Mit 350 PS vergisst sich der Ford Focus fast selbst. Eine Freude!
„Die Bewegung immer konzentriert und exakt ausführen.“ Das Mantra jedes guten Fitnesstrainers ist im Sport die oberste Regel. Schmerzlich daran erinnert werde ich beim Einsteigen in den Ford Focus RS.
Der Testwagen hat die optionalen Recaro-Schalensitze (1.600 Euro Aufpreis) verbaut. Deren Sitzwangen sind so hart, dass man beim Einsteigen – und auch beim Aussteigen wie ich später feststellen werde – ganz schön heftig mit dem Oberschenkel dagegen donnert. Der erste Willkommensgruß also vom Ford Focus RS, der eben kein Auto für Weicheier sein will.
350 PS spendieren die Kölner dem sportlichen Aushängeschild ihrer Kompaktbaureihe, das schon im optischen Aufritt Lichtjahre von den meist weißlackierten Servicetechniker-Focus-Turnier entfernt ist, die man sonst so auf den Bundesautobahnen umherfahren sieht. Fans der Marke und des Vorgängers mögen bemängeln, dass sie dem Focus RS einen Brennraum amputiert haben, das aktuelle Modell ist kein Fünfzylinder mehr wie der Vorgänger. Immerhin weht der Geist des Pony Car in ihm, teilt er sich doch den 2,3 Liter EcoBoost – Turbo mit dem Mustang.
Schon beim Druck auf den Startknopf wird klar, dass der Focus RS auch mit schnöder Vierzylinderarchitektur unter der Haube gerne den Radaubruder mimt. Er klingt ungehemmt und aggressiv, was der Soundmodulator im Sport-Modus nochmals stärker herauskehrt.
Los geht es – erst einmal nicht. Wie ein Fahranfänger schaffe ich beim Erstkontakt mit dem Focus RS gerademal 20 Zentimeter. Der Motor ist abgestorben. Das passiert noch zwei Mal, bis ich den Punkt erkenne, an dem die Kupplung kommt. Der liegt auf dem letzten halben Millimeter Pedalweg. Jetzt verstehen wir uns, der Ford und ich – und es geht tatsächlich los.
Die erwähnten Recaros stellen sich als ungewohnt hoher Schraubstock heraus. Viel fehlt nicht zum Van-Gefühl und man sitzt somit zwar im Geschoss, aber mehr auf als in der Kanonenkugel. Die fliegt dafür, und zwar richtig. Die Autobahn ist schnell abgehakt. Geradeaus donnern kann der Focus – dabei schaufelt er sich nicht unbedingt mit optischem Überholprestige die Bahn frei, sondern mit seinem Klang. Wenn Du im Sport-Modus (oder der Einstellung „Rennstrecke“) vom Gas gehst, knallt es aus den beiden armdicken Endrohren, als ob die Kinder auf der Rücksitzbank eine Ladung Silvesterböller zünden. So klingt das auch um den RS herum. Was übrigens zu viel des gut gemeinten ist, dermaßen effekthaschend nervt da künstlich erzeugte Knallen schnell.
Ein VW Golf R bliebt übrigens stets gleich groß im Rückspiegel, trotz nomineller 50 Minder-PS. Blinker rechts, der Wolfsburger darf endlich überholen und für den Focus geht es auf die Landstraße. Hier beißt er sich allradgetrieben in jeder Kurve fest, fast narrensicher lässt er sich durch die Gegend prügeln. Ab und an meldet sich dabei die Hinterachse zu Wort, das Heck wird einen Moment leicht. Schön, dass das ESP hier eine Gedenksekunde erlaubt, bevor es den digitalen Zeigefinger erhebt.
Die Drift-Funktion der Fahrwerkselektronik bleibt in diesen Zeilen mangels geschlossener Strecke leider unerwähnt, aber schon der Kurvenspaß unter dem Deckmantel der StVO zeigt, dass der Focus RS Fahrdynamik in seinen Genen hat. Die tragen sonst natürlich viel Focus-Material in sich. Dazu gehört das unruhig gezeichnete Cockpit, das seit dem Facelift zumindest in der Mensch-Maschine-Interaktion entspannter angeht. Das Knöpfewirrwarr ist einem Touchscreen-Monitor gewichen. Oben auf informieren analoge Zeigerinstrumente über Temperatur und Druck des Motoröls. Die mittlere Anzeige erzählt vom Druck des Turboladers, der Zeiger ist also fleißig am Tanzen.
Ab 40.075 Euro steht der Focus RS in der Preisliste. Damit ist er deutlich günstiger als einer seiner schärfsten Mitbewerber. Ein Mercedes A45 AMG (381 PS) kostet über 11.000 Euro mehr (51.170 Euro). Mit 40.400 Euro ist ein fünftüriger VW Golf mit dem Ford ungefähr gleichauf. Und das trotz 50 PS weniger ja wie erlebt auch auf der Autobahn.
Der optisch deutlich extrovertiertere Ford Focus RS tritt aus rein rationalem Vergleichsdenken (geht das bei den Hot Hatches überhaupt?) aber einen großen Schritt heraus. Den will man haben oder nicht. Und dann entscheidet man sich auch bewusst für das gierige Kühlermaul und den dominanten Dachspoiler. Nur das mit den Schalensitzen sollte man sich für den Alltag gründlich überlegen.
Technische Daten
Ford Focus RS |
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Hubraum | 2.300 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 257 / 350 bei 6.000 U/min |
Max. Drehmoment | 440 Nm bei 2.000 - 4.500 U/min |
Getriebe | 6-Gang-Handschaltung |
Beschleuningung 0-100 km/h | 4,7 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 268 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 7,7 Liter |
Leergewicht | 1.560 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.390 / 1.823 / 1.470 mm |
Grundpreis | 40.075 Euro |
Testwagenpreis | 45.030 Euro |