VW kann auch bunt: der gar nicht langweile Arteon im Alltagstest
Der kleine Junge, der aus dem Kinderwagen aufsteht, seiner Mutter am Mantel zieht und freudig mit dem Finger zur Straße zeigt. Der freundliche Nachbar, als leitender Angestellter im Dienst-Audi A6 unterwegs, der sich Zeit für eine genaue Inspektion nimmt. Die Gruppe von jugendlichen Mädchen (!), die mit ihren Fahrädern an der grünen Fußgängerampel stehen und das Losfahren vergessen.
Nur eine kleine Auswahl von Menschen, die nichts miteinander zu tun haben, aber der gleichen Erkenntnis Nahrung geben.
Was wie der Teaser für einen Hollywood-Episodenfilm klingt, ist vielmehr das Resultat aus zwei Wochen Straßenpräsenz mit dem VW Arteon. Der Passat in Ausgehuniform, als neues Topmodell der Marke deutlich über dem Mittelklassebruder positioniert, scheint die Menschen mit seinem extrovertierten Design zu überraschen. Was übrigens nicht nur an der ungewohnten Lackierung im leuchtenden Kurkumagelb liegt, wie Nachfragen ergeben haben. Und die Arteon-Erfahrung zeigt auch: Die Akzeptanzkrise, in die sich VW selbst geritten hat, ist „hier draußen“ viel weniger stark ausgeprägt als es Berichte und Kommentare in den Medien glauben lassen.
Mit dem Arteon bringt VW eine weitere Spielart des MQ-Baukastens auf die Straße, eine der größten Baureihen in Europa auf dieser Technikarchitektur. Dass es sich beim fünftürigen Fließheckmodell nicht einfach um eine Karosserievariante des Passat handelt, zeigt natürlich der Blick auf das Karosseriedesign. Die Front trägt mit dem großen Grill, dessen horizontale Lamellen scheinbar nahtlos in die Hauptscheinwerfer übergehen ein für die sonst so vorsichtige Marke VW fast schon avantgardistische Züge. Dahinter entdeckt das Auge eine Motorhaube, die in einem produktionstechnisch sicherlich sehr aufwendigen Prozess wie auf die Vorderache aufgesetzt wirkt. Die breit ausgestellten Räder, vor allem hinten, betonen die Breite des Arteon, immerhin vier Zentimeter mehr als beim Passat.
Am Heck herrscht dann entspannte Klarheit mit einem zentralen Schriftzug, wie ihn einst der Phaeton und aktuell auch der neue VW T-Roc trägt. Er prangt auf einer großen Heckklappe, die ein 563 Liter großes Ladeabteil bedeckt – genug, um manchen potenziellen Variant-Kunden zur Arteon schielen zu lassen.
Weiter vorne überzeugt der VW Arteon Platzliebhaber sowieso, wird der rolle des großen VW im wahrsten Sinne des Wortes gerecht. Mit 2,84 Metern hat er ungefähr den gleichen Radstand wie der aktuelle Skoda Superb, als immerhin fünf Zentimeter mehr als der Passat. Während der schon zu den geräumigsten Vertretern nicht nur der Mittelklasse zählt, ist die Beinfreiheit im Arteon-Fond – wie auch im Skoda – opulent.
Oben kneift es dafür bei Menschen über 1,85 Metern Körpergröße. Hier zollt das Design des 1,45 Metern flachen Arteon mit der abfallenden Dachpartie seinen Tribut. Mein Tipp: auf keinen Fall das optionale Panoramadach bestellen, was auch vorne die Kopffreiheit um die vielleicht entscheidenden Zentimeter schmälert.
Dann herrschen auch vorne gemütliche Verhältnisse. Die im vollgepackten Testwagen verbauten ErgoComfortsitze mit Nappaleder betten Fahrer und Beifahrer äußerst bequem, der Pilot kann sich auf Wunsch während der Fahrt den Rücken sanft massieren lassen. Trotz dem schwarzen Dachhimmel und dem abgeflachten Lenkrad kommt aber selbst im Arteon mit R-Line-Ausstattung kein unbedingter Sportsgeist auf, da auch bei ihm – wie in Passat und Superb- die Sitze etwas hoch montiert sind.
Für den sorgt aber das Paket aus Fahrwerk samt DCC und dem 240 PS starken Zweiliter TDI. Der Selbstzünder mit SCR-Katalysator hängt aus jedem Drehzahlbereich heraus hellwach am großen Zeh des rechten Fahrerfußes. Dabei fällt das 7-Gang-DSG schnell in Langeweile, denn 500 Nm maximales Drehmoment ab 1.750 Umdrehungen sorgen meist für maximalen Schub im siebten Gang.
Beeindruckend, wie die Fuhre selbst bei 180 km/h nach dem Tritt auf das Gaspedal noch nach vorne marschiert. Im Gegenzug gelingt aber auch die entspannte Tour über Landstraßen sehr gut. Die vorausschauende Geschwindigkeitsregelanlage kennt dabei die Navigationskarten und nimmt vor Kurven etwas Gas heraus, außerdem wird vor Ortschaften rechtzeitig sanft abgebremst.
Dazu passt die „Comfort“-Einstellung der adaptiven Dämpfer sehr gut, während es auf der Autobahn gerne die „Sport“-Einstellung des DCC-Fahrwerks sein darf. Dieses lässt sich im Arteon übrigens nicht nur in den beiden genannten und einer Normal-Stellung aktivieren, sondern erlaubt per virtuellem Schieberegler auf dem großen Touchscreen des Discover Pro – Infotainmentsystems eine fast stufenlose Einstellung der Fahrwerkshärte.
Ist denn auch ein Spaßverderber an Bord? Leider ja. So sehr die hohe Leistungsbereitschaft des 240 PS starken Diesels mit zwei Turboladern erfreut, so wenig passt doch das stets knurrige Klangbild zum gediegenen VW Arteon. Nicht nur nach dem Kaltstart, auch warmgefahren quittiert der TDI jede Drehzahlerhöhung mit dumpfem Sound.
So wirkt die TDI-Klangkulisse wie ein Gegenpol zum voll digitalen Cockpit des Testwagens mit dem hervorragend abzulesenden Active Info Display und dem messerscharfen Touchscreen in der Mittelkonsole. Einzig das Head-Up-Display, dass seine Informationen auf eine kleine Plexiglasscheibe anstatt auf die Windschutzscheibe direkt projiziert, wirkt hier fehlplatziert.
Da anzunehmen ist, dass der VW Arteon vor allem in Märkten wie China mit großen Metropolen eine gerne gekaufte Oberklassenalternative wird, ist unverständlich, warum die Wolfsburger den Plug-in-Hybrid-Strang aus dem Passat GTE nicht im schöneren Bruder anbieten.
Auch damit wäre der VW Arteon bei uns das, was er trotz knurrigem TDI schon jetzt ist: eine hervorragende Firmenwagenalternative zu den Premium-Mitbewerbern vom Schlage eines Audi A5 Sportback oder BMW 3er GT oder 4er Gran Coupé – vor allem für Freiberufler und Selbständige. Man fährt durchaus eindrucksvoll beim Kunden vor, lässt mit der bewussten Wahl der bodenständigeren Marke aber weniger stark das satte Tier heraushängen.
So darf aus dem Episodenfilm gerne eine tägliche Serie werden. Stets mit dem VW Arteon als schillernden Hauptdarsteller in vielen schönen Roadmovies.
Das Video und die technischen Daten zum VW Arteon findet Ihr unter der Bildergalerie.
Technische Daten
VW Arteon 2.0 TDI 176 kW R-Line |
|
---|---|
Hubraum | 1.968 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 176 kW / 240 PS bei 4.000 U/min |
Max. Drehmoment | 500 Nm bei 1.750 - 2.500 U/min |
Getriebe | 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe |
Beschleuningung 0-100 km/h | 6,5 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 245 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 5,9 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 8,7 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Pirelli P Zero 245/35 R20 |
Leergewicht | 1.828 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.862 / 1.871 / 1.450 mm |
Grundpreis | 52.175 Euro |
Testwagenpreis | 68.940 Euro |