Der BMW 330i Touring im Alltagstest. Wird der Vierzylinder im Premium-Kombi den Ansprüchen gerecht?
Reduktion auf das Wesentliche. So könnte man bei BMW das „Right Sizing“ des Modellangebots in der 3er-Reihe beschreiben. Nachdem Coupé und Cabrio samt viertürigem Gran Coupé mittlerweile als 4er auftreten, gab es zuletzt mit der 3er Limousine, dem Touring und dem unverstandenen Gran Turismo drei Karosserievarianten. Und das zurecht. Der Autor dieser Zeilen fuhr selbst „GT“ und schätzte das geräumige Familienauto auf Basis der längeren Chinaversion.
BMW 330i Touring im Video-Review
Mit dem Modellwechsel 2019 kamen der neue BMW 3er als Limousine (G20) und zeitversetzt als Touring (G21), der GT lief zuletzt aus. Neben dem Stolz eines Firmenwagenfahrers soll der Touring jetzt also auch die Familien ansprechen, die sich einen größeren 5er nicht leisten wollen oder können.
Schon die erste Begegnung mit der 3er-Limousine zeigte ein gewachsenes und endlich erwachsenes Raumangebot, auch im Fond. Mit 500 bis maximal 1.510 Litern Kofferraumvolumen will der Touring neben Personen auch Dingen ausreichend Raum bieten.
Schicker als die Limousine?
Für viele Kunden könnte auch die Optik den Ausschlag geben. Unabhängig von der Gestaltung des Hinterteils blickt der neue BMW 3er mit der großen Kühler-Niere leicht verquollen irgendwie verkatert, in die Welt. Kritik musste das Stufenheckmodell von Traditionalisten aber vor allem für die Heckpartie einstecken. Oft wurden die Leuchten im Lexus -Stil kritisiert. Aus Sicht eines global denkenden Vertriebsplaners sicherlich nicht verkehrt, denn mit eben jener Marke konkurriert BMW in den Märkten USA und Asien.
Der 3er Touring trägt die gleichen breiten Lampen mit schicker Stufe und abgedunkelter Partie. Dabei wirkt er aber allein deswegen schon weniger Lexus-Like, weil es bei den Japanern schon lange gar keinen Kombi mehr gibt. Na, wer erinnert sich noch an den Lexus IS300 Sport Cross?
Variabler, durchdachter Kofferraum
Zurück ins Jahr 2020: Aus einem kurzen Blick in den Kofferraum wird beim ausgefeilten BMW 3er Touring ein Ausflug in das Ingenieurswesen. Zugang erlangt man nicht nur durch die elektrische Heckklappe, sondern auch über die separat zu öffnende Heckscheibe. Die ist mehr als eine Spielerei. Wenn es mal schnell gehen muss oder der Doppelparker in der urbanen Tiefgarage die Höhe einschränkt, lassen sich Sporttasche und Einkäufe damit prima ein- und ausladen. Mit ihrer manuellen Öffnung auf Knopfdruck versprüht die schwenkende Scheibe eine Leichtigkeit, ähnlich dem Roadsterverdeck eines Mazda MX-5.
Innen gibt es Netze, Bänder, Haken und Ösen zum Arretieren der Ladung. Außerdem gefällt das Unterflurfach zum klapperfreien Verstauen der Laderaumabdeckung, die im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern zudem spielerisch leicht ein- und auszubauen ist. Eine Besonderheit ist die Vorrüstung, die das Gepäck vor dem Verrutschen schützt. Gummileisten im Kofferraumboden werden bei Schräglage mit Luft gefüllt und wirken somit den Kräften entgegen.
Kraft versammelt sich auch am anderen Ende des 4,71 Meter langen Mittelklassekombis. Zum Alltagstest trat der BMW Touring als 330i an. Mittlerweile dürfte man sich daran gewöhnt haben, dass sich hinter dieser Bezeichnung kein drei Liter großer Reihensechszylinder mehr versteckt, sondern ein turboaufgeladener Vierzylinderbenziner mit zwei Litern Hubraum. Ja, automobiler Standard der Neuzeit.
Es geht fix voran!
Aber ein Standard, der zu gefallen weiß! Mit 190 kW bzw. 258 PS ist der 330i-Motor nicht nur für den Stammtischtalk ausreichend stark. Auf der Straße gefällt die befreit wirkende Kraftentfaltung des Triebwerks. Immerhin 400 Nm maximales Drehmoment stehen ab 1.550 Umdrehungen pro Minute bereit, die von der serienmäßigen Achtgang-Automatik an die Hinterräder verteilt werden.
Ohne xDrive wirkt der 330i Touring auch auf kurvigen Strecken leichtfüßig und agil, sogar dem künstlich modulierten Motorklang kann man mögen. Wer trotzdem einen 6er im 3er will, muss entweder zum M340i greifen oder in Richtung Diesel zum 330d ausweichen.
Im Testwagen steckt, man kennt das, vieles, was der Hersteller gerne zeigen und optional verkaufen will. Die M Sport-Version stand also mit optionalem Adaptivfahrwerk und Sportdifferenzial bereit. Die Spreizung der Fahrmodi, die über den in der Mittelkonsole untergebrachten Fahrerlebnisschalter (endlich mal eine deutsche Bezeichnung, die sitzt wie der Deckel auf dem Topf) ausgewählt werden, ist spürbar. Beim Kurvenräubern passt „Sport“ prima, trotzdem greift die Stabilitätskontrolle für manche Fahrer vielleicht immer noch einen Hach zu früh ein.
Im Alltag bügelt der mit 18-Zoll-Felgen auf Hankook-Winterreifen ausgestattete BMW 330i Touring jegliche Unebenheiten gepflegt weg. Die Fahrmodi Comfort und Adaptive sorgen für Oberklassefeeling im Mittelklasseformat.
Bei Teillast kann der BMW 330i auch segeln, sofern der „Comfort“-Modus oder „Eco Pro“ aktiviert sind. Dann koppelt sich der Motor vom Getriebe ab, was ein paar Tropfen Sprit spart. Neun Liter ROZ95 flossen im Testalltag über die Einspritzdüsen in die Brennräume. Angesichts der gebotenen Dynamik ein akzeptabler Wert.
Viele Assistenten, gute Bedienung
Dass die Bedienung der inflationären Zahl von gut funktionierenden Assistenten und der Komfortfunktionen über das iDrive-System, den Touchscreen und die kompetente Sprachsteuerung hervorragend funktioniert, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Man kennt das. Ebenso wie Freiheit, auf die optionale Gestiksteuerung zu verzichten. Das Herumgehample muss nicht sein, eben weil alles andere so gut funktioniert.
Das gilt nur bedingt für die Smartphoneintegration über Apple CarPlay. Nach dem Neustart des Motors wird das zuvor damit gekoppelte iPhone beharrlich ignoriert. So lange, bis man entnervt die gut alte Bluetooth-Verbindung mit ihren ergonomischen Einschränkungen verwendet.
Fazit zum BMW 330i Touring
„GTI für Erwachsene“ lautete Ende 2018 der Titel zum ersten Fahrbericht des BMW 330i als Limousine. Das gilt auch für den Touring, der mit seinem geräumigen und variablen Hinterteil auch für Erwachsene mit (teilweise?) abgeschlossener Familienplanung bereitsteht. Der Vierzylinder kann durchaus Herzen gewinnen. Dank des gewachsenen Platzangebotes passt das auch für Umsteiger aus dem GT. Egal, welches Heck: Solvent muss man sein, denn ein billiges Vergnügen ist so ein deutscher Premium-Kombi nicht. Nur gut, dass man ruhigen Gewissens zum Vierzylinder greifen kann.
Technische Daten
BMW 330i Touring M Sport |
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Abgasnorm | Euro 6d-Temp |
Hubraum | 1.998 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 190 kW / 258 PS bei 5.000 - 6.500 U/min |
Max. Drehmoment | 400 Nm bei 1.550 - 4.400 U/min |
Getriebe | Achtgang-Automatik |
Beschleuningung 0-100 km/h | 5,9 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 6,4 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 9,0 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Hankook Winter i-Cept Evo2 225/45 R18 |
Leergewicht | 1.650 kg |
Anhängelast (gebremst) | 1.600 kg, Stützlast 75 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.709 / 1.827 / 1.440 mm |
Grundpreis | 52.050 Euro |
Testwagenpreis | ca. 73.000 Euro |