Volvo XC90 Aus einer anderen Welt

Der große Volvo im ersten Fahrbericht.



Bitte lassen Sie mich dieses mal ganz anders anfangen. Ich taste erstmal nicht herum, drücke keine Knöpfe oder gar den Motor-Startknopf. Ich lausche – und zwar dem im Test-Volvo verbauten Soundsystem von Bowers & Wilkins. Kurz davor, diese Seite von auto- in audionotizen.de umzubenennen, grabe ich mich immer weiter durch die Playlists, teste verschiedene Musikstile und kombiniere diese mit Voreinstellungen der Anlage im XC90.

Volvo XC90 im Fahrbericht

Am ausgetüftelsten erscheint die Einstellung „Gothenburg Concert Hall“, die ein Klangerlebnis vermittelt, das dem in eben jenem Gebäude nachempfunden sein soll. Dort war ich zwar noch nie drin, aber wage jetzt schon zu fragen: Warum ewig warten, bis Röyksopp oder Daft Punk dort auftreten dürfen? Einfach mal das entsprechende Album im XC90 einlegen. Mein Loblied über 1.400 Watt Leistung, 19 Lautsprecher mit Edelstahlverkleidungen findet sein abruptes Ende jedoch wie so oft in einer Zahl: 3.280 Euro. Das ist der Preis für den audiophilen Genuss, dazu kommt natürlich noch der Rest vom Auto. Und mit dem beschäftigen wir uns hier im Fahrbericht.

Es ist der Volvo XC90 als D5 AWD, das heißt Allradantrieb und die 225 PS starke Ausbaustufe des 2,0 Liter Vierzylinder – Turbodiesels. Mehr Motorvolumen wird es bei Volvo in Zukunft ebenso wenig geben wie mehr Zylinder. Der neue Baukasten der Schweden schreibt die zwei Liter verteilt auf vier Kolben vor, mal mit Diesel, mal mit Super gefüttert. Und bei potenten Versionen wie dem großen XC90 T6 auch gerne mit Elektrounterstützung als Hybrid (Systemleistung hier 400 PS). Der Testwagen ist ein seltener Geselle, nämlich ein XC90 der „First Edition“. Dieses Sondermodell zur Markteinführung der Baureihe war weltweit auf 1.927 Exemplare limitiert (eine Hommage an das Gründungsjahr der Marke) und binnen 47 Stunden ausverkauft. Stückpreis laut deutscher Liste: 90.200 Euro. Preisnachlässe? Fehlanzeige.

So wie der schwarze XC90 vor uns steht, schindet er massiv Eindruck. Unter neuer chinesischer Konzernzugehörigkeit darf und kann Volvo wieder atmen. Die Frischluft bekommt den neuen Produkten. Der XC90 verkörpert skandinavischem Anspruch in Reinkultur. Das elegante Äußere des großen Wagens verzichtet auf böse Blicke, unnötige Sicken und marktschreierische Formenspiele. Die flache Front spielt nicht den penetranten „weg da“ SUV sondern trägt den Kühler mit der Volvo-typischen Querspange stolz und aufrecht, aber nicht fordernd dem Fahrtwind entgegen. Die großen Scheinwerfer mit dem LED Tagfahrlicht und Blinker in Form eines Hammers unterstreichen die Geradlinigkeit nochmals. Am Heck behält das Volvo-Design auch in Zukunft die betont großen und senkrechten Leuchten. In der Kneipe der SUVs ist der Volvo klar der Typ, der im eleganten Designeranzug mi t leicht gelockerter, schmaler Krawatte und Chelsea-Boots hereinspaziert und dabei die Blicke auf sich zieht. Gekonnt kombiniert – gilt das auch für „unten drunter“?

Volvo XC90 im Fahrbericht

Außen hui, Innen hui. Das Cockpit empfängt das Fahrerauge mit ebensolcher Stilsicherheit wie die Karosserie. Zentrales Element ist der hochkant stehende Touchscreen, über den sich fast alles im XC90 bedienen lässt. Ewig lange habe ich das Fahrer- und Beifahrerumfeld abgesucht auf der typisch Deutschen Suche nach Hartplastikflächen, um daran herum zu mosern. Die Suche blieb erfolglos. Alles, was nicht mit Holz oder Edelstahl beklebt ist, haben die Volvo-Mannen bei der „First Edition“ mit Leder bespannt, dessen manchmal nicht ganz perfekte Kontrastnaht sehr sympathisch, weil handgemacht, wirkt. Die fahrrelevanten Anzeigen sind in allen XC90 serienmäßig volldigital dargestellt und sehr gut ablesbar.

Also los. Der Motor startet mit einem Drehknopf auf der Mittelkonsole. Edel gemacht und nett anzusehen, aber etwas weniger ergonomisch als sonst übliche Druckknöpfe. Dass der Volvo seine Kraft aus vier Töpfen schüttelt, verbirgt er vor allem nach dem Kaltstart keinesfalls. Schneller als der Gedanke an eine Kritik daran fertig erdacht ist, zieht sich der D5 aber in ein dezentes Hintergrundbrummeln zurück. Zudem sind auch bei hohen Drehzahlen keinerlei Vibrationen im Lenkrad oder sonst wo zu spüren. Mit seinen gewaltigen Rädern im Format275/40 R21 pflügt der SUV über den Asphalt. Das adaptive Fahrwerk lässt sich samt der Fahrzeugcharakteristik (Lenkung, Antrieb) in vier verschiedenen Modi einstellen: „Comfort“, „Sport“, „Individual“ für die eigene Komposition und „Eco“. Angenehm fällt auf, dass der „Eco“-Modus den Vortrieb des Motors subjektiv nicht schwächt. Auf „Sport“ senkt die Luftfederung das Fahrzeug um zwei Zentimeter ab und strafft sich, die Lenkung reagiert direkter. Das ganze Auto fühlt sich plötzlich eine halbe Klasse kleiner an: diese Spreizung weiß zu gefallen.

Im „Sport“-Modus und trotz 21-Zoll-Felgen bietet der XC90 auch auf einer bekannt schlechten Betonplatten-Autobahn (für alle Südländer: Gemeint ist die A92) einen überragenden Komfort. Zudem überzeugt die Verarbeitung auf ganzer Linie, nichts klappert oder knirscht. Ob wir nun im Verkehr mitschwimmen oder zu späterer Stunde der Gasfuß auch mal sehr schwer wird. Der Vierzylinder ist zwar beim Ausdrehen deutlich hörbar, verschwindet aber bei konstanter Fahrt sehr schnell aus dem Aufmerksamkeitsbereich von Fahrer und Passagieren. Das gilt leider nicht für die unnötig harte Querstrebe im Fahrersitz, die zumindest bei schwereren Personen merklich gegen das Gesäß drückt. Sehr schade, da die vielfältig einstellbaren Sitze – selbstredend mit Heizung, Lüftung und Massagefunktion – ansonsten äußerst bequem sind und mit einer ausziehbaren Oberschenkelauflage perfekten Halt bieten.

Die Rücksitzbank ist ähnlich bequem, trotz der erhöhten Anordnung müssen Erwachsene aber die Beine zu stark anwinkeln, fast wie in einem Van. Hier hinten übrigens entdeckt man dann doch hartes Plastik, und zwar an der Rückseite der Vordersitze. Aber halt, nicht aufregen: Das ist wohl ganz bewusst so gewählt, denn wer auch nur ein einziges Mal erfolglos versucht hat, Kinderschuhdreck aus ach so feinen Maserungen zu polieren, weiß das zu schätzen. Dieses Element zeigt also einmal mehr den durchdachten Ansatz des XC90. Einen wirklichen Kritikpunkt kann zumindest ich bis auf den Sitz nicht finden, selbst das von der Autopresse oftmals schlechtgeredete Menu des zentralen Displays gibt mir keine Rätsel auf und ist einfach bedienbar.

Als 2002 der erste Volvo XC90 auf den Markt kam, glich er einer Revolution. Volvo und Geländewagen (so durfte man damals noch sagen), dass wollte nicht zusammenpassen. Tat es aber, was der große Erfolg bewies. Fast 13 Jahre später erblickte die zweite Generation das Licht der Welt. Bei dieser langen Bauzeit ist es nicht verwunderlich, dass der Nachfolger einen Quantensprung darstellt, er wirkt im direkten Vergleich zum alten Modell in sämtlichen Belangen wie aus einer anderen Welt.

Volvo XC90 im Fahrbericht

Diese „andere Welt“ ist es auch, die Volvo gut zu tun scheint. Nach der Trennung von Ford fanden die Schweden mit dem chinesischen Automobilkonzern Geely eine neue Mama. Die Asiaten lassen Volvo weitgehend freie Hand bei der Konzeption und der Produktion ihrer neuen Autos, von denen der XC90 der erste Bote ist. Ohne Plattform- und Gleichtteilezwang wie im Ford-Konzern können sich die Volvo-Mannen voll und ganz auf das konzentrieren, was sie erreichen wollen: Gute Autos zu bauen, die eine mehr als gekonnte Alternative zu den vornehmlich deutschen Premiummodellen sind. Und die vor allem einen eigenen Ansatz verfolgen. Lange war Volvo nicht mehr so skandinavisch Cool wie jetzt mit dem XC90. In einer Zeit, in der viele SUV-Modelle im Massengeschmackspagat zwischen den USA und Asien weichgelutscht werden (BMW X6, Porsche Cayenne) eine wahre Wohltat.

Aktuell bereitet Volvo den neuen S90/V90 als Konkurrenz zu BMW 5er und Audi A6 vor. Wenn wir uns eine solche Dienstwagenalternativen-Kombi für das mittlere und gehobene Management nur ähnlich schick und angenehm zu fahren vorstellen wie diesen XC90, dürften Volvo-Händler in Zukunft alle Hände voll zu tun haben. Trotz bestimmt unzähliger Kommentare und Rufe nach größeren Motoren, Volvo wird seinen Weg gehen. Freuen wir uns darauf, ein Stück mitzufahren.

Die getestete “First Edition” Serie ist nicht mehr lieferbar, alle Elemente sind aber als Optionen für das Modell "Inscription" lieferbar. Aktueller Listenpreis mit den Optionen: 90.440,00 €

Technische Daten

Hubraum 1.969 ccm
Maximale Leistung kW / PS 165 kW / 225 PS bei 4.250 U/ min
Max. Drehmoment 470 Nm bei 1.750 – 2.500 U/ min
Getriebe 8-Gang-Automatik
Beschleuningung 0-100 km/h 7,8 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 220 km/h
Norm-Verbrauch auf 100km 5,8 Liter / 100 km
Verbrauch real auf 100km 10,5 Liter / 100 km
Grundpreis 90.200,00 €
Testwagenpreis 90.200,00 €
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Text: Bernd Conrad
Bilder: Bernd Conrad