Mercedes V250 BlueTEC im Alltagstest
Tick Tack, Tick Tack, Tick Tack… Ein vertrautes Geräusch. Das helle Klicken, so wie es nur ein Mercedes-Benz-Blinker von sich gibt. So oft schon hat mir dieser Rhythmus ein Gefühl der Geborgenheit vermittelt, sei es nach einer langen Geschäftsreise auf dem Heimweg vom Flughafen oder zu später Stunde, wenn das eigene Auto besser stehen blieb. Das Taxi, in neun von zehn Fällen eine E-Klasse unterschiedlichster Baujahre und Pflegezustände. Aber immer mit dem gleichen Blinker. Dieses Geräusch verklickert Dir „willkommen zu Hause“. Unser Zuhause für diesen Test: Der Mercedes-Benz V250 BlueTEC im Avantgarde-Dress.
Nach eher halbherzigen Versuchen, mit der ersten V-Klasse und dem Viano einen Gegenspieler zum VW Multivan zu etablieren, schaffte Mercedes-Benz es im dritten Anlauf endlich, dem Widersacher aus Hannover Paroli zu bieten. Mittlerweile spiegelt sich das auch in den Zulassungszahlen wieder. Nach offiziellen Angaben des Kraftfahrtbundesamtes bekamen im Juli 2015 2.645 VW T5 (als Multivan, Caravelle oder California) den ersten Stempel und genau 2.486 V-Klassen die Schilder frisch aus der Presse. Endlich ist der Stuttgarter am Mitbewerber dran.
Natürlich ist auch die aktuelle V-Generation das Schwestermodell der Transporter-Baureihe Vito, emanzipiert sich aber deutlich fühl- und sichtbar vom Baustellenbus. Damit meine ich natürlich nicht den Blinker, der im Vito mutmaßlich genauso klingt. Das multifunktionale Lederlenkrad mit der Chromspange und den angenehmen Griffmulden hängt genauso auch in der C-Klasse vor dem Fahrer herum. Es gibt den Blick frei auf hervorragend ablesbare Rundinstrumente und ein zentrales Display, das in seiner Schärfe und Brillanz kaum zu übertreffen ist. Über die Breite des geschwungenen Armaturenträgers – ein Gegensatz um hoch bauenden Vito-Cockpit - verteilen sich vier runde Lüftungsdüsen mit edel verchromten Zierringen. In der Mitte thront das große Display, wie mittlerweile in fast allen Mercedes-Modellen. Im Gegensatz zu A- oder C-Klasse wirkt es im Bus nicht so, als ob jemand sein iPad mit Saugnapf an der Windschutzscheibe festgepappt hat, da Du als Fahrer hier viel mehr Sichtfläche durch die große Scheibe hast. Im gekonnten Materialmix, der auch vor ledervertäfelten Armablagen in den Türen und der immer wieder genialen Sitzverstelleinheit nicht Halt macht fällt die Mittelkonsole leider deutlich ab. Um das vom Nachbarsjungen vergessene Enterprise-Model - ach so nein das ist der wirre Touchpad-Dreh-Drück-Irgendwas-Controller - herum präsentiert sich eine triste, kratzempfindliche Plastikfläche. Zumindest ein kleiner Chromrahmen wie um sonst fast alles sollte drin sein. Naja, Jammern auf hohem Niveau.
Auf einem eben solchen sitzt auch der Fahrer, nachdem er den V250 bestiegen ist und dabei tunlichst aufgepasst hat, die schick leuchtende Einstiegsleiste nicht zu verschmutzen. Der Gurt rastet ins Schloss und die Armlehne klappt herunter. Der Blick-, Riech- und Fühltest kommt dreimal zur gleichen Antwort: Nobel, nobel! Die S-Klasse als geräumigste Mercedes-Limousine? Pustekuchen, "V-orhang" auf für diesen Kasten.
Der Testwagen ist die 5,14 Meter lange goldene Mitte, in der Preisliste heißt das „Fahrzeuglänge lang“. Es gibt noch einen kurzen mit 4,90 Metern (sieht skurril aus, macht wenig Sinn – warum ein so großes Auto und dann doch Angst vor Parklücken haben?) und einen 5,37 Meter – Personentransporter (sieht auch weniger schick aus, lohnt sich nur als Hotelshuttle). Sechs große Sitze in drei Reihen sind serienmäßig eingebaut. Fahrer und Beifahrer sitzen auf (optional) elektrisch verstellbaren, beheiz- und belüftbaren Stühlen, die vier weiteren im Fahrgastraum sind auf Schienen einfach verstellbar und bei Bedarf herausnehm- und drehbar. Aber es empfehlen sich starke Arme: Gut 19 kg bringt ein Stuhl auf die Waage, das ist das Preis für den hohen Sitzkomfort. Aber ganz ehrlich: Wie oft baut man im Autoalltag die Sitze ein und aus? Irgendwann gewöhnt man sich ab, ans Telefon zu gehen, wenn Bekannte aus lang vergessener Vorzeit anrufen, weil sie „lange nicht gehört“ usw. ja morgen umziehen und es leider irgendwie verpasst haben, sich einen Transporter zu mieten.
Während sich drinnen also das Telefon in Rage bimmelt kann man das Geräusch ganz einfach vor der Haustüre damit übertönen, den Zündschlüssel herumzudrehen. Gleich zwei Soundanlagen bietet die V-Klasse. Eine multimediale, auf Wunsch auch dekadent mit Burmester-Surround-Wumme, und die andere vorne unter der Motorhaube: OM 651 mimt hier den Presslufthammer. Der universale Mercedes-Dieselmotor muss geräuschtechnisch mit seinem hohen Einspritzdruck natürlich irgendwo hin. 190 PS stehen im Normalbetrieb an, 14 weitere inklusive einer Drehmomentsteigerung von 440 auf 480 Nm mit Hilfe der Overtorque-Technologie. Und die ist immer parat, außer im „Eco“ Modus des einstellbaren Fahrzeugsettings, bei Mercedes heißt das „Agility Control“.
Die Fahrleistungen können sich in der Tat sehen lassen. Zügig geht es im großen Kasten voran, die 7-Gang-Automatik schaltet fix und sauber durch die Gänge und auf der Autobahn beschleunigt der V250 zwar brüllend aber überraschend schnell auf Reisetempo. Und mehr: 206 Stundenkilometer verspricht das Werk als Spitzengeschwindigkeit. Laut Tacho waren 212 km/h drin, einmal nach langem Anlauf erschien kurz die Zahl 213 im Display. Jaja, schon klar: Diese Hatz entspricht natürlich nicht dem Wesen des Autos. Findet auch das Armaturenbrett. Der ansonsten solide verarbeitete Van knistert hier bei Topspeed wie ein Kamin in den man neues Holz nachlegt. Also wieder runter vom Gas, die Spanne 130 bis 160 ist eine gute Dauergeschwindigkeit mit dem 250er. Bei allem, was schneller ist, wird die Autobahnspur auch verdammt eng, so hoch wie man sitzt. Außerdem hämmert sich der Vierzylinder jetzt nicht ganz so penetrant ins Ohr. Sechszylinder-Diesel oder gar einen Benziner wie in den Vorgängergenerationen gibt es in der V-Klasse übrigens nicht mehr. Neben dem gefahrenen Topmodell kann man noch zwischen dem gleichen Motor als V200d mit 136 PS oder V220d mit 163 PS wählen. Auch unser V250 BlueTEC heißt neuerdings nur noch „d“ hinter der Zahl.
Die V-Klasse fräst sich mit ihrem LED-Tagfahrlicht den Weg über die mittlere und linke Autobahnspur, dabei sitzt man innen auf den hohen und steilen Sitzen, ein wenig wie im Multiplexkino. Die Leinwand in Form der Cinemascope-Windschutzscheibe zeigt heute wieder „Landschaftsbilder entlang bundesdeutscher Fernstraßen“.
Im Gegensatz zum Lichtspielhaus darf man sich hier sehr wohl mit seinen Mitguckern unterhalten. Das klappt sehr gut, da kaum Wind- oder Abrollgeräusche zu hören sind. Und wenn das Armaturenbrett sich wieder beruhigt hat, auch sonst keine Geräusche aus dem Innenraum. Bei den großen Kunststoffpanelen, die das fahrende Wohnzimmer innen verkleiden, ist diese Stille schon bemerkenswert. Das Fahrwerk mit selektivem Dämpfersystem verspricht laut Verkaufsliteratur „eine ausgewogene Balance zwischen Fahrkomfort und Agilität“. Diesseits von Werbegetexte zeigt es eine meilenweite Verbesserung gegenüber dem Viano, kann aber dennoch nicht verhindern, dass sich empfindliche Mägen vor allem aus dem Fond gerne mal melden - trotz aller Selektion und sich anpassender Dämpfer, ein bisschen Wippen ist immer drin. Etwas besser, aber nicht vollends beseitigt, ist das im Fahrmodus „S“ wie Sport. Hier spannt der V250 spürbar die Muskeln an, der Motor dreht höher und das Auto liegt straffer. Leider fehlt ein Individual-Modus, da das straffere Federwerk mit einem ruhigeren Motorlauf zumindest in meinen Augen die ideale Kombination wäre.
Auf der Autobahn trumpft die V-Klasse mit ihrer Sammlung modernster Assistenzsysteme auf. „Distronic Plus“ regelt und hält automatisch den Abstand zum Vordermann, der Spurhalteassistent lässt beim Überfahren der Fahrstreifenbegrenzung das Lenkrad vibrieren und bei einsetzender Dämmerung schaltet sich das adaptive LED-Licht mit Kurvenfunktion an. Die Verkehrszeichenerkennung funktioniert tadellos und reagiert sehr schnell auch bei Schilderbrücken während der Totwinkelassistent optisch und akustisch vor Fahrzeugen beim Spurwechsel warnt. Ein weiteres technisches Schmankerl ist der Seitenwindassistent. Er bremst gegen den Wind einseitig ab, um ein starkes Versetzen des Autos zum Beispiel auf Brücken oder beim Überholen von Sattelschleppern zu minimieren.
Auch am Ziel der Reise behält die V-Klasse ihre Höflichkeit, zeigt beim Einlegen des Rückwärtsgangs nicht nur das scharfe Bild der 360-Grad-Kamera (was eigentlich vier Kameras im Kühler, an den Spiegeln und am Heck sind) an, sondern lenkt auf Wunsch mit dem Einparkassistenten auch selbständig in die Lücke. Das funktioniert sowohl längs- wie auch quer.
Die Schiebetüren öffnen sich elektrisch, ebenso die riesige Heckklappe, beides natürlich gegen saftige Aufpreise. Für enge Lücken oder für „mal eben zum Supermarkt“ kann man aber auch nur die Heckscheibe öffnen. Und hier verbirgt sich eines der besten Features der V-Klasse. Auf der Ladetraumunterteilung, übrigens mit 50 kg belastbar, finden sich zwei integrierte Klappkisten. „Noch vier Tüten bitte“ war also gestern, mit der V-Klasse hat man nicht nur immer seine Tragegelegenheiten dabei, sondern verstaut Melone, Milch und Co. auch noch perfekt gesichert auf dem Weg nach Hause. So darf Transporterkompetenz gerne auch beim Van durchschimmern.
Nach dem Aussteigen bleibt Zeit, die V-Klasse von außen zu betrachten. Die lange Schnauze, vor allem den EU-Fußgängerschutz über dem längs eingebauten Motor geschuldet, steht dem Wagen prächtig. Der Rest zitiert die Klappkisten in Silber: Eckig, praktisch gut. Die sanfte Keilform der Gürtellinie, die parallelen Blechfalze an den Flanken und die streng geometrischen Formen am Heck mit der tiefen Scheibe wissen sehr gut zu gefallen. S-VK 8015 hat sich mit glanzgedrehten 18-Zoll Alus herausgeputzt, die dem gekonnten Design optisch einen guten Stand geben. Steinigt mich ruhig, Markenjünger, aber ich traue mich, zu sagen, dass die V-Klasse der derzeit hübscheste Mercedes ist.
Wer schön sein will, muss leiden. Beim Kauf einer V-Klasse kommt der unangenehme Part beim Kassensturz. Groß und breit wurde nun über Assistenten, den schnellen Antrieb, elektrische Türen, wärmende und kühlende Sitze und vieles mehr geschwärmt. Das alles gibt es nicht umsonst. Der Testwagen war bis unters 1,88 Meter (ohne Dachreling) hohe Dach mit Extras vollgestopft. So kommt schnell ein Listenpreis von ganz genau 78.040,20 Euro zusammen (Grundpreis V250d Avantgarde: 56.917,70 Euro). Diese Zahlen wirken erstmal erdrückend, und auch Optionen in Höhe von über 21.000 Euro lassen manche den Kopf schütteln. Aber mal halblang, ein E-Klasse Kombi ist kaum günstiger. Den E250 BlueTEC gibt es als handgeschaltetes, nacktes Basismodell für 50.634,50 Euro. Der Kombi bietet dabei auch viel Raum, aber keinesfalls den Freiraum einer V-Klasse. Und schlechter angezogen ist man mit dem Großraumbenz auf keinen Fall.
10,4 Liter Diesel hat sich der V250 BlueTEC in unserem Testzeitraum alle 100 Kilometer genehmigt. Das klingt auf den ersten Blick viel, relativiert sich aber natürlich durch die schiere Größe des 2490 kg schweren Busses und vor allem auch durch die meist recht zügige Gangart, die der stärkste verfügbare Motor ermöglicht, ja fast schon herausfordert.
Also alles im Kasten, äh in Butter? Nicht ganz. Aus einer Sache bin ich leider immer noch nicht schlau geworden, und das ist die Bedienung des Command-Systems. Die Kombination aus Dreh-/Drückknopf und dem darüber liegenden Touchpad ist keineswegs intuitiv. Zudem gibt es noch immer zu viele Funktionsdopplungen. Alleine das Zurückspringen im Menü kann man auf drei verschiedene Wege ansteuern: Am Touchpad, mit dem Drehrad und mit einer weiteren Taste. Dafür funktioniert die Sprachsteuerung tadellos und versteht jeden gesprochenen Befehl umgehend richtig.
Plötzlich stehen wir da und müssen an einem Testwagen mit Werkzeug hantieren, wann hat es das zuletzt gegeben? Aber von vorne: Die Sitze im Fond sind wie beschrieben ausbau- und umsteckbar. Dabei ruhen sie auf Schienen zur Längsverstellung. Wer den 19 kg Sitz unbemerkt im doofen Winkel abstellt, bekommt ihn leider nicht mehr arretiert. Durch den Druck des Sitzes hatte sich eine der beiden Längsführungsschienen bewegt und der Sitz ließ sich folglich nicht mehr gerade einsetzen. Mit einem Schraubenzieher und der richtigen Portion Druck konnten wir den Reiter in der Schiene aber zur Bewegung überreden und alles wieder ins Lot bringen. Dieses Malheur werfe ich weniger dem Auto vor als mir selbst, eine entsprechende Schutzvorrichtung wäre aber doch eine gute Denksportaufgabe an die Entwickler für das Facelift.
Am Ende eines Testberichtes steht ja stets das „hop“ oder „top“. Ist das Testobjekt ein empfehlenswertes Automobil? Wer beim Lesen bis hier hin durchgehalten hat, erlaubt bitte das große Ausholen bei der Antwort auf diese Frage.
Wer beruflich oder privat täglich viele Kilometer Autobahn wegputzt und dabei nicht mehr als drei Mitfahrer nebst Normalgepäck hat, ist sicherlich mit einem E-Klasse T-Modell besser bedient. Straßenlage, Federungskomfort und Geräuschniveau passen da besser zur Fernstraßenhetze.
Geht es nur ums hohe Ein- und Aussteigen? Dann kommen vielleicht auch GLC (hieß mal GLK) oder GLE (hieß mal M-Klasse) in Frage.
So bleibt in der Tat die augenscheinlich wirre Empfehlung eines so großen Vans als Kurz- und Mittelstreckenwagen für die Familie. Die Kinder nebst Nachbarsnachwuchs vom Badesee zur Pizzeria? V-Klasse bitte. Und nein, ich spinne nicht. Wer sich all´ die SUVs und Multivans mittags vor der Schule mal genauer ansieht, merkt schnell, das zumindest hier in Süddeutschland solche Preisregionen nicht utopisch sind. Die Leasingrate an Papas Firma richtet das schon.
Und ja, endlich kann man die oft strapazierte Marketingzielgruppe der aktiven Sportler mit an Bord holen. Wer gerne stets ein bis zwei Mountainbikes, vielleicht ein Surf- oder Snowboard, Gleitschirm oder was auch immer dabei hat, weil er es sich leisten kann, nachmittags raus aus dem Büro, rein ins Vergnügen zu fliehen, auch der hat V-Klasse-Bedarf. Dann aber mit Allrad (gibt es natürlich, heißt 4Matic) und – wenn schon, denn schon - vielleicht als „Marco Polo“ Freizeitversion mit Schlafliege.
Genau definieren kann man die Empfehlung für oder wider diesen Sternenkreuzer also nicht. Ein Auto wie die süßen Entscheidungen im Leben: Muss man nicht machen, kann man aber – und dann mit Freude.
Technische Daten
Mercedes-Benz V250 BLUETEC |
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Hubraum | 2.143 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 140 / 190 (bis zu 150 / 204) bei 3.800 U/min |
Max. Drehmoment | 440 Nm (bis zu 480 Nm) bei 1.400 - 2.400 U/min |
Getriebe | 7-Gang-Automatik |
Beschleuningung 0-100 km/h | 9,1 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 206 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 6,0 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 10,4 Liter |
Grundpreis | 56.917,70 Euro |
Testwagenpreis | 78.040,20 Euro |