bernd Conrad
Bilder: Bernd Conrad (2), Hersteller (3)
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