Alltagstest des koreanischen Kombis.
Schon wieder muss ein Nachbar für die Einleitung herhalten, bei der Steilvorlage geht das nicht anders. Ich steige aus dem Testwagen aus und er kommt herangeeilt. „Aha, einen Kia fährst Du - das ist aber ein Abstieg“.
Liebe Kinder, hier lernt ihr, was ein Vorurteil ist. Denn eben jener Nachbar geht sogleich nach Hause, um seinen neuen, smarten LG Flachbildfernseher einzuschalten.
Den kann er sogar mit einer App fernbedienen, die auf seinem Samsung Smartphone gespeichert ist. Beide Elektronikkonzerne sind koreanische Unternehmen, die zu den Weltmarktführern gehören. Wie auch der Hyundai-Kia Konzern, mit über 8 Millionen produzierten Fahrzeugen im Jahr 2014 der viertgrößte Autohersteller der Welt hinter Toyota, Volkswagen und General Motors. So ein Erfolg stellt sich bestimmt nicht mit billigen Abstiegskisten ein. Der bei uns populärste Kia spielt „Fang den Kunden“ in der Kompaktklasse, und heißt cee´d. Also mal sehen, ob der etwas kann.
„Wir sind cee´d“, denn der cee´d ist einer von uns. Ein echter Europäer nämlich. Die komplette Entwicklung fand in Deutschland statt. Der verantwortliche Designer ist ein Franzose (Grégory Guillaume, vormals bei Volkswagen), produziert wird die Modellreihe in der Slovakei. Im Heimatland Korea und in den USA gibt es den cee´d gar nicht, das Modell Cerato bzw Forte (in den USA) ist technisch ähnlich. Europäischer geht es also kaum, bis auf die Tatsache, dass die Gewinne von Kia Motors Europe natürlich nach Seoul überwiesen werden.
Im Herbst 2015 erhielt der cee´d ein Facelift, seitdem kann er auch mit Kias eigenem Doppelkupplungsgetriebe geordert werden. Mit dieser Option rollt der Testwagen zu mir, als 1,6 CRDI Diesel mit 136 PS (daneben gibt es das DCT genannte Doppelkupplungsgetriebe auch in der Verbindung mit dem 135 PS starken Saugbenziner). Er trägt auffallendes „Trackrot“ und zieht das knapp 20 Zentimeter längere Kombiheck hinter sich her.
Die Herausforderung, die der Kia dem Tester zuruft, ist nicht zu unterschätzen. Da muss nun jemand, der sich mit kaum etwas anderem als mit Autos beschäftigt etwas über ein Auto schreiben, dass eigentlich für Menschen gedacht ist, die dem Thema gar nicht allzu viel Bedeutung schenken. Der cee´d will eher ein unaufgeregter Begleiter sein. Für Käufer, die nicht wegen Marotten und Wehwehchen ständig in die Werkstatt fahren wollen, die ebenso wenig Abstriche in der Praktikabilität wegen exzentrischem Design eingehen. Die sich nicht erst tagelang in eine verschachtelte Bedienung hinein fummeln mögen. Erfüllt er also nur durchschnittliche Ansprüche?
Fangen wir mit der Optik an. Der cee´d überzeugt mit einer gekonnten Linienführung. Der Tigernose-Kühlergrill, mittlerweile Kias Markenzeichen, steht aufrecht an der sonst flachen Front im Fahrtwind, große Scheinwerfer ziehen sich bis weit in Richtung Windschutzscheibe. Im Profil zeigt der cee´d eine klare Linie ohne sinnfreie Sicken und Kanten. Das macht Design aus, ruhige Flächen ohne Langeweile. Am Heck gewinnt der Sportswagon genannte Kombi deutlich gegenüber dem Kompaktmodell. Breite Rückleuchten und die Kennzeichenmulde zitieren die Knochenoptik des Kühlergrills und bringen Spannung ins Heck.
Auch innen zeigt sich der cee´d als Alternative für Menschen, bei denen auch das Auge mitkauft. Die Rundinstrumente stecken in drei chromumrandeten Tuben und sind in der Spirit-Version mit dem optionalen Technologie-Paket voll digital – da schau´ her!
Sämtliche Bedienelemente in der Mittelkonsole sind gut erreichbar. Das Display der Klimaautomatik und ein weiteres Anzeigenfeld oben auf dem Armaturenbrett leuchten feurig rot, für manche zu grell, aber dimmbar. Das obere Display zeigt Datum, Uhrzeit und Außentemperatur gut im Blickfeld an, wirkt aber leicht antiquiert – diese Informationen ließen sich auch in den Rundinstrumenten und auf dem Touchscreen-Monitor darstellen.
Das Infotainmentsystem ist im cee´d Spirit serienmäßig. Die Anlage stammt wie des Nachbars Fernseher von LG. Inklusive ist ein Navigationsgerät mit Europakarten auf SD-Karte. Trotz dieser nicht ganz aktuellen Technik geht die Routenberechnung schnell vonstatten. Das Display gefällt mit einer sehr guten Auflösung, die schärfer ist als im „Discover Pro“ Navi von VW. Nur zu vorlaut ist der Monitor: Auch in der düstersten Einstellung ist er nachts zu hell und kann somit ablenken. Der Clou des Kia-Systems sind kostenlose Kartenupdates über sieben Jahre ab Erstzulassung. Die übliche Konnektivität beherrscht das Modul natürlich auch, ein Smartphone lässt sich leicht koppeln (zumindest die getesteten iPhones 5S und 6) und spielt Musik über Bluetooth oder USB ab. Die Telefonfreisprecheinrichtung überzeugt mit guter Klangqualität sowohl beim Gesprächspartner wie auch im Auto.
Die Stoffsitze der Spirit-Ausstattung sind angenehm straff gepolstert, nur die zu harte Kopfstütze kann nerven. Gut gefallen mir die optische Auflockerung mit der beigen (Kunst-)Ledereinlage auf den Sitzflächen und der Lehne sowie die helle Türverkleidung im gleichen Material, Das sieht fast schon nobel aus. Gleiches versucht der cee´d mit den hochglänzenden Kunststoffpaneelen im Armaturenbrett und am Wählhebel. Diese Klavierlackoptik findet sich auch an den Türzuziehgriffen wieder, wo das mit der feinen Chromleiste richtig schick aussieht. Aber wie immer bei diesem Material gilt: Jedes Staubkorn schreit laut „Hallo“!
Im Fond lassen sich auch meine Knie trotz 1,92 Meter Größe gut verstauen, das Raumangebot liegt auf Golfniveau. Nicht gut gelöst ist die Isofix-Vorrichtung. Die Befestigungsbügel sind sehr versteckt. Den Versuch, einen Kindersitz hier zu befestigen, habe ich gleich abgebrochen, da man hier sehr leicht das Polster beschädigt. Und den Fingerzwicker gibt es gratis dazu. Klar gibt es Einführstutzen für solche Sitze, aber erstens muss man die da auch erst mal rein bekommen, zweitens sind die jedes Mal im Weg, wenn die Bank umgeklappt wird. Was nur bei Sperrgut vorkommt, denn mir 528 bis maximal 1.642 Liter Volumen ist der Raum hinter der Bank für den Alltag groß genug. Hier tänzelt der cee´d um die maximalen Ladevolumina des Golf Variant herum, der bietet 605 bis 1.620 Liter. Der Laderaumboden des Kia bietet vier praktische Fächer für Krimskrams und einen Raumteiler mit Spanngurten. Die Netztrennwand ist auch mit dabei.
Auf Wiedersehen bei „Innenarchitektur heute“, willkommen zurück im Auto Blog. Natürlich gibt es beim Kia cee´d auch ein Fahrerlebnis. Und das ist ziemlich unspektakulär. Er fährt. Durch Kurven mit einer gefühllosen Lenkung, die man in drei Stufen verstellen kann. „Comfort“ mit minimalem Kraftaufwand und damit zu nervös, „Normal“ kaum anders“ und „Sport“ straffer, fester und am ehesten zu empfehlen. Vor allem weil das dann zum harten Fahrwerk passt. Geradeaus fährt der cee´d nämlich auch, und das recht stramm. Wer die Fahrwerksabstimmung eines Seat Leon mag, findet den cee´d auch gelungen. Zumindest mit den am Testkombi montierten 16-Zoll Winterreifen, optisch schickere 17-Zöller können hier eventuell die Suppe versalzen. Wie auch zu forsch angegangene Kurven. Hier zeigt der Kia, dass er keineswegs den Chefdynamiker heraushängen lassen will. In-die-Kurve-werfen ist nicht seine Paradedisziplin, der Kombi wirkt schnell behäbig und beginnt zu wanken.
Kommen wir zum Motor. Natürlich ist von vornherein klar, dass ein 1,6 Liter Diesel mit 136 PS keine Bäume ausreißt. Im Rahmen seiner Möglichkeiten gibt das Aggregat durchaus sein bestes, selbst bei Druck aufs Gaspedal über 140 km / h geht es noch munter bis zur Höchstgeschwindigkeit voran (197 km/h, 210 laut Tachoanzeige). Mal ganz ehrlich: Mehr braucht man eigentlich nicht.
Während der Vierzylinder bei solch hohem Tempo deutlich seine Stimme erhebt, überrascht er im Stadt- und Landstraßenverkehr mit einer vorzüglichen Ruhe. Mit dem 7-Gang DCT (mit Trockenkupplung) liegt das maximale Drehmoment um 20 Nm höher als beim Handschalter, maximal 300 Nm stehen somit an und sorgen für unaufgeregte Beschleunigungsvorgänge und eine gute Elastizität. Das Getriebe schaltet sanft und hält stets die perfekte Zahnradpaarung bereit. Manuelles Eingreifen über die Schaltpaddels am Lenkrad oder dem Wählhebel ist genau einmal nötig: zum Ausprobieren, danach überlässt man die Denkarbeit dem DCT. Ein guter Einstand für diese Getriebetechnik bei Kia. Eine andere Funktion sollte im Entwicklungszentrum nochmal optimiert werden. Die Start/Stopp-Automatik ist extrem träge. Steht man am Hang an der roten Ampel und will losfahren, kann es passieren, dass das Auto bis zu zwei Meter zurückrollt bevor sich der Motor wieder bequemt, anzuspringen. Hupkonzert des Hintermanns inklusive.
Euro 6 erfüllt der CRDI ohne Harnstoffeinspritzung, mühsames AdBlue-Nachfüllen ist also nicht nötig. Ganz koreanisch gibt sich der cee´d CRDI plötzlich bei der Trinkfestigkeit. Statt Soju (traditioneller koreanischer Branntwein, übrigens sehr lecker) haut er sich lieber eine fossile Flüssigkeit in die Brennräume. Im Testzeitraum hat er sich bei einem ausgewogenen Mix aus Stadtfahrten, Überlandtouren und fixen Autobahnritten sage und schreibe 7,3 Liter alle 100 km genehmigt. Das ist eindeutig zu viel. Der Fairness halber sei aber erwähnt, dass man den Verbrauch mit einem sensiblen Gasfuß auch leicht unter sechs Liter drücken kann, beim Testverbrauch hauen die schnellen Autobahnetappen richtig rein.
Stichwort Preis. Der Kia cee´d Sportswagon in der höchsten Ausstattung Spirit (darüber gibt es aktuell noch das Sondermodell Platinum Edition mit der verzichtbaren Lederausstattung) kostet als 1,6 CRDI faire 26.840 Euro. Das im Testwagen verbaute Technologiepaket verlangt zusätzliche 1.790 Euro. Darin enthalten sind ein schlüsselloser Zugang und Motorstart, Spurwechselassistent (Warnung vor Autos im toten Winkel), die digitalen Instrumente und ein sehr hilfreicher Querverkahrswarner am Heck. Außerdem Xenonscheinwerfer mit adaptivem Kurvenlicht. Viel Schein werfen die Xenons aber nicht. Was bei trockener Nacht noch ausreicht, aber beim (Hanlogen-)Fernlicht enttäuscht, wird bei Regen zum Blindflug. Die Lichtschneise ist nicht nur zu kurz, die starke Streuung nach oben bedeutet auch, dass sich die Helligkeit in den Regentropfen bricht und schnurstracks zurückblendet.
Weniger blendet der Gesamtpreis des so ausgestatteten Testwagens: 28.630 Euro. Ein Golf Variant Comfortline 2,0 TDI mit ähnlichen Optionen ruft beim Kassierer 35.365 Euro auf, ein Ford Focus mit ebenfalls 150 PS immer noch 32.965 Euro laut Liste (aber oftmals mit Aktionspreisen). Ähnlich günstig sind Opel Astra Sports Tourer Edition (136 PS) für 29.395 Euro und das Konzernschwestermodell Hyundai i30 Kombi als Style für 29.300 Euro. Wobei in diesem internen Duell schon die Optik ganz klar das Pendel in Richtung Kia ausschlagen lässt. Bei der fairen Preisgestaltung des cee´d ist es kein Wunder, dass nach Aussage eines Kia Händlers, den ich mit Fragen löchern durfte (Danke sehr nach Magstadt bei Stuttgart!), die meisten Kunden ihren cee´d direkt mit der hohen Spirit-Ausstattung bestellen. Die sensationelle Herstellergarantie über 7 Jahre nimmt man dabei gerne mit, sie muss aber nicht mehr als Hauptverkaufsargument herhalten.
Fazit:
Der cee´d steht stellvertretend für den rasanten Aufstieg von Kia als ernstzunehmende Alternative auch zu den deutschen Mitbewerbern. Der Kombi ist ein rundum gelungener Kompaktwagen mit hochwertigem Antlitz, ohne „premium“ zu rufen. Braucht eigentlich eh´ keiner. Wer also über unqualifizierte Kommentare von weniger automobil gebildeten Nachbarn hinwegsehen kann, der wird mit dem cee´d einen mehr als durchschnittlichen Begleiter finden. Unspektakulär eben. Nicht aufregend. Weil er nicht aufregt.
Notiz an die Wunschfee:
Das stramme Fahrwerk passt besser zu einem stärkeren Motor. Also könnte es gerne der cee´d GT mit 204 PS sein. Dann aber bitte auch mit dem gelungenen DCT-Getriebe, diese Kombination ist aktuell nicht lieferbar. Und warum nicht auch den Sportswagon als GT anbieten?
Technische Daten
Hubraum | 1.582 ccm |
Maximale Leistung kW / PS | 100 kW / 136 PS bei 4.000 U / min |
Max. Drehmoment | 300 Nm bei 1.750 - 2.500 U / min |
Beschleuningung 0-100 km/h | 10,9 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 197 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 4,2 Liter / 100 km |
Verbrauch real auf 100km | 7,3 Liter / 100 km |
Grundpreis | 26.840 Euro |
Testwagenpreis | 28.630 Euro (inkl. Technologie-Paket) |