Der neue Kia EV3 im ersten Fahrbericht mit Video-Review.
Erst die Kür, dann die Pflicht? Beim Ausrollen neuer Technologien könnten Autofans und -käufer das vermuten. Erst kommen die großen, teuren Modelle auf den Markt, später die Brot-und-Butter-Baureihen. Die aktuelle Elektroauto-Generation von Kia startete mit EV6 und EV9, jetzt wollen die Südkoreaner mit dem EV3 eine breitere Kundenschicht erreichen.
Der Kia EV3 im Video
Bei den Modellstrategien der Hersteller spielen natürlich hohe Investitionen eine Rolle. Die Topmodelle sollen als Leuchtturm-Produkte höhere Preise erzielen, bevor die Bleistifte in den Finanzabteilungen weiter gespitzt werden, um günstigere Autos zu kalkulieren.
Ist der kompakte EV3 also eine rollende Verzichtserklärung? Diese provokative Frage will der Fünftürer im Rahmen erster Testfahrt mit „Nein!“ beantworten. Um uns nicht blenden zu lassen, haben wir uns bewusst einen Testwagen in der Basis-Ausstattungslinie Air ausgesucht. Darüber rangieren das umfangreicher ausstraffierte Niveau Earth und die GT-line als Topmodell mit dynamisch orientiertem Auftritt.
Nachfolger des Niro EV
Der Kia EV3 ist 4,30 Meter lang, 1,85 Meter breit und 1,57 Meter hoch. Nicht nur mit diesen Maßen, sondern auch mit dem betont geradlinigen Design, das der „Opposites United“-Philosophie der Marke folgt, gibt er ganz klar den selbstbewussten Kompakt-Crossover. Hat Kia nicht zwei andere Elektroautos ähnlicher Größenordnung im Programm? Nicht mehr. Nach dem e-Soul ist jetzt auch der Niro EV aus dem Konfigurator und den Preislisten verschwunden.
Als technische Basis nutzt der EV3 eine abgewandelte Form der E-GMP-Architektur (Electric Global Modular Platform) der Hyundai Motor Group. Sie ist für die günstigeren Modelle mit 400-Volt-Technologie ausgestattet und auf Frontantrieb ausgelegt (mit der Option auf Allradantrieb per zweitem Motor an der Hinterachse.
Der Fahreindruck
Unter der vorderen Haube steckt ein permanenterregter Synchronmotor mit 150 kW (204 PS). Diese Leistung und das Drehmoment von 283 Newtonmetern treiben den immerhin rund 1,9 Tonnen schweren Kompakten ausreichend kräftig voran, ohne Fahrer und Insassen mit einem Tritt in den Rücken zu schocken. Zumindest auf den trockenen Straßen an der portugiesischen Atlantikküste treten keine Traktionsprobleme an der Vorderachse auf.
Das Fahrwerk mit frequenzselektiven Dämpfern harmoniert gut mit den 17-Zol-Rädern. Der EV3 schluckt Querfugen und kurze Wellen komfortabel, wozu auch die Sitzpolster beitragen. Der Federungskomfort darf insgesamt als komfortabel gelten, ohne dass der Kia schaukelt oder wankt. Der für einen Vergleich ebenfalls kurz gefahrene EV3 GT-line mit 19-Zöllern spricht etwas verbindlicher an, ist aber ebenfalls angenehm alltagstauglich abgestimmt.
Die per Lenkradtaste auswählbaren Fahrmodi zeigen eine nur geringe Spreizung zwischen den einzelnen Abstimmungen. Im „Normal“-Modus ist man meist richtig unterwegs. Der Bordcomputer meldet am Ende des Testtages über Landstraßen – auch in den Bergen – und Autobahnen sowie etwas Stadtrandverkehr in Lissabon einen Wert von 16 Kilowattstunden je 100 Kilometer. Das liegt nur knapp über dem WLTP-Normwert von 14,9 kWh / 100 km. Er macht den Kia EV3 in der Testwagen-Konfiguration mit dem 81,4 kWh großen Lithium-Ionen-Akku (Serie sind 58,3 kWh) zum Reichweiten-Streber. 605 Kilometer gibt der Hersteller an, bevor spätestens nachgeladen werden müsste. Auf dem Weg dahin kann der Akku vorkonditioniert werden, um optimale Bedingungen zu schaffen.
AC-Upgrade kommt 2026
Wechselstrom wird über drei Phasen mit 11 kWh gezogen. Im Jahr 2026 soll als Option ein 22-kW-Ladegerät ins Auto einziehen. Ohne die 800-Volt-Technologie der größeren Elektro-Kias bleibt die Ladeleistung für Gleichstrom über den CCS-Anschluss auf durchschnittlichem Niveau. 101 kW sind es für die Variante mit dem kleinen Akku, 128 kW für den EV3 mit 81,4 kWh im Fahrzeugboden. Greifbarer für den Alltag: 31 Minuten sollen vergehen, bis so der Füllstand an Elektronen von zehn auf 80 Prozent gehievt wurde.
Verbrauch, Reichweite und Ladeleistung können wir erst in einem späteren Alltags-Test prüfen. Schon jetzt bietet die Ausfahrt aber eine Möglichkeit, den Innenraum zu entdecken. Die Materialien, die zum Teil aus recycelten Kunststoffen bestehen, machen einen ordentlichen Eindruck. Das gilt auch für die Verarbeitung.
Im Fond bietet der Kia EV3 viel Platz, vor allem nach oben. Auch die Kniefreiheit passt, sofern keine Zweimeter-Menschen hintereinander sitzen. Der ebenfalls neue Skoda Elroq bietet in der zweiten Reihe jedoch ein paar Zentimeter mehr. Die Vordersitze gefallen mit weicher Polsterung an der Sitzfläche und hoher Rückenlehne. Sie wird oben herum jedoch etwas schmal. Leider ist der Beifahrersitz, im Gegensatz zum Möbelstück vor dem Zweispeichenlenkrad, nicht in der Höhe justierbar.
Im Cockpit ordnen sich drei Displays unter einer gemeinsamen Abdeckung an, so kennt man das auch von Kia EV9. Die kleine Anzeige für die Klimaeinstellungen erlaubt einen direkten Zugriff, die Anzeigen werden jedoch zum Lenkrad teilweise verdeckt. Per Fingerdruck kann das Klima-Menü auf dem großen Infotainment-Display angezeigt werden. Hier ist auch die Kartendarstellung des serienmäßigen Navigationssystems zuhause. Smartphone-Inhalte lassen sich auch ohne Kabelverbindung via Apple CarPlay und Android Auto nutzen. Da gilt zu beachten: Eine Ablagefläche mit induktiver Ladefunktion für Smartphones ist er ab dem zweitem Ausstattungsniveau Earth an Bord.
Per kostenpflichtigem Upgrade sollen später weitere digitale Inhalte ins Auto kommen, darunter eine KI-Unterstützung (Künstliche Intelligenz) der Sprachsteuerung mit ChatGPT und Video-Streamingdienste für kurzweilige Ladepausen. Eine App, die das Smartphone mit dem Auto verbindet, kann als digitaler Schlüssel verwendet werden, um den EV3 zu öffnen und zu starten.
Tschüss, Klavierlack!
Vor der Armlehne und zwischen den Vordersitzen nehmen viele große Ablagefächer Taschen und Kleinkram auf. Glänzende Kunststoffe in Klavierlack-Optik verbaut Kia, wie bereits im EV9 und dem Facelift des EV6, nicht mehr. Damit wird das Interieur alltagstauglicher, man muss nicht ständig Staub und Fingerabdrücke wegwischen.
Der Kofferraum hinter der steilen Heckklappe (elektrisch erst bei GT-line) fasst üppige 460 Liter, wenn man das Kellerabteil unter dem doppelten Ladeboden mit einrechnet. Nach dem Umklappen der geteilten Rücksitzlehne entsteht ein 1.251 Liter großer Laderaum. Dazu kommt ein „Frunk“ (Front Trunk, vorderes Staufach) mit 25 Litern Volumen, beispielsweise für ein Ladekabel oder schmutzige Sportschuhe.
Die Anhängelast des Kia EV3 mit großem Akku beträgt 1.000 kg (mit der 58,3-kWh-Batterie sind es 500 kg), die Dachlast 80 kg. Üppig fällt die Stützlast aus: 100 kg sind möglich. Wer also zwei schwere E-Bikes mit Fahrradträger auf die Kupplung am Heck schnallen will, ist hier gut versorgt.
Das kostet der Kia EV3
In der Ausstattungslinie Air bringt der Kia EV3 eine adaptive Geschwindigkeitsregelanlage, die auch Navigationsdaten mit einbezieht, den Autobahnassistenten, Einparkhilfe an Front und Heck, die Zweizonen-Klimaautomatik und ein Online-Navigationssystem mit.
Angesichts der guten Serienausstattung und des Formats ist der Grundpreis von 35.990 Euro, den Kia aufruft, ein faires Angebot – auch wenn der wohl wichtigste Mitbewerber, der Skoda Elroq, ab 33.900 Euro zu haben sein wird.
Für 41.390 Euro bekommt man das EV3-Basismodell mit dem größeren Akku, der also 5.400 Euro Aufpreis kostet und die Norm-Reichweite von 436 auf 605 Kilometer erhöht. Der Testwagen bringt noch die 290 Euro teure Lackoption „Frost Blau“ mit, kommt so auf einen Listenpreis von 41.680 Euro. Zu empfehlen wäre noch das 1.000 Euro Winterpaket mit Wärmepumpe sowie Sitz- und Lenkradheizung – Gesamtpreis 42.680 Euro.
Für weitere 990 Euro kann man dann ein Fahrassistenz-Paket buchen, das den erweiterten Autobahn-Assistenten mit Spurwechselhilfe, einen aktiven Totwinkelwarner mit Brems- und Lenkeingriff und weitere Fahrhilfen umfasst. Leistungsstärkere LED-Scheinwerfer mit je 12 Modulen gibt es erst ab Earth (optional) und GT-line (Serie). Adaptive Matrix-LED werden für den Kia EV3 nicht angeboten.
Mehr Leistung? Gibt es später
Aktuell ist der Kia EV3 ausschließlich mit dem hier beschriebenen 150-kW-Frontmotor zu haben. Für einen späteren Zeitpunkt hat Kia jedoch auch eine Allrad-Variante mit zweitem Motor an der Hinterachse angekündigt. Außerdem wird auch der kompakte EV3 als sportlicher GT aufgelegt. Nähere Informationen zu den künftigen Erweiterungen der Modellpalette gibt es aber noch nicht.
Fazit
Das Kia-Design mag für manche Menschen polarisierend wirken, da macht auch der neue EV3 keine Ausnahme. Beim Gesamtpaket sind sich aber gewiss alle einig: Mit dem geräumigen Innenraum, moderner Connectivity, einem effizienten Elektroantrieb und seinem hohen Fahrkomfort ist der Kia EV3 ein gelungener Aufschlag in der Elektro-Kompaktklasse. Die Preise sind auf einem -verhältnismäßig – niedrigen Niveau, dazu gibt es die gewohnt lange Neuwagen-Garantie für sieben Jahre bis zu einer Laufleistung von 150.000 Kilometern.
Auch wenn der EV3 für die Kia-Planner vielleicht eine Pflicht-Übung war – er kürt das Modellprogramm als vielleicht bestes Gesamtpaket.
Technische Daten
Kia EV3 Air |
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Antriebsart | Elektro |
Antrieb | Frontantrieb |
Getriebe | Eingang-Reduktionsgetriebe |
Elektromotor: Maximale Leistung kW | 150 kW (204 PS) |
Elektromotor: Maximales Drehmoment | 283 Nm |
Batterie | 81,4 kWh |
Batterie: Typ | Lithium-Ionen |
Maximale Ladeleistung Gleichstrom (DC) | 128 kW |
Maximale Ladeleistung Wechselstrom (AC) | 11 kW (dreiphasig) |
Beschleuningung 0-100 km/h | 7,7 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 170 km/h |
Norm-Verbrauch kWh / 100 km | 14,9 kWh / 100 km |
Reichweite nach Norm | 605 Kilometer |
Kofferraumvolumen | 460 - 1.251 Liter + Frunk 25 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Kumho Ecsta PS71 215/60 R17 |
Leergewicht | 1.930 kg |
Anhängelast (gebremst) | 1.000 kg |
Stützlast | 100 kg |
Dachlast | 80 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.300 / 1.850 / 1.565 mm |
Basispreis Baureihe | 35.990 Euro |
Basispreis Modellvariante | 41.390 Euro |
Testwagenpreis | 42.680 Euro |