So feiert man das Auto: Eine Reportage über das Goodwood Festival of Speed, auch als Video.
Der Süden Englands hat ein paar schöne Flecken. Ganz besonders im Frühsommer, zumindest für Autofans. Früher hätte man „Petrolheads“ gesagt, dazu gleich mehr. Wenn hier das alljährliche „Goodwood Festival of Speed“ steigt, wir der gleichnamige Ort – etwa 90 Minuten südwestlich von London gelegen – zum Tempel der Fahrfreude.
Goodwood Festival of Speed: Das Video
Was einst als Zusammenkunft weniger Enthusiasten begann, stellt mittlerweile jede nach traditionellem Denkmuster geplante Automesse in den Schatten. Ja, damit bist auch Du gemeint, IAA Mobility.
Der „Duke of Richmond and Gordon“ lädt ein (und wird dabei kräftig kassieren), alle strömen hin. Autohersteller, Milliardäre, die High Society und ganz normale Familien. Alle vereint beim Staunen, Jubeln und Picknick. Schon auf dem Parkplatz zeigt sich, wie die Grenzen zwischen den Klassen verschwimmen. Hier parkt ein Bugatti Chiron neben einem VW Bora älteren Baujahres, dessen Frontstoßfänger in Kontrastfarbe gewiss kein gewolltes Stilmittel ist. Daneben hat Aston Martin eine Flotte DBX aufgefächert. Einfach so, auf dem Rasen. Kein monströser Messestand mit Absperrgittern.
Goodwood in Bildern
Nach der Ticketkontrolle bestaunt man seltene Oldtimer und Sammlerstücke, bevor die Präsenz von Rolls-Royce dann doch an eine Messe erinnert. Die britische Luxusmarke hat in Goodwood ihr Heimspiel, das Werk liegt nur drei Autominuten entfernt. Im Innenhof ein paar Schritte weiter klettern Groß und Klein durch den neuen BMW 7er. Als Premiere haben die München den iX1 mitgebracht.
Mercedes-AMG zeigt den neuen C63 mit Vierzylinder-Turbo als Plug-in Hybrid mit 680 PS Systemleistung immerhin in Pseudotarnung, Land Rover den neuen Range Rover Sport. Ein zweiter Stand von BMW feiert 50 Jahre „M“. M3 Touring und M3 Touring mit M-Performance-Parts dürften als die Hauptattraktionen der Neuwagenschau gelten.
Kaum weniger umlagert sind die neuen Lotus-Modelle. Emira und das Elektro-SUV Eletre läuten die Wiedergeburt der britischen Sportwagenmarke an, die jetzt Teil des chinesischen Geely-Konzerns ist.
Die Hypercars von Pagani werden ausgestellt, der Rimac Nevera ist auch vor Ort. Mittendrin die Elektroautos von Polestar. Deren Stand überragt den von Ford um das das mehrfache. Zeigt das die neue Auto-Welt-Ordnung?
Premiere für Elektro-SUV von Genesis
Zu der gehört auch die koreanische Premiummarke Genesis. Als Europapremiere steht der Electrified GV70 auf dem Stand. Das Mittelklasse-SUV dürfte Antworten auf Fragen liefern, die sich Interessenten von BMW iX3 und Mercedes GLC stellen. Zum Beispiel die: „Was hält mich vom Kauf ab?“. Das Warten auf den GV70 könnte sich lohnen.
Zwei Elektromotoren mit jeweils 160 kW (218 PS) liefern Kraft und Allradantrieb, eine mutmaßlich 77,4 kWh große Batterie im Fahrzeugboden (wie im GV60 ) sorgt für Reichweite. Der größte Pluspunkt des Koreaners dürfte die 800-Volt-Technologie für schnelles Laden sein. Auch bei ihm sollen 18 Minuten Parkzeit am Schnelllader ausreichen, um den Füllstand des Akkus von 10 auf 80 Prozent zu erhöhen. Die Ladeleistung wird noch nicht genannt, müsste aber bei 240 kW liegen. Das Genesis auch auf einer Verbrenner-Basis sehr kompetente Elektroautos bauen kann, hat zuletzt die erste Probefahrt im Electrified G80 gezeigt.
Wir schlendern weiter. Mitten im Getümmel, also fast anfassbar (aber stets unter dem wachsamen Auge eines „Babysitters“) kann man die Mercedes-Studien Vision EQXXX (die auf eigener Achse nach Goodwood kam) und AMG Vision bestaunen. Den Lucid Air und den RT1 von Rivian. Verbrenner und Elektroautos existieren hier in Goodwood ohne Grabenkämpfe nicht nebeneinander, sondern gemeinsam. Das gilt auch für die Action auf der Rennstrecke. Womit wir zu einer weiteren Besonderheit der Veranstaltung kommen.
Euphorie beim Hill Climb
Beim „Hill Climb“, der kurzen Hatz über die Strecke, feiern Tausende auf den Tribünen und hinter den Sicherheitszäunen alles, was mindestens zwei Räder hat. Rennwagen auf den 1930 Jahren donnern hier entlang, eine ganze Flotte klassischer BMW-Renner. Die Autohersteller schicken, teils gesteuert von Formel-1-Fahrern und mit prominenten Auto-Influencern wie „Jessicarmaniac“ von The Car Crash Review besetzt, ihre Schmuckstücke auf den Hügel.
Wer noch keinen Bugatti gesehen hat, sieht hier eine ganze Armada. Vom Veyron bis zum Chiron Super Sport und Divo. Der Polestar 5 als Prototyp ist ebenso Teil der dynamischen Vorstellung wie der neue Roadster Maserati MC20 Cielo. Wohl der einzige Diesel weit und breit trägt dunkelgrünen Lack und populäre Streifen: Es ist der BMW-Alpina D4S Gran Coupé.
Vier Tage lang geht in Goodwood Gummi in Rauch ein. Elektronen und Benzin werden verzoomt oder verbrannt. Burger (auch vegetarisch) verschlungen und gewiss die ein oder andere Kaufabwicklung durchgeführt.
Die Mutter aller Feuerwerke
Am vorletzten Abend lädt der Veranstalter einen erlauchten Kreis zum Ball mit Gala-Dinner ins Goodwood-House. Erlaucht vor allem deswegen, weil man sich die 2.500 Pfund für das Ticket leisten können muss. Und will. Dennoch ist die Veranstaltung stets in Windeseile ausverkauft. Das gilt wohl auch für die Smokings und Fliegen der Herrenausstatter, den „typisch britisch“ ist der Ball ein Black-Tie-Event. Dass man aber auch mit Anzug und Krawatte eingelassen wird, ist einer der vielen Glücksmomente des Autors an diesem Wochenende.
Nach dem Dinner geht es in die weitläufige Gartenanlage. Mit Musik- und Tanzdarbietung wird ein mehr als üppiges Feuerwerk aufgefahren, bei dem sogar kleine Flugzeuge als Abschussrampen für Licht- und Donnerstarke Pyrotechnik sorgen. Über den CO2-Ausstoß dieses Spektakels sollte man sich am besten keine Gedanken machen. Dazu bleibt auch kaum Zeit, denn mit Rockband und DJ steigt die große Party, bevor die Gäste wieder in Bentleys, Rolls-Royce und Co. abgeholt werden. Mindestens einer hatte sich ein normales Taxi bestellt, was am Toyota Prius mit leuchtendem Schild auf dem Dach zu erkennen war.
Man darf das Auto noch feiern
Diese Zeilen entstehen auf dem Rückflug nach Deutschland, auf der Heimreise vom „Goodwood Festival Festival of Speed“. Die Eindrücke sind also noch frisch, trotzdem ist die Erkenntnis schon gereift: Individuelle Mobilität im Allgemeinen und das Auto im Speziellen hat kein Akzeptanzproblem, wie es oft herbeigeredet wird.
Alt und Jung können auch heute noch stauen, Freude geht vor Sozialneid. Außerdem gefällt die Technologieoffenheit aller Beteiligten. Laute Sport- und Rennwagen aller Dekaden teilen sich die Strecke mit hydriden Supercars der Neuzeit und Elektroautos. Darunter auch ein auf Elektroantrieb umgebauter, klassischer Ford Mustang. Das Einzelstück zeigt auf wunderbare Art und Weise, was den Reiz der Faszination Auto ausmacht. In Goodwood, in Gröbenzell oder in Genua. Gestern, heute und gewiss auch in Zukunft.