Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio Die Schöne und das Biest

...vereint in einer Maschine. Durch den Alltag im 510 PS-Alfa



Jetzt mal ehrlich: Jungs und Mädels denken sich doch, so ein Autotesterdasein ist wie das Paradies auf Erden. Man darf mit neuen Modellen in der Gegen herumfahren und am Ende setzt man sich hin und schreibt das mal kurz auf.

Wenn es doch so einfach wäre. Das denkst du dir zum Beispiel dann, wenn Herz, Hirn und Finger sich vor der Tastatur nicht einig werden, wie man hoch emotionale Erfahrungen nüchtern und einigermaßen sachlich auf den Bildschirm bringt.

Es gibt sie gewiss, die abgebrühten Journalisten, die einer Schönheit wie der Alfa Romeo Giulia Blendwerk unterstellen, sich am nicht topaktuellen Infotainment aufhängen oder monieren, dass statt moderner LED noch Xenonlichter in die Welt strahlen.

Und dann gibt es da noch die Feingeister. Die das aktuelle Mittelklassemodell von Alfa Romeo mal wieder mit ein paar Mängeln zu nehmen wissen, die sich lieber am absolut stilsicheren Interieur, er erogenen Zone namens Lenkrad und der perfekten Sitzposition erfreuen. Vom Design ganz zu schweigen.

Denen aber dann kurz der Atem stockt, wenn sie das grüne Kleeblatt auf dem Kühlergrill entdecken. Seit den 1920er Jahren ist der Glücksbringer das Markenzeichen für Alfa Romeos, die sich die Rennstrecke zum Laufsteg machen.

Und da gehört auch die aktuelle Giulia Quadrifoglio hin. 375 kW, das sind 510 PS, haut der 2,9 Liter große V6 mit 600 Nm maximalem Drehmoment auf die Hinterräder. Was dazu führt, dass Madame nach der Ampel auf der Bundesstraße auch gerne mal quer losfährt, den Hintern heraushängen lässt, genau an der Grenze, bevor die Sittenpolizei in Form des ESP zum Einsatz schreitet.

Klar, sie hätte mit Allradantrieb mehr Traktion, was auch die minimal bessere Beschleunigungszeit des schwereren und größeren SUV-Bruders Stelvio Quadrifoglio (mit Allrad) zeigt: 3,8 statt 3,9 Sekunden. Aber das kann ja jeder.

Die Giulia Quadrifoglio fordert dich mit jedem Meter. Und sie fördert. Schnell lernst du, den Urgewalten zu vertrauen, die sich erst sanft geben, aber später dann mit derart heftigen Fanfaren aus den vier armdicken Endrohren posaunen, dass gefühlt der komplette Hinterwagen abreißt.

Im Alltag dümpelt der Alfa eigentlich ständig im Standgas vor sich hin, langweilt sich dabei so richtig. Freie Autobahn? Da geht er über 300 km/h (mit höheroktanigem Sprit) und erledigt das wie andere einen Bordsteinhopser. Straßenlage? Geradeauslauf? Auch dann perfekt und beherrschbar. Das Video (bis 294 km/h) dazu gibt es hier.

Anlauf für die Beschleunigung? Hier nicht, nach der Giulia Quadrifoglio kommt gefühlt nur noch eine Zeitmaschine in der Nahrungskette. Durst kommt dabei auf im Motorraum, Vollgasetappen saugen den Tank schneller leer als die Nadel anzeigen kann.

Das Biest, das sich in der schönen Schale versteckt, muss eben bei Laune gehalten werden. Da vermiesen auch die Quietschgeräusche der schlecht dosierbaren und sündhaft teuren Karbon-Keramik-Bremsscheiben kaum die Laune. Eine 7.500 Euro teure Option, die man sich sparen kann. Dann lieber 3.900 Euro in die Sparco-Schalensitze investieren. Selten saß man besser, mit tollem Seitenhalt und harter Polsterung, aber keinesfalls unbequem.

Alfa Romeo Giulia Quadrfoglio Test

Den Pragmatikern unter den Rennfahrern sei versichert: Auf der Rücksitzbank bietet die Giulia Quadrifoglio ausreichend Platz nach vorne und nach oben für Kindersitze und erwachsene Mitfahrer. Zwei dürfen es sein, gegen Aufpreis gibt es einen fünften Platz mit eigener Kopfstütze.

Während BMWs M4 den Respektabstand zur 500 PS-Marke weiterhin einhält und die AMG-Modelle von Mercedes, auch durch verhältnismäßig günstige Leasingraten, inflationär in den Markt strömen, ist und bleibt die Giulia Quadrifoglio ein Hochleistungssportwagen für Kenner. Wovon es einige gibt.

20 Prozent der 2017 in Deutschland verkauften Giulias haben den 510 PS-Motor unter der Haube. In absoluten Zahlen: 500 von ungefähr 2.500 Autos, Mietwagenzulassungen der Diesellimousinen mit eingerechnet.

Fazit zur Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio

Alfa Romeo Giulia Quadrfoglio Test

Auch wenn das einst absolute „No“ des verstorbenen Konzernlenkers Sergio Marchionne zum Thema viertüriger Ferrari spätestens mit dem geplanten SUV hinfällig wird, so kann man das familienfreundliche Alltagsauto doch schon längst kaufen.

Statt einem Pferd im Logo trägt es nur ein Kleeblatt an den Flanken.Und sieht dabei mindestens so gut aus wie die Maschinen aus Maranello. Ein Traumwagen für schlaflose Nächte also, denn nur dann sind die Straßen frei genug, das Biest herauszulassen.

Technische Daten

Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio

Hubraum 2.891 ccm
Anzahl und Bauform Zylinder V6
Maximale Leistung kW / PS 375 kW / 510 PS bei 6.500 U/min
Max. Drehmoment 600 Nm bei 2.500 - 5.000 U/min
Getriebe Achtgang-Automatik
Beschleuningung 0-100 km/h 3,9 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 307 km/h
Norm-Verbrauch auf 100km 8,2 Liter
Reifenmarke und –format des Testwagens Pirelli P Zero 235/45 ZR19 vorne / 285/45 ZR19 hinten
Leergewicht 1.695 kg
Länge / Breite / Höhe 4.639 / 1.873 / 1.426 mm
Grundpreis 79.000 Euro
Testwagenpreis 98.300 Euro
Teile das!
Text: Bernd Conrad
Bilder: Bernd Conrad