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Premierensamstag bei Deutschlands marktführendem Autohersteller. Der Touran erhält nach 12 Jahren endlich einen Nachfolger.
Wir sind in einem Autohaus eines der größten Deutschen VW-Händler in München, es ist kurz nach 11 Uhr vormittags. Eigentlich die perfekte "Auto gucken" Zeit für den Großteil der Nation. Und hier: Gähnende Leere. Nochmal: Der neue Touran wird das erste Mal gezeigt, kein Nischenmodell. Acht Autos stehen im Showroom (davon zwei Touran), vier Bierbänke und ein Tresen, wo Pommes, Würtschen und Co. zum Verzehr verteilt werden. Werden sollen. Denn außer einem Ehepaar im besten Alter, dass um einen der Tourans herumschleicht und einem weiteren Duo, dass sich Brezen und "Obazda" (eine bayerische Käsezubereitung) schmecken lässt, hängen nur noch sechs gelangweilte Verkaufsberater herum.
"Nein", versichern zwei der Verkäufer, an der Wiesn (so sagt der Bayer zum Oktoberfest) kann es nicht liegen, dass niemand kommt, das liegt am Abgasskandal. Ein anderer Neuwagenberater wird konkreter. "Dass bei einem neuen VW bei uns im Autohaus so rein gar nichts los ist, habe ich noch nicht erlebt".
Da wir (also er genauso wie ich) Zeit haben, rechnen wir mal an einem Leasingangebot für einen Passat herum. Die monatliche Rate ist jetzt nicht unbedingt niedriger als bei einem BMW, der aber 10.000 Euro mehr nach Liste kostet, aber der Verkäufer weiß:
"Wenn Sie das Auto nicht sofort brauchen, warten wir mal ein paar Wochen". Er ist sich sicher, dass die Konditionen bei VW wegen dem Abgasskandal deutlich angepasst werden.
Einer der beiden Ehegatten raunt herumschleichend: "Jaja, schöne Autos aber diese unsäglichen Motoren, was soll man denn nun kaufen?" und zeigt damit, dass die Verbraucher verunsichert sind.
Wie auch das Gros der Führungskräfte bei VW. Im Vorstand wurde am Freitag munter "Reise nach Jerusalem" gespielt. Nein, eigentlich schon länger. Als die Musik das erste Mal aus war, standen plötzlich Martin Winterkorn, Audi-Oberentwickler Ulrich Hackenberg, Konzern-Entwicklungsvorstand Heinz-Jakob Neußer und Porsche Entwicklungschef Wolfgang Hatz ohne Stuhl da und mussten gehen. Bei gemutmaßten 38 Millionen Euro Abfindung für Herrn Winterkorn kann von "musste seinen Hut nehmen" oder ähnlichen Floskeln übrigens nur schwerlich gesprochen werden.
Das muntere Spiel ging weiter und nun wieder ein Stuhl weniger als Leute da: Christian Klingler, Vorstand für Vertrieb und Marketing - sowohl für den Konzern wie auch die Marke Volkswagen - traf es, auf Wiedersehen. Die anderen sitzen nun teilweise auf neuen Stühlen. Porsche-Chef Matthias Müller ist neuer Konzernvorstand, das kommt nicht überraschend und war trotz Winterkorns scheinbar festem Sitz nur eine Frage der Zeit.
Darunter wird es wilder. SEAT Vorstand Jürgen Stackmann muss schon wieder Koffer packen. Statt Strand in Barcelona nun Spazierwege am Mittellandkanal. Er übernimmt bereits kommende Woche den Job von Christian Klingler. Neuer erster Mann bei SEAT wird Luca de Meo, bis gestern noch Marketing- und Vertriebsvorstand bei Audi in Ingolstadt.
Skodachef Winfried Vahland wird Vorstand bei VW für das neue Ressort Nordamerika (dazu gehören die bei VW USA, Kanada und Mexico). Der US-Präsident Michael Horn bleibt übrigens im Amt. Bernhard Maier packt in Stuttgart, der Vertriebs- und Marketinghäuptling von Porsche wird neuer Skoda-CEO.
Zu viele Namen auf einmal? Das musste mal sein, denn es zeigt einen Paradigmenwechsel bei Volkswagen. Das Unternehmen war bisher von Technokraten regiert, nun werden Vertriebs- und Marketingspezialisten an die Schaltstellen des Unternehmens gesetzt. Um zu retten, was zu retten ist? Ob der Weggang von Weltklasseingenieuren wie Winterkorn und Hackenberg sich langfristig im Produktangebot widerspiegelt, muss sich zeigen.
Nochmal ins Autohaus. Nach VW geht es zu Skoda, auch hier ist heute Vormittagssause, der Superb Combi hat offizielle Markteinführung. Liegt es daran, dass sämtliche Händler den großen Wagen schon seit drei Wochen im Verkaufsraum haben? Auch hier eher wenig "Traffic". Das Wilkommensangebot des Verkäufers: "Nehmen Sie sich bitte was zu Essen und zu Trinken, wir haben mehr eingekauft, als wir brauchen". Auch hier also ein ähnliches Bild, aber bei weitem nicht so schlimm wie bei der Kernmarke. Was auch ein bisschen das kurz gedachte Bild der Verbraucher zeigt: Die Konzernmarken sind genauso betroffen, der wirklich böse ist aber nur VW. Nun gut.
Ja, der Volkswagen-Konzern hat einen massiven Vertrauensmissbrauch betrieben, es wurde kein einfacher Fehler begangen, sondern vorsätzlicher Betrug veranstaltet. Das Ziel "größter Autobauer der Welt" sollte erstmal kassiert werden. Aber: Wer sich heute ein Auto kaufen will, der muss nicht Angst haben, ein Fahrzeug mit "Schummel-Software" zu bekommen. Die aktuellen Modelle auf Basis des neuen Baukastens haben einen anderen Motor, zudem mit Euro 6. Betroffen sind - nach aktuellem Kenntnisstand - Motoren mit den Abgasnormen Euro 4 und 5. VW Golf der sechsten Generation, der gerade auslaufende Tiguan, Nischenprodukte wie Jetta und Scirocco. Und auch die Geschwister von Audi, Seat und Skoda, z.B. A3, A4, Altea, Leon und Octavia.
Wenn ich bei Volkswagen mitreden dürfte, würde ich eine umfassende Marketingkampagne planen. Nach einer schonungslosen Aufklärung - auch verbunden mit weiteren Marktanteilsverlusten in den USA und in Europa - sollte fix eine nochmals überarbeitete TDI-Generation eingeführt werden. Diese Modelle müssten dann publikumswirksam mit einer Eintauschprämie beworben werden. Jeder Kunde, der einen alten VW, Seat, Skoda oder Audi in Zahlung gibt - egal welches Modell, welches Baujahr, welcher Motor, bekommt eine extra Prämie. Nicht nur 2.000 Euro, es sollten schon eher 7.000 sein. Dazu günstige Finanzierungen und Leasingangebote. Dazu sollte Volkswagen mindestens die Abgaswerte der betroffenen Autos im Skandal durch die Investition in Regenwald- oder andere Umweltprojekte wieder kompensieren. Kann sich eine Firma nicht leisten? Nun, 18 Milliarden Dollar Strafe alleine in den USA kann sich auch keiner leisten, hätten wir vor ein paar Wochen noch gedacht.
Die aktuell Kampagne "Think New" geht nun natürlich nach hinten los. Neues Denken muss aber in der Tat her beim bisher zu selbstsicheren Autobauer aus Wolfsburg, und die Bestandskunden müssen mitgenommen werden. Und das auch gerne in Elektro- oder Plug-In-VWs, es muss ja nicht immer Diesel sein.