Aiways U6 Mehr als nur schräg

Der Aiways U6 ist nicht nur das SUV-Coupé auf Basis des U5. Warum? Das klärt der Fahrbericht mit Video-Review.

Der chinesische Elektroauto-Hersteller Aiways erweitert sein Angebot mit dem U6 um ein zweites Modell. Dabei handelt sich um die SUV-Coupé-Version des seit 2020 angebotenen U5. Auf das schräge Heck beschränken sich die Unterschiede jedoch nicht. In den U6 sind viele Neuerungen bei Infotainment und Antrieb eingeflossen.

Der Aiways U6 im Video

Unverändert bleibt die Plattform des Mittelklasse-SUV, MAS (More Adaptable Structure) genannt. Im Fahrzeugboden ruht ein von CATL zugelieferter Lithium-Ionen-Akku mit einer Speicherkapazität von 63 kWh (brutto). Das soll, den Normverbrauch von 16 kWh auf 100 Kilometer zugrunde gelegt, für eine Reichweite von 405 Kilometern sorgen.

Der Stromverbraucher sitzt vorne und treibt dort die Räder an. Im Gegensatz zum zugelieferten Bauteil im U5 mit 150 kW (204 PS) arbeitet im Aiways U6 ein selbstentwickelter Elektromotor. Die permanenterregte Synchronmaschine leistet 160 kW (218 PS) und entwickelt ein maximales Drehmoment von 315 Newtonmetern.

So fährt sich der U6

Der Motorstart erfolgt automatisch, sobald man nach dem Einsteigen das Bremspedal tritt und eine Fahrstufe einlegt. Im Gegensatz zum Drehschalter des U5 hält der U6 hierfür eine riesige Walze auf der Mittelkonsole bereit, die an den Schubhebel eines Flugzeugs erinnert.

Schon auf trockener Straße überfällt die Drehmoment-Welle die Ganzjahresreifen des Testwagens. Bei Nässe könnte schon jetzt die Traktionskontrolle einsetzen. Ein Test bei schlechtem Wetter steht noch aus. Lösen lässt sich dieser Überfall mit einer gesunden Portion Sensibilität im rechten Fuß des Fahrers.

Unterwegs treibt die Maschine den knapp 1,8 Tonnen schweren Aiways U6 mit ausreichendem Nachdruck voran. In 6,9 Sekunden geht im unter Idealzuständen aus dem Stand auf 100 km/h (U5: 7,8 Sekunden). Die Höchstgeschwindigkeit wird bei 160 km/h abgeregelt. Weniger, als die Karosserie mit Aerodynamik-Flaps und Spoilerlippen optisch verspricht, im Alltag aber ausreichend.

Die Lenkung überzeugt noch nicht

Aiways U6 Elektro SUV Coupe Elektroauto Test Fahrbericht Video Review 2023

Wenig dynamisch wirkt die leichtgängige Lenkung, der es vor allem um die Mittellage an einer Motivation zur Rückmeldung fehlt. Das Resultat sind teils eckig gefahrene Kurvenverläufe. Hier helfen auch die unterschiedlichen Fahrmodi, darunter eine Sport-Einstellung, nicht.
Im „Pedal“-Modus liefert der Chinese seine maximale Energierekuperation. Reines Ein-Pedal-Fahren ist damit aber nicht möglich. Für einen vollständigen Stopp muss man ab etwa 15 km/h das Bremspedal betätigen.

Verbrauch: 19,1 kWh/100 km

Aiways U6 Elektro SUV Coupe Elektroauto Test Fahrbericht Video Review 2023

Deutlich straffer als im komfortbetonten U5 fällt die Abstimmung des Fahrwerks aus. Dazu kommen größere 20-Zoll-Räder und mit ihnen mehr ungefederte Massen. Bei Stadttempo rumpelt der Aiways U6 stramm über Wurzelaufbrüche oder Querfugen. Im Gegensatz dazu freut mich sich auf eiligen Kurvenstrecken über den gut fühlbaren Bodenkontakt – wenn halt nur die indifferente Lenkung nicht als Spielverderber gelten würde.

Am Ende des Testtages in Portugal, bei dem auf Autobahnabschnitten das geltende Tempolimit von 120 km/h nicht überschritten wurde und wir auch viel in den Bergen um die Metropole Lissabon unterwegs waren, zeigt der Bordcomputer einen Verbrauchswert von 19,1 kWh auf 100 Kilometer an. Knapp über 300 Kilometer wären also machbar. Im Alltag dürfte man den Stromverbrauch senken können. Was sich genau „herausfahren“ lässt, muss ein späterer Alltagstest klären.

90 kW Ladeleistung

Aiways U6 Elektro SUV Coupe Elektroauto Test Fahrbericht Video Review 2023

Der dann kann auch das Ladeverhalten des Autos aufdecken. Die Ladestecker befinden sich jetzt im vorderen linken Kotflügel. Die aufrechte Position der Anschlüsse ist ergonomischer als das quer liegende CCS-Typ-2-Paar unter dem Frontscheinwerfer im U5. Beim Laden an einer Säule in der Innenstadt muss man aber auf der Straßenseite des geparkten Autos mit dem Kabel hantieren.

90 kW Ladeleistung verspricht er Hersteller am Schnelllader. Damit, und auch mit 11 kW (dreiphasig) bei Wechselstrom (Wallbox, Ladesäule), liegt das Fließheckmodell auf dem Niveau seines Bruders.

Modernes Cockpit, zeitgemäßes Infotainment

Aiways U6 Elektro SUV Coupe Elektroauto Test Fahrbericht Video Review 2023

Dass der Aiways U6 ein jüngeres Auto ist als der U5, zeigt er auf den ersten Blick im Innenraum. Das Cockpit wirkt deutlich moderner. Hinter dem Zweispeichenlenkrad mit physischen Bedienelementen blickt man auf ein kleines, in das Armaturenbrett integriertes, Display für alle fahrrelevanten Informationen. Darstellung auf Auflösung sind deutlich besser als beim Display-Trio im U5.

Auf der Mittelkonsole dominiert ein 14,6 Zoll großer Touchscreen die Szenerie. Die Software ist neu und durchaus zeitgemäß. Apple CarPlay (nur mit Kabel) und Android Auto (auch kabellos) sind an Bord. Ein werksseitiges Navigationssystem fehlt. Trotzdem soll man auf Reisen auch die Ladeplanung in seine Routenführung einbauen können.

Hierfür kooperiert Aiways mit den Programmierern der PUMP-App. Leider ist die Nutzung dieses Programms für Aiways-Kunden nur für drei Monate kostenlos. Zu einem späteren Zeitpunkt soll sich mit der Navigation über die App, die mit den Schnittstellen im Auto kommuniziert, auch eine Vorkonditionierung des Akkus bewerkstelligen lassen. Aktuell kann man ihn per Touchscreen-Befehl vorheizen.

Wer mag, kann per Fingertipp auch die Ladeklappe oder Fenster öffnen. Wichtiger sind gewiss die Klimaeinstellungen. Das gelingt im Stand gut, während der Fahrt muss man wegen kleiner Icons genau hinsehen. Ob die im U5 arg schwache Sitzheizung für den U6 verbessert wurde, konnte bei warmen Frühjahrestemperaturen nicht wirklich ausprobiert werden.

Folgt noch ein Feinschliff der Software?

Aiways U6 Elektro SUV Coupe Elektroauto Test Fahrbericht Video Review 2023

Manche Funktionen in den Menüs lassen sich erst durch mehrmaligen Fingerdruck zur Arbeit überreden, dazu kommen teils lange Ladezeiten zur Umsetzung eines Befehls in die Funktion, beispielsweise beim Ändern des Fahrmodus. Hier dürften die Softwareentwickler bis zur Auslieferung von Kundenfahrzeugen gerne nochmal Hand anlegen.

Das linke Drittel des Bildschirms ist fix für die Anzeigen des Bordcomputers und der Fahrassistenten vorgesehen. Neben einer adaptiven Geschwindigkeitsregelanlage assistiert der U6 nach Schubser am Lenkrad auch beim Spurwechsel. Beim Rangieren helfen eine 360-Grad-Kamera und Sensoren an beiden Enden der 4,80 Meter langen Karosserie.

Das Interieur des Aiways U6 ist stets dreifarbig in Blau, Weiß und Rot. Die Verbindung mit der Außenlackierung in „Mint Green“ (daneben gibt es noch Gelb, Schwarz und Weiß) ist mindestens mutig.

Schicke Materialien und viel Platz

Aiways U6 Elektro SUV Coupe Elektroauto Test Fahrbericht Video Review 2023

Die teils aus Kunstleder hergestellten Materialien gefallen optisch und haptisch. Einmal mehr überzeugt auch die gute Verarbeitung eines Aiways-Interieurs. Die Vordersitze mit integrierten Kopfstützen sorgen für eine bequeme Position. Im Fond bietet der U6 formidablen Knieraum. Trotz einer, im Vergleich zumU5, um sieben Zentimeter reduzierten Karosseriehöhe und des abfallenden Dachverlaufs passt auch die Kopffreiheit für große Personen im Fond. Das serienmäßige Glasdach ohne Öffnungsfunktion gewährt hier wertvolle Zentimeter.

Etwas kleiner als beim Steilheck-Bruder ist der Kofferraum des Aiways U6, der 472 bis 1.260 Liter fasst. Die Lehne der Rücksitzbank ist geteilt umlegbar, was für eine leicht ansteigende Ladefläche sorgt. Auch die Seitenwände sind mit Teppich ausgeschlagen, was Kratzer verhindert. Im Pressetestwagen zeigt die Auslegeware aber schon deutliche Abnutzungserscheinungen, wohl ausgelöst durch häufiges Ein- und Ausladen von Koffern und Taschen.

Das kostet der Aiways U6

Aiways U6 Elektro SUV Coupe Elektroauto Test Fahrbericht Video Review 2023

Den U6 bietet Aiways nur in einer Ausstattungslinie namens Prime an. Der Preis liegt, vor Abzug einer Förderung, bei 47.590 Euro. Optionen gibt es keine. Auch die Wahl der Karosseriefarbe ist aufpreisfrei. Zur Serienausstattung des Aiways U6 gehören neben dem Glasdach und 20 Zoll großen Leichtmetallfelgen auch eine Wärmepumpe für stabile Reichweiten im Winter, Zweizonen-Klimaautomatik, elektrisch verstellbare Vordersitze mit Heizung und Ambientelicht. Beim Öffnen einer Tür blinken die LED-Lichtpunkte. Das kann, vor allem bei Dunkelheit, nachfolgenden Verkehr warnen.

Der U5 im Vergleich

Aiways U6 Elektro SUV Coupe Elektroauto Test Fahrbericht Video Review 2023

Ein U5 Prime ist rund 2.000 Euro günstiger. Neben der Mehrleistung von 10 kW (14 PS) bietet der Neuling für diesen Aufpreis das deutlich modernere Softwarepaket mit stabiler Smartphone-Integration, besserer Bedienstruktur und gut ablesbaren Anzeigen. Der U5 dürfte hier bei einem kommenden Facelift nachziehen.

Während einer Probefahrt sollte man als Interessant ausprobieren, ob man eher ein Fan der straffen Fahrwerksabstimmung des U6 ist, oder den softeren U5 bevorzugt. Nur ihn gibt es auch als Basismodell mit Stoffsitzen und reduzierter Serienausstattung zum günstigeren Preis.

Wo kauft man einen Aiways?

Aiways U6 Elektro SUV Coupe Elektroauto Test Fahrbericht Video Review 2023

Im Wettbewerbsumfeld ist der Aiways U6, angesichts seiner Ausstattung, günstig aber kein unbedingtes Schnäppchen-Angebot. Dazu kommt die Hürde im Vertrieb. Denn wer das Auto nicht blind auf der Website des Herstellers bestellen will, muss zur Beratung und für eine Probefahrt eine Filiale der Elektronikfachmarkt-Kette Euronics aufsuchen, die Aiways-Partner ist. Den Service der Fahrzeuge erledigen dafür beauftragte ATU-Filialen.

Fazit

Aiways U6 Elektro SUV Coupe Elektroauto Test Fahrbericht Video Review 2023

Ungeachtet einer nie enden wollenden Diskussion über Sinn und Unsinn eines SUV-Coupé markiert der neue Aiways U6 einen großen Schritt nach vorne. Das Cockpit wirkt moderner und edler als im U5, die Infotainmentsoftware läuft stabiler. Kleine Bugs dürften rasch behoben sein.

Verarbeitung und Platzangebot liegen auf hohem Niveau, die Leistung des Elektroantriebs ist für den Alltag voll ausreichend. Trotz guter Ausstattung markieren 47.590 Euro einen Tarif, der den Preis als vorherrschendes Verkaufsargument für den neuen Chinesen ausschließt. Gut, dass der U6 auch andere Qualitäten bietet.

Hintergrund zur Marke

Aiways U6 Elektro SUV Coupe Elektroauto Test Fahrbericht Video Review 2023

Das chinesische Unternehmen mit Sitz in Shanghai wurde im Jahr 2017 gegründet. Schon drei Jahre später rollte mit dem U5 das erste Elektroauto der Marke auf die Straße. Deutschland war einer der ersten Märkte, mittlerweile verkauft Aiways den U5 (und jetzt auch den U6) in 14 europäischen Ländern und in Israel. Im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern sind die Exportaktivitäten, die Aiways aus einem Büro in München heraus betreibt, nicht nur ein Anhängsel des China-Geschäfts. Auch im Heimatland ist die Marke ein sehr kleiner Anbieter.

Über Pläne zum weiteren Ausbau der Modellpalette ist aktuell nichts bekannt. Wohl im kommenden Jahr dürfte als Neuheit ein Facelift des Aiways U5 folgen, mit dem der U6-Innenraum ebenso einzieht wie der neue Elektromotor.

Technische Daten

Aiways U6

Antrieb Frontantrieb
Getriebe Eingang-Reduktionsgetriebe
Elektromotor: Maximale Leistung kW 160 kW (218 PS)
Elektromotor: Maximales Drehmoment 315 Nm
Batterie 63 kWh, Lithium-Ionen
Maximale Ladeleistung Gleichstrom (DC) 90 kW
Maximale Ladeleistung Wechselstrom (AC) 11 kW (dreiphasig)
Beschleuningung 0-100 km/h 6,9 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 160 km/h
Norm-Verbrauch kWh / 100 km 16 kWh
Realer Verbrauch im Testzeitraum kWh/100 km 19,1 kWh (lt. Bordcomputer)
Reifenmarke und –format des Testwagens Continental AllSeason Contact 235/45 R20
Leergewicht 1.790 kg
Anhängelast (gebremst) n/a
Länge / Breite / Höhe 4.805 / 1.880 / 1.641 mm
Grundpreis 47.590 Euro
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Text: Bernd Conrad
Bilder: Matthias Gill, Bernd Conrad