Alltag mit dem Elektroauto Lohnt sich der Umstieg?

Im Selbstversuch: Gelingt der Alltag im Elektroauto ohne Einschränkungen?

Das Jahr 2020 dürfte zumindest aus automobiler Sicht einen Wendepunkt darstellen. Endlich kommt eine größere Modellvielfalt von Elektroautos in den Handel, das Timing ist dabei kein Zufall. Die neuen CO2-Grenzwerte der EU gelten erstmals, alle verkauften Autos eines Herstellers dürfen im Branchendurchschnitt (es gibt Unterschiede, je nach Gewicht) nur 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Nach einer Übergangsfirst drohen saftige Strafen. Elektroautos sind „Super Credits“ und zählen doppelt als Null-Gramm-Element.

Nur gut informiert ins Autohaus!

Das führt auch dazu, dass man sich als Kunde nochmals besser informieren sollte, bevor man ein Autohaus betritt (oder online ein Auto kauft). Verschiedene Quellen aus dem Handel berichten, dass Hersteller die Margen (also das Geld, was Autohaus und Verkäufer verdienen) bei Verbrennern massiv gekürzt wurden und im Gegenzug für Hybride und vor allem Elektroautos deutlich steigen. Übrigens: Hier dürften die Händler am Ende die Leidtragenden sein, wenn die Hersteller ihre Elektroautos weiterhin in derart überschaubaren Mengen liefern wie bisher. Verdient wird nämlich erst bei der Neuzulassung.

Ob ein elektrifiziertes Auto für den eigenen Alltag Sinn macht, muss man sich genau überlegen. Einen kleinen Leitfaden gibt dieser Selbstversuch nach einigen Wochen im privaten Elektroauto.

Elektroautos bringen Fahrspaß

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Der Fahrspaß war lange eines der Hauptkriterien beim Autokauf. In Zeiten der Klimadebatte und des Wandels der Antriebstechnologie darf das auch heute noch gelten. Seltsam, dass kaum ein Autohersteller die Fahrfreude eines E-Autos kommuniziert.

Große Batteriepakete liegen meist im Boden des Autos, was den Schwerpunkt nach unten zieht und damit für ein sattes Fahrgefühl und gute Straßenlage sorgt. Außerdem muss ein Elektromotor sein Drehmoment – und damit die für das Vorankommen wirklich wichtige Kraft – nicht erst aufbauen oder sich von einem Turbolader reinblasen lassen.

Der Kia e-Niro mit größerer 64 kWh-Batterie kommt stets mit einem 150 kW (das waren mal 204 PS) -Elektroantrieb. Der sorgt für 395 Nm Drehmoment, sobald das Fahrpedal getreten wird. Damit wird das kompakte SUV, wenn man mag, zur Rakete. Ein Alltagstest zum Auto soll dieser Artikel aber nicht werden, dafür gibt es den Fahrbericht zum Kia e-Niro und einen Alltagstest zum Kia e-Soul , der technisch eng verwandt ist.

Es braucht nicht unbedingt 150 kW für Action. Auch ein Seat Mii Electric oder Skoda Citigo e iV , die wie der VW e-Up einen maximal 61 kW (83 PS) starken Elektromotor haben, sind fidele Autos für Innenstädte und Landstraße.

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Zum kraftvollen Antrieb kommt der neue Komfortmaßstab des leisen Antriebs. Vor allem die genannten Kleinwagen aus dem Volkswagen-Konzern überraschen hier mit ihrer Ruhe, wurden sie doch einst für Verbrennungsmotoren entwickelt. Abrollgeräusche, das Zerren des Windes an den Dachsäulen und mögliches Knistern im Innenraum fällt beim lautlosen Antrieb mehr auf als beim Verbrenner. Der VW e-Golf, der noch bis Mitte 2020 gebaut wird und dann dem ID.3 Platz macht, fiel hier mit Geräuschen aus den Radhäusern, auch beim Bremsen auf.

Preise von Elektroautos

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Neue Technologien starten teuer und werden mit der Zeit günstiger, bei Elektroautos sind vor allem die Batterien der Flaschenhals.
Im direkten Vergleich sind Elektroautos auf den ersten Blick deutlich teurer als ihre Verbrenner-Kollegen. Aber wer einfach denkt, dass ein Opel Corsa-e für 29.900 Euro doppelt so teuer ist wie ein Benziner-Corsa (ab 13.990 Euro), der irrt. Denn den Vergleich in Sachen Ausstattung und Fahrdynamik muss dann schon ein Corsa 1.2 T mit 130 PS für mindestens 23.440 Euro antreten. Heftiger ist der Preissprung zum Elektromodell Peugeot e-2008 . Der technische Verwandte des Corsa kostet mit Elektroantrieb als nobler GT 41.950 Euro, der nochmals besser vergleichbare 155 PS-Benziner in gleicher Ausstattung ist 8.050 Euro günstiger.

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Nach dem Kauf eines Elektroautos kann man – nach erfolgreicher Beantragung beim BAFA (Bundesamt für Güterverkehr und Ausfuhrkontrolle) den Umweltbonus abziehen, den Statt und Hersteller zur Hälfte tragen. Aktuell beträgt er – mit Mehrwertsteuer – 4.380 Euro, wird aber 2020 auf bis zu 6.000 Euro (ohne Mehrwertsteuer) klettern, dabei gibt es Abstufungen je nach Listenpreis des Autos. Dauz kommen auf Dauer günstigere Wartungskosten. Ein Elektroauto hat weniger Bauteile als ein Verbrenner, zudem werden mit geschickter Energierekuperation die Bremsen geschont.

Was kostet der Strom?

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Wer seinen Benziner oder Diesel bislang nur nach ausführlicher Konsultation einer Spritspar-App betankt hat, dürfte im Stromdschungel schnell die Orientierung verlieren.

Noch existieren (zu) viele Abrechnungsmodelle. Erst mit amtlich geeichten Säulen kann eine Abrechnung pro abgegebener Kilowattstunde Strom erfolgen. Aber auch hier gibt es Unterschiede. Je nach Ladekarte gibt es unterschiedliche Tarife.

Die Anbieter solcher Karten sind Roamingpartner der Ladesäulenbetreiber. Die Investition in Abrechnungssysteme, Apps und Websites muss natürlich refinanziert werden. An einer lokalen Ladesäule hier beim AUTONOTIZEN-Büro kostet eine Kilowattstunde 38 Cent Euro (wer aufgepasst hat weiß: Hier wurde geeicht). Aber nur, wenn man mit einer Ladekarte der Kommunalverwaltung lädt. Mit Karten anderer Anbieter wie Plugsurfing steigt der Preis auf eine Kilowattstunde auf 52 Cent.

Drastischer ist ein Beispiel von einer e.ON-Ladesäule und der Plugsurfing-Karte . Anstelle von 7,95 Euro „pro Session“ (Ladevorgang, egal wie viel Strom gezogen wird) über e.ON direkt kostet der gleiche Spaß über Plugsurfing 16,32 Euro.

Reichweite vs Ladedauer

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Damit kommen wir jetzt aber zu einem wichtigen Punkt bei der Auswahl des Elektroautos, das für die persönlichen Bedürfnisse am besten geeignet ist. Statt großer Reichweiten ist nämlich das Ladeverhalten viel wichtiger, um zügig voranzukommen.

Der erwähnte Kia e-Niro mit seiner 64 kWh-Batterie hat laut Norm eine Reichweite von 455 Kilometern, im Alltag waren es bislang bei Außentemperaturen von null bis 18 Grad Celsius circa 330 Kilometer. Der Durchschnittverbrauch pendelte sich zwischen 19,0 und 19,5 kWh auf 100 Kilometer ein.

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Das klingt alltagstauglich und ist es auch. Außer man will zügig laden. Der im November 2019 zugelassene Kia lädt Wechselstrom nur einphasig. Maximal 7,2 kW Ladeleistung packt der Onboard-Lader des e-Niro. Erst jetzt im Modelljahr 2020 kann man optional ein Ladegerät für dreiphasiges Laden mit maximal 10,5 kW bestellen.

Das bedeutet: An der 11 kW-Ladesäule mit Wechselstrom hier im Ort dauert es eine halbe Ewigkeit, bis sich die Lithium-Ionen-Zellen füllen. Dazu kommt stets die Bordelektronik, die je nach Temperatur der Umgebung und des Akkus auch noch bestimmt, wie schnell oder langsam denn geladen wird.

In knapp unter sechs Stunden saugt der Kia 26,24 kWh aus dem Typ-2-Stecker, also Strom für ca. 135 Kilometer Fahrt. Die Kosten mit Roaming-Ladekarte: 13,74 Euro, umgerechnet knapp unter zehn Euro für 100 Kilometer.

Günstiger war ein Besuch am HPC-Charger von Innogy an der Autobahn. Hier wird über Plugsurfing auch „pro Session“ abgerechnet. Für 10,47 Euro wurden 50 kWh Strom geladen, genug für 255 Kilometer. Dieser Ladestopp dauerte eine Stunde und 40 Minuten.

Auch hier gilt: genau informieren! Denn der Kia-Prospekt berichtet von 42 Minuten Ladezeit (von 20 auf 80 Prozent) „an einer 100 kW-Ladestation“. Damit ist aber nicht gesagt, dass der e-Niro auch 100 kW Ladeleistung über CCS aufnehmen kann, auch nicht hier an der 175 kW-Säule. Der genaue Wert war nicht zu ermitteln, dürfte bei idealen Bedingungen (Wetter und Akku-Temperatur) bei ca. 77 kW liegen.

Zuhause das Elektroauto laden?

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Wer sich ein Elektroauto kauft, sollte auf jeden Fall eine Wallbox in die Garage oder das Carport installieren lassen – sofern dies bei der eigenen Wohnsituation möglich ist. Dafür muss ein Elektriker prüfen, ob eine ausreichend gesicherte Leitung vorhanden ist oder problemlos zum Stellplatz gelegt werden kann. Tipp für Mieter: Der Vermieter muss das genehmigen. Kosten für die Installation kann man sich vielleicht später mal vom Nachmieter teilweise ablösen lassen, so wie bei der Einbauküche.

Die 230V-Haushaltssteckdose eignet sich zum dauerhaften Laden eines Elektroautos nur bedingt. Im Fall des Kia e-Niro dauert es fast 18 Stunden (laut Prospekt, im Zweifel länger), bis die Batterie voll ist. Außerdem könnte die hohe Dauerbelastung für Schäden an Leitung, Sicherungs- oder Verteilerkasten bis hin zur Brandgefahr sorgen. Elektroautos mit größerer Batterie wie einen Porsche Taycan (bis 93,4 kWh) müsste man also übers Wochenende laden.

Teurer oder billiger als Tanken?

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Mit dem heimischen Stromtarif, bei dem eine Kilowattstunde aktuell 29 Cent kostet, fährt der kia e-Niro bei 19,5 kWh / 100 km diese Strecke für 5,66 Euro. Das ist günstiger als jeder Verbrenner, bei Installation einer Wallbox muss man aber diese Kosten noch mit einkalkulieren. Versicherungsklassen variieren je nach Fahrzeug, im Falle des e-Niro liegt er in den Typklassen fast gleichauf mit dem Niro Hybrid.

Elektroauto als Kaufempfehlung?

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Es gilt, wie immer – ein klares „Jein“. Fakt ist: Die Technologie ist alltagstauglich und sorgt – ein durchaus wichtiger Punkt – für Fahrspaß und damit für Begehrlichkeiten. Die Alltagstauglichkeit ist für Herrn und Frau Ottonormalfahrer(in) gegeben. Wer ein E-Auto kauft, sollte nach Möglichkeit zuhause oder am Arbeitsplatz laden können. Die Ladeleistungen der Stromquelle und des Autos müssen den eigenen Bedürfnissen entsprechen. Der einphasig ladende Kia lädt über Nacht. Wer nur einige Stunden stehen kann oder mag, sollte eher ein Auto mit dreiphasiger Lademöglichkeit wie den Peugeot e-208 oder e-2008 ins Visier nehmen.

Der Langstreckenfahrer im Außendienst oder als Wochenendpendler, der bislang dieselt, sollte sich den direkten Umstieg zum batterieelektrischen Auto gut überlegen. Für dieses Fahrprofil, und auch für den Schwerlastverkehr, dürfte die Brennstoffzelle in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen.

Wichtig für 2020: Lassen Sie sich vom Verkäufer nicht in die Ecke drängen, in der er Sie vielleicht gerne hätte. Infomieren Sie sich vorab und denken Sie an eine gründliche Bedarfsanalyse.

Anmerkung: Dieser Artikel entzieht sich bewusst der ökologischen Sinnfrage. Ja, in den Akkus sind seltene Rohstoffe enthalten, die aus fernen Ländern kommen. Auch die Produktion ist energieintensiv, die spätere Entsorgung noch fraglich. Wer diese Bedenken aber voranstellt, sollte sich auch überlegen, wo das Öl für den edlen Sprit gefördert und wie es über den Globus transportiert wird.

Im Video: Der Kia e-Niro (2019) im Fahrbericht

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Text: Bernd Conrad
Bilder: Andreas Hof, Bernd Conrad