Kia e-Niro 64 kWh Der Flipperautomat

Erste Fahrt im elektrischen Kia e-Niro. Eine Fingerübung.



Der Kopf denkt. Die Hände lenken. Der rechte Fuß kontrolliert Geschwindigkeit und Verzögerung. Das ist gelerntes Autofahrerverhalten.

Neu hinzu kommt der Flipperspaß. Zumindest dann, wenn man ein Elektroauto mit über die gewohnten Schaltwippen am Lenkrad fährt. Die müssen beim Eingang-Reduktionsgetriebe eines E-Antriebs keine Übersetzungswechsel weitergeben, sind aber trotzdem nicht unnütz.

Vor allem auf kurvenreichen Landstraßen mit Ortsdurchfahrten und steilen Kehren kommt auf der Probefahrt im elektrischen Kia e-Niro Fahrspaß 2.0 auf.

Dass ein Elektroauto sein Drehmoment (im Fall des Kia e-Niro sind es 395 Nm) vom Start weg voll zur Verfügung stellt, ist mittlerweile nichts Neues mehr. Interessant ist vielmehr, wie schnell man als Fahrer das multisensorische Zusammenspiel aus Fuß und Fingern verinnerlicht hat.

Wenn es einmal nicht medienwirksam um tempolimitiertes Geradeausfahren zum Beweis maximaler Stromeffizienz geht, sondern das elektrische Auto genommen wird, ohne über Kilowattstunden nachzudenken, sagt die Zukunft plötzlich ganz laut in der Gegenwart „Guten Tag“.

Vier verschiedene Rekuperationsstufen lassen sich mit den beiden Schaltwippen beständig wechseln. Auf der Autobahn mit konstantem Tempo klickt man rechts die künstliche Verzögerung weg, um das Fahrzeug so oft wie möglich rollen zu lassen.

Von Landstraßentempo an der Ortseinfahrt runter auf 50? Dreimal links klicken und der Kia hat am Schild Innerortsgeschwindigkeit drauf.

Rote Ampel in Sicht? Das linke Paddel lange halten und das Auto damit bis zum Stillstand abbremsen. „One Pedal Feeling“ nennt Kia diese Funktion, nennen wir es lieber „Left Hand Control“ oder so. Eigentlich auch egal, funktionieren muss es. Und das tu es sehr gut.

Die adaptive Geschwindigkeitsregelanlage, die bei zähfließendem Verkehr und Stau auch bis zum Stillstand abbremsen kann, kommt hier zu Hilfe. Nach dem Stopp per Schaltpaddel bleibt das Auto so lange stehen, bis man das Fahrpedal mit dem rechten Fuß wieder bedient.

Alles zu viel Fingerspiel? Dan genügt das längere Ziehen der rechten Schaltwippe und das System wechselt in den Smart-Modus. Jetzt bestimmt der Computer anhand von Topographiedaten und Straßeninformationen des Navigationssystems über die Energierekuperation.

319 Wörter über das Bremsen? Fällt ihm sonst nichts ein über den neuen Kia e-Niro? Doch, eine ganze Menge. Vor allem, dass der Koreaner, wie auch sein Konzernbruder Hyundai Kona Elektro , auch mit dem noch neuen Antriebskonzept ein voll und ganz alltagstaugliches Auto ist.

Auch wenn die technischen Daten beider Modelle eine grundsätzliche Einigkeit bei der technischen Basis erwarten lassen, ist dem nicht so.

Der Kia Niro, der 2016 als Hybrid und 2017 als Plug-in-Hybrid auf den Markt kam, steht auf einer anderen Plattform. Die Versionen mit Verbrenner teilen sich die Antriebstechnik mit dem Hyundai Ioniq.

Nicht einmal die Batterien des Kia e-Niro sind mit denen des Hyundai Kona Elektro identisch. Beide bieten wahlweise 39,2 oder 64 kWh große Akkus. Hier zeigt sich aber die schnelle technische Entwicklung bei den Stromspeichern.

Die leicht spätere Markteinführung bringt dem Kia Niro moderne Zellen, was neben einer besseren Aerodynamik der Grund für einen – subjektiv erfahrenen – leicht besseren Stromverbrauch des Kia ist.

14,2 kWh auf 100 Kilometer zeigt der Bordcomputer nach den Testfahrten an, die teilweise sehr dynamisch vonstattengingen, aber eben auch Energie rekuperieren ließen. Beim Langstreckentest mit dem Hyundai Kona Elektro waren es 14,7 kWh auf Autobahnen.

Beide Autos wurden in der 150 kW (204 PS)-Variante gefahren, die stets mit dem 64 kWh großen Batteriepaket zum Kunden kommt.

Kia e-Niro 64 kWh Test Fahrbericht Daten Fotos

Der Innenraum des Kia e-Niro entspricht bis auf die geänderte Mittelkonsole mit dem Drehschalter für das Reduktionsgetriebe den bekannten Versionen. Das bedeutet, dass auch er Fahrer und Beifahrer bequem auf komplett seitenhaltfreien Sitzen bettet und die Fondgäste ausreichend Platz für Knie und Kopf haben, obwohl die Rücksitzbank (wie im Kona) etwas weiter vorne steht als in den Hybriden (Kona: Verbrenner).

Dahinter warten im Kia e-Niro 451 Liter Kofferraumvolumen auf Gepäck, 15 mehr als im Hybrid (436 Liter) und sogar 125 mehr als im Niro Plug-in-Hybrid (324 Liter).

Den guten Freund auf allen Straßen vermittelt auch der Geräuschkomfort des mit serienmäßigen 17-Zoll-Leichtmetallfelgen komfortabel gefederten Kia.

Kia e-Niro 64 kWh Test Fahrbericht Daten Fotos

Der fehlende Verbrennungsmotor sensibilisiert für Abroll-, Wind- und Karosseriegeräusche. Da bietet der e-Niro extrem wenig Raum für Kritik. Die Ingenieure haben bei der Dämmung ganze Arbeit geleistet.

Umso mehr stört das auf dem glatten Teppich im Laderaum umherrutschende Gepäck. Ein Spannnetz oder ein aufstellbarer Ladeboden zur Unterteilung muss auf den Wunschzettel für Zubehör oder Modellpflege.

Solche Kleinigkeiten finden also ihren Weg in den ersten Fahrbericht des elektrischen Koreaners. Dinge, die auffallen, weil der e-Niro ansonsten ein komplett normales und alltagstaugliches Auto ist.

Ohne jahrelanges Ankündigen und ohne Studien zu Studien zu präsentieren haben es die Koreaner geschafft, zwei massentaugliche Elektroautos in Serie zu bringen, die nicht nur im Alltag ihrer Kunden bestehen können, sondern auch durch Format, Verarbeitung und Optik überzeugen können.
2019 geht die Elektroparty weiter, wenn sich auch noch der kleinere Kia e-Soul dazugesellt.

Fazit zum Kia e-Niro 64kWh

Kia e-Niro 64 kWh Test Fahrbericht Daten Fotos

Der Kia e-Niro hat ein gutes Format, um im Stadtverkehr ebenso zu gefallen wie auf langen Strecken mit Passagieren und Gepäck. Der lautlose Elektroantrieb wirkt auf den ersten Metern noch neu, geht dem Fahrer aber schnell in Fleisch und Blut über. Für Grinsen sorgt dafür die Dynamik jedes Mal aufs Neue.

Auch ohne großen Sparzwang am rechten Fuß (oder der linken Hand) liegt der Stromverbrauch auf gutem Niveau und sorgt somit auch im Alltag für ordentliche Reichweiten. Alles prima, also? Ja. Bis auf die Preise, ganz nüchtern betrachtet. Während der e-Niro für ein Elektroauto sehr günstig eingepreist ist, liegt die Hürde aus Verbrauchersicht beim Umstieg auf den neuen Antrieb immer noch (zu) hoch.

Technische Daten

Kia e-Niro Spirit 64 kWh

Getriebe Eingang-Reduktionsgetriebe
Elektromotor: Maximale Leistung kW 150 kW (204 PS)
Elektromotor: Maximales Drehmoment 395 Nm
Beschleuningung 0-100 km/h 7,8 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit elektrisch 167 km/h
Norm-Verbrauch kWh / 100 km Gewichtet 15,9 / City 11,8 kWh
Realer Verbrauch im Testzeitraum kWh/100 km 14,2 kWh
Reifenmarke und –format des Testwagens Michelin Primacy 3 215/55 R17
Leergewicht 1.812 kg
Länge / Breite / Höhe 4.375 / 1.805 / 1.570 mm
Grundpreis 44.790 Euro
Testwagenpreis 46.880 Euro
Teile das!
Text: Bernd Conrad
Bilder: Bernd Conrad