BMW 220d xDrive Gran Tourer im Fahrbericht
Schön, sich auch mal irritieren zu lassen. Als Autor eines Auto-Blogs beschäftige ich mich natürlich viel mit dem Thema; ihr als Leser meiner Weisheiten natürlich genauso. Und als Autofan fällt man ja immer sehr schnell (s)eine Meinung, kann sich also zwischen Vorfreude auf den neuen „So-und-so“ oder kritischer Abneigung der Marke „Wie-auch-immer“ ganz gut durch den Autodschungel manövrieren.
Jetzt kommt BMW mit dem 2er Gran Tourer um die Ecke und stellt alle bisher gelernten Markenwerte und Designvorstellungen in Frage. Zumindest bei mir setzte zuerst einmal die Selbstwahrnehmung aus. Finde ich den schrecklich? Finde ich den gut? Was hat das mit BMW zu tun? Wie können die so einen Kasten auf den Markt bringen? Diese Fragen stellen sich sicherlich viele Fans der Marke. Die sollen aber wohlweislich gar nicht Hauptzielgruppe sein, BMW möchte lieber neue Kunden erobern. Mit dem kurzen Active Tourer scheint das bisher ganz gut zu klappen, die Verkaufszahlen sprechen für sich.
Um mir nun endlich eine eigene Meinung zum Gran Tourer zu bilden, hatte ich dankenswerter Weise Gelegenheit, das Auto im realen Leben anzusehen und zu fahren. Die oben erwähnte Irritation legt sich nicht direkt, wie ein Fragezeichen stehe ich erst einmal länger vor dem weiß lackierten Testwagen in „Luxury Line“. In Filmen wie „Die unheimliche Begegnung der 3. Art“ oder „Contact“ blickten die Protagonisten beim ersten Kontakt mit Außerirdischen ähnlich unsicher aus der Wäsche wie ich bei dieser Tuchfühlung mit dem 220d xDrive Gran Tourer. Es kann sehr gut sein, dass ihm dunklere Farben besser stehen.
Fangen wir nochmal von vorne an – die Frontpartie. Hier sehen wir einen ganz normalen und mittlerweile „gelernten“ 2er Active Tourer. Blickt man auf das Profil, geht es los mit der verzerrten Wahrnehmung. Den kompakten Hochsitz haben die BMW Ingenieure ordentlich auf der Streckbank gefoltert und gleichzeitig noch die Luftpumpe angesetzt. Resultat der Folterkur sind 21 cm mehr Außenlänge und 5 cm mehr Höhe. Der Radstand wuchs dabei um 11 cm.
Richtung Heck endet der zweite Siebensitzer der Marke (Stichwort: X5) als pragmatische Kiste im wahrsten Sinne des Wortes. Zielsetzung war ja ein praktisches Auto. Oftmals driften solche Vorhaben mit ach so schrägen Heckscheiben oder ähnlichem dann in Richtung Themaverfehlung ab, hier wird die Sache konsequent durchgezogen. „Job done“ also! Ich öffne die elektrisch betätigte Heckklappe um in die Turnhalle hineinzusehen und Rumms… Die Stirn donnert gegen den Deckel. Dieser könnte also ruhig ein wenig weiter aufgehen für alle Möbelpacker und Urlaubsgepäckverräumer über 1,80 Meter. Der Testwagen hat die Zusatzsitze im Kofferraum, die sich einfach herausklappen lassen - wenn man daran gedacht hat, vorher die Sitzbank in Reihe zwei nach vorne zu schieben.
Wer angesichts gesalzener Neuwagenpreise (dazu später mehr) in ein paar Jahren einen gebrauchten Gran Tourer kaufen will, sollte sich die Sicherheitsgurte ganz hinten in Ruhe ansehen. Sie klemmen sich zwischen Ladeboden und versenkte Sitze und rangeln zudem stets mit der Kofferraumabdeckung um Freiraum. Wer diese zu oder aufzieht, muss das Rollo jedes Mal um die Gurte herumdrücken. Wie lange das wohl halten mag und gut aussieht?
Ach so, ihr wollt ja einen Fahrbericht lesen, also Klappe zu, vorne links rein, Sitz eingestellt (zu klein und unbequem, aber wie bei jedem BMW gilt: Die Investition in optionale Sportsitze ist Pflicht) und den Startknopf gedrückt. Hallo, ist da jemand? Meine erste Fahrt in einem BMW mit dem neuen 2-Liter-Dieselmotor (B47) wird zur Flüsterpartie. Kein Vergleich zum bisherigen N47, zumindest im Innenraum. Das Head-Up-Display ist im 2er eine günstigere Lösung mit einer Scheibe über den Instrumenten. Das nervt leider ein wenig. Um die Informationen abzulesen muss man den Blick dennoch von der Straße lenken, was somit denn Sinn des Displays in Frage stellt. Dann kann ich auch gleich auf die Rundinstrumente und restlichen Anzeigen ca. 5cm darunter blicken. Die projizierten Zahlen im nicht-ganz-Blickfeld wechseln schnell ins zweistellige, wir fädeln uns in den Verkehr ein in Richtung Autobahn. Dort lässt sich das Wesen des getesteten 220d xDrive am besten erleben und beschreiben. Der 190 PS Diesel – Spitzenmotorisierung im Gran Tourer – hat die ideale Balance zwischen Schieben und Ziehen gefunden. Ziemlich entspannt sortiert sich die Achtgangautomatik durch die Übersetzungen und beschleunigt den Kleinbus (mal sehen, wer den Begriff kommentiert) homogen und schneller als erwartet bis an die 200 km/h. Nochmal 20 km/h mehr sind drin und damit gehört der 220d zu den Zügigen im Lande. Noch eine Zahl für den Stammtisch: 0 bis 100 km/h dauert 7,6 Sekunden. Ich bin gespannt, wer – inspiriert durch die Karosserieform und die Performance – als erster rote Seitenstreifen mit „ICE“ Schriftzug und Bahn-Logos für den Gran Tourer im Internet anbietet.
Der Lokführer sitzt in einem nett eingerichteten Führerstand. Das Armaturenbrett trägt weniger dick auf als in anderen Vans, wirkt zuerst extrem zerklüftet aber gefällt im Fahrbetrieb durch gute Bedienung und eine praktische Ablage über der Klimaanlagenbedienung. Hier unten im Souterrain sind vielleicht etwas viele kleine Knöpfe auf einen Haufen zusammengefasst. Eigentlich muss man aber nur die Taste für die Sitzheizung öfter bedienen, Training hilft also bei der Zielsicherheit. Im Wirrwarr findet sich auch der Fahrerlebnisschalter. Der Modus Eco Pro hilft massiv beim Spritsparen, aber die Spreizung zwischen Sport und Comfort ist jetzt nicht so groß, als dass man hier ständig herumschalten müsste. Was auffällt ist der klassische Automatikwählhebel, der noch richtig in seinen Positionen einrastet und nicht wie in anderen BMWs nur einen elektrischen Impuls bedient. Der Grund hierfür liegt im Getriebe; der 2er bekommt eine Achtgangautomatik von Aisin, während die Längsmotor-Modelle der Marke ein Bauteil des Zulieferers ZF verbaut haben.
Was leider echt nervt: Die Armlehne wurde wohl von einem anderen Team ins Auto hineinkonstruiert als der iDrive-Controller. Ist die Auflage (mit einer super fummeligen Öffnung für das Telefon übrigens, die nur mit beiden Händen aufzuklappen ist) in entspannter Fahrposition eingerastet, kommt man kaum an den Controller. Klappt man die Armlehne weiter herunter, liegt die Hand ergonomisch perfekt auf dem Drehrad, beim Fahren rutscht aber stets der Arm nach unten (ja doch, auch wenn man beide Hände am Lenkrad hat, wo sie hingehören).
Gute Laune bereiten dagegen die Fahrassistenten, die uns geschwindigkeits- und spurhaltend sowie abstandsregelnd über die Autobahn begleiten. Der Diesel ist dabei kaum zu hören und auch die Windgeräusche halten sich zurück. Die Fahrgeräusche komponieren sich ein sanftes Rauschen zusammen, dösende Mitfahrer könnten sich bei dieser Geräuschkulisse auch in einem Flugzeug wähnen. Dieser Vergleich hinkt weniger als gedacht – der 220d Gran Tourer beweist sich als hervorragendes Reiseauto.
Natürlich macht auf dieser Testfahrt eine Heerschar von aufpreispflichtigen Extras das Leben schöner. Der Grundpreis des 220d mit Allrad in Luxury Line beträgt bereits 40.200 €, das gefahrene Exemplar mit großem Navi, Harman/Kardon-Soundsystem und vielem mehr kommt auf über 55.000 Euro Listenpreis. Hier steckt also doch noch ein bisschen „typisch BMW“ im Gran Tourer: Den Premium-Preisaufschlag nimmt der Händler auch beim Familienmobil gerne entgegen.
Ich beende das Kilometersammeln um die Weiten des Innenraums zu erkunden. Der Parkassistent zirkelt den Gran Tourer passgenau in die Parklücke. Ab nach hinten: Es ist ausreichend Platz für die Knie vorhanden und zumindest spontan gefühlt sitzt es sich weniger kutschbockartig in der zweiten Reihe als in anderen Kompaktvans mit ihren drei Einzelsitzen. Das „Family Paket“ bietet u.a. klappbare Tische an den Vordersitzlehnen, die man aber „hoppla“ plötzlich in der Hand hat – an der Fixierung sollte BMW bis zum Marktstart im Juni nochmal Hand anlegen. Die Sitze sechs und sieben sind naturgemäß klein und für Kinder auf Kurzstrecken ok, mehr auch nicht. Meiner Meinung nach liegt die Stärke des Gran Tourer nicht unbedingt in der Siebensitzigkeit mit ihren 790 € Aufpreis. Das Gros der Autos wird sicherlich als Fünfsitzer verkauft, denn dann kann sich die Familie oder der Außendienstler über einen wahrlich riesigen Kofferraum freuen. Leicht gebückt (Stichwort Kofferraumklappe) blicke ich nochmal in das riesengroße Gepäckabteil und fange gedanklich an, Koffertetris zu spielen – dieser Level könnte länger dauern.
Was soll man also zum neuesten Spross im BMW Programm sagen? Eine ganze Menge. Meine Meinung über den Gran Tourer hat sich nach diesem Erstkontakt geändert. Vielleicht liegt es daran, dass er in natura nicht unbedingt besser, aber doch anders aussieht als auf vielen Presse- und Prospektfotos. Auf jeden Fall stimmte eine Aussage wie „…überzeugt mit inneren Werten“ niemals so sehr wie hier. Ich wette auf einen sehr großen Erfolg des 2er in Langversion. Familien, die sich bisher z.B. in einen gebrauchten Fünfer quetschten, weil Papi unbedingt BMW fahren und sich leisten wollte, finden hier eine günstigere (nicht günstige!) und geräumigere Alternative. Andererseits kommen nun auch Kunden zur Marke, die bisher aus Preis- und Platzgründen oder auch aus Prinzip keinen BMW fahren wollten. Denn in erster Linie ist der 2er Gran Tourer ein echt gut durchdachter, unaufgeregter und entspannende Van. Erst in zweiter Linie ein neuer BMW. Kurzum: Die eierlegende Wollmilchsau ist da.
Gedanken zum Testobjekt
Was mich überrascht hat
Dass BMW sich getraut hat, diese Modellreihe unter der eigenen Marke und nicht als MINI zu bringen – der Erfolg wird ihnen Recht geben.
Was mich irritiert
Nach wie vor das Außendesign. Der Gran Tourer sieht ein wenig aus wie ein Playmobil-Auto. Aber: Er kann und darf nicht anders sein. Also trotzdem: Glückwunsch an den Hersteller! Für den Mut und die Weitsicht, die Marke so stark zu spreizen ohne dabei den Bogen zu überspannen.
Nur wann verlieren wir bei all den Gran Turismos, Gran Coupés und dem Grand Tourer den Überblick?
Was interessant wird
Zu beobachten, wie viele bisherige X1 Kunden nun zum 2er Active/Gran Tourer greifen, da sie ja „nur“ höher sitzen wollen. Und wie BMW den neuen X1 ab Herbst positionieren wird.
Was ich erwarte
Eine perfekte Rollenverteilung: Der 2er Active Tourer als Auto für Menschen im besten Alter, der Gran Tourer als Familien- und Außendienstexpress. Und vielleicht auch bald vielen Taxiständen. Das Volumenmodell wird bestimmt der 218d.