Andere reden und planen, Aiways kommt. Erste Fahrt im neuen Elektro-SUV Aiways U5 aus China.
Es gab und gibt in der Automobilindustrie Projekte, über die regelmäßig und viel gesprochen wird. Meist handelt es sich dabei um Elektrofahrzeuge, die ganz oder teilweise in China entstehen. Marken werden gegründet, Prototypen gezeigt, dann darf man sich mal reinsetzen, eine Runde auf dem Beifahrer oder vielleicht sogar – dann lacht das Autotesterherz – auch mal selbst hinter das Steuer. Zumindest ein paar Minuten, auf abgesperrtem Terrain.
Die Auftritte sind wichtig, um neue Investoren anzulocken, um die Firma und das Produkt ins Gespräch zu bringen. Faraday Future, Lucid Motors oder Byton sind solche Namen – wobei aber Byton bald mit der Serienfertigung starten soll. Das hat Nio bereits erledigt, die Autos gibt es in China – aber finanziell geht es dem Unternehmen nicht bestens.
Der Aiways U5 im Video-Review
Und dann kommt ein Start-up mit dem Namen Aiways ums Eck. 2017, als „die anderen“ schon große Messeauftritte auf CES und Co. hinter sich hatten, wird die Firma in China gegründet. Man versammelt Zulieferer wie Bosch um sich und holt sich Entwicklungs-Know-how vom ehemaligen Audi-Mann Roland Gumpert ins Haus.
Nur zwei Jahre später zeigt Aiways auf dem Genfer Salon 2019 den U5. Ein Jahr später sollte die Serienversion an gleicher Stelle stehen. Nicht die für China, sondern das Modell für Europa. Der Genfer Salon 2020 findet, das ist bekannt, aufgrund der Coronavirus-Krise nicht statt. Während andere Premieren im Online-Livestream-Dschungel untergehen, reagieren die Chinesen wieder schnell und laden am Tag zur Absage der Messe zu einem anderen Termin.
Erste Fahrt im Elektro-SUV
„Hier ist der Schlüssel.“ Und los geht’s. Man darf den U5 mitnehmen, fahren, ausprobieren. Ohne Aufpasser (nennen wir es im Marketing-Denglisch „Car Explainer“) an Bord. Gesagt, getan.
Das Platzangebot des 4,68 Meter langen Aiways U5 sorgt für das erste Aha-Erlebnis. Klar, der Elektroantrieb spart einen großen Motor oder gar einen Getriebetunnel. Aber trotzdem staunt der 1,92 Meter große Autor vor allem im Fond über lichte Flächen und große Weiten zu den Vordersitzen. Trotz der Lithium-Ionen-Akkus mit 63 kWh Speicherkapazität im Boden (zugeliefert von CATL) sitzt man ausreichend hoch, muss die Beine nicht stark anwinkeln.
Auch vorne gibt es viel Bewegungsraum in alle Richtungen und ziemlich bequeme Sitze. Hier passen auch die Kopfstützen, die im Fond nicht weit genug verstellbar sind. Die Verarbeitung kümmert sich um das nächste positive Kopfnicken. Sauber geführte Kontrastnähte, perforierte Lederpartien, griffsympathische Kunststoffe in den Türverkleidungen und auf der Oberseite des Armaturenbretts sind von Vorurteilen an ein Fernost-Billig-Produkt so weit weg wie Shanghai von München – in beiden Städten gibt es Büros mit dem Namen Aiways auf dem Klingelschild.
Hinter dem kleinen, oben und unten abgeflachten Lenkrad, gibt es drei Displays für alle Fahrrelevanten Anzeigen. Mittig sitzt ein 12,3 Zoll großes Infotainment-Display. Im Testwagen, einem Vorserienmodell aus dem Sommer 2019, funktionierte ein Teil des Menüs nur auf Chinesisch. Alle fahrzeugrelevanten Funktionen konnte man aber ansteuern. Ausschließlich über den Touchscreen, Knöpfe fehlen komplett.
Bremse mit Nachholbedarf
Leider auch Schaltwippen hinter dem Lenkrad. So muss man die Rekuperationsstufe, von denen es im Aiways U5 immerhin drei gibt, über den trägen Bildschirm einstellen. Das macht man nicht mal so schnell vor dem Ampelstau. Wenn sich die Ingenieure hier nochmal heransetzen, könnten sie sich gleich mit der Bremse an sich beschäftigen. Auf einem langen Pedalweg verliert sich der Fuß erst im Leeren, dann greift die Anlage plötzlich zu – auf den ersten Metern kommt man sich vor wie ein Fahrschüler.
Der 140 kW (190 PS) starke und maximal 315 Newtonmeter Drehmoment bereitstellende Elektroantrieb des Aiways U5 sorgt für ausreichende Fahrleistungen, ohne aber wirkliche Dynamik zu bieten. Aber will das der Fahrer einen geräumigen Familien-SUV? Genaue Fahrleistungen nennen die Chinesen noch nicht, aber innerorts und auf Landstraßen wird man nicht zum Verkehrshindernis. Auf der Autobahn geht dem U5 ab circa 150 km/h die Lust verloren.
Kurven durcheilt der Aiways mit kräftiger Seitenneigung und man merkt die fast 1,8 Tonnen Leergewicht, wenn sie sich ums Eck werfen lassen müssen. Wenn wir gerade beim Gewicht sind: Eine Anhängelast für den U5 nennt Aiways noch nicht – kurz nach dem Marktstart soll eine Anhängerkupplung nachgereicht werden.
Der WLTP-Normverbrauch liegt bei 16,4 bis 17,3 kWh Strom auf 100 Kilometer, der Bordcomputer zeigte am Ende des Testtages Werte um 20 kWh an. Laut Hersteller kann der U5 mit bis zu 90 kW am Schnelllader Strom saugen, der Testwagen zapfte kurzzeitig mit knapp 63 kW über den CCS-Stecker.
Unter 40.000 Euro wird der Aiways U5 kosten. In der einzigen Ausstattungsvariante – mit „einmal alles, bitte“. Lederbezüge, Leichtmetallfelgen, LED-Scheinwerfer, Panoramadach, Onlinefunktion für Over-the-air-Updates und so weiter.
Vertrieb über Euronics, Service bei A.T.U.
In einem ersten Schritt wird man den Aiways U5 nur leasen können – für die genauen Raten werden aktuell noch die Taschenrechner bemüht. Später soll man das Elektro-SUV auch abonnieren und kaufen können. Der Vertragspartner für Kunden ist Aiways direkt, alles läuft online.
Für die Fahrzeugpräsentation in Showrooms und Probefahrten kooperiert Aiways mit der Elektrofachmarktkette Euronics. In bundesweit verteilten Standorten des Einzelhändlers soll es Anlaufstellen für Aiways-Interessenten geben. Den Service erledigt A.T.U. Wenn man denn mal hinmuss. Das Wartungsintervall gibt Aiways mit 100.000 Kilometern (ja, hunderttausend!) an.
Fazit zum Aiways U5
Hut ab. Zum fairen Preis von knapp 40.000 Euro, mit dem der Aiways U5 wesentlich kleinere Elektro-Konkurrenten wie Hyundai Kona oder Kia e-Niro deutlich unterbietet, serviert das chinesische Start-up ein anständiges Auto mit schickem Design und guter Verarbeitung. Wenn man die Zeit bis zum Marktstart jetzt noch für die Feinabstimmung von Fahrwerk und Bremsen nutzt, dürfte der U5 auch deutschen SUV-Kunden schmecken.
Wichtig für einen erfolgreichen Markteintritt ist das Vertriebskonzept. Es müssen ausreichend Standorte für Probefahrten und eine fundierte Beratung vorhanden sein. Aber auch das dürfte Aiways in den kommenden Monaten regeln – wetten?
Technische Daten
Aiways U5 |
|
---|---|
Getriebe | Eingang-Reduktionsgetriebe |
Elektromotor: Maximale Leistung kW | 140 kW (190 PS) |
Elektromotor: Maximales Drehmoment | 315 Nm |
Batterie | 63 kWh Lithium-Ionen |
Norm-Verbrauch kWh / 100 km | 16,4 - 17,3 kWh |
Leergewicht | ca. 1.780 kg |
Anhängelast (gebremst) | n/a |
Länge / Breite / Höhe | 4,68 / 1,87 / 1,70 Meter |
Grundpreis | unter 40.000 Euro |