Reichen 130 Diesel-PS im Mittelklasse-SUV mit Allradantrieb?
Auf den SUV-Zug springen aktuell fast alle Autohersteller auf, die Modellvielfalt wächst. Da verliert man ja fast die Anbieter aus den Augen, die gefühlt schon immer in diesem Marktsegment vertreten waren. Dazu zählt Nissan.
Spätestens seit der international erfolgreiche Qashqai auch in Europa klassische Baureihen wie den Primera ins Aus gedrängt hat und den kompakten Pulsar nur als Zaungast zulässt, gilt Nissan als Crossover- und SUV-Marke. Auch der kleine Juke sorgte lange Zeit für wachsende Verkaufszahlen. Wesentlich diskreter tritt Nissans Beitrag zur Klasse der Familien-SUV auf: der X-Trail. Seit 2014 ist er in zweiter Modellgeneration am Start und bekam im Spätsommer 2017 eine umfassende Überarbeitung.
Trotz der leuchtenden Lackierung in Monarch Orange Metallic rollt auch der Nissan X-Trail-Testwagen entspannt und diskret zum Alltagstest heran. Eskapaden will er sich auch in der Konfiguration nicht leisten. Unter der Haube steckt ein 130 PS starker 1,6 Liter-Turbodiesel.
Was im PS-wahnsinnigen Deutschland, wo Skodas SUV-Lieferprobleme wieder einmal prima mit der „unerwartet hohen Nachfrage nach den starken Motoren“ entschuldigt werden können, eher nach wenig launigem Vortrieb klingt, überrascht im Alltag dann doch.
Aber der Reihe nach. Schon beim Einstieg strahlt der Nissan X-Trail einen sehr gemütlichen Charakter aus. Der weiche Fahrersitz wirkt im Neuwagen nicht unbedingt durchgesessen, aber man hat schon ein „Bei Opa im Sessel ist es doch immer sehr gemütlich“-Gefühl. Die Einstellung des Gestühls und des Lenkrads sorgen schnell für die richtige Sitzposition und nach einer kurzen Vorglühsekunde grummelt der Diesel gut gedämmt los.
Langstreckentauglich muss auch der rechte Arm sein, denn die einzelnen Übersetzungen des manuellen Sechsganggetriebes kuscheln nicht gerne miteinander, lange Wege des gut geführten Ganghebels sind die Folge.
Trotz ca. 1,7 Tonnen Leergewicht kommt der Nissan X-Trail 1.6 dCi anständig vom Fleck und reiht sich in den Verkehr ein. Dabei hilft die überraschend zackige Lenkung, als ob sie eine Daseinsberechtigung für das unten abgeflachte Sportlenkrad unterschreiben will.
Das Fahrwerk hat sich, was für eine Wohltat in den Zeiten straff gefederter Familienkutschen, ganz klar dem Komfort verschrieben. Große und kleine Unebenheiten werden auch mit 18-Zoll-Felgen samt Winterbereifung geflissentlich weggefedert.
Dynamik und Dramatik sollen im großen Nissan-SUV also gar nicht erst auftreten. Anständige Reisegeschwindigkeiten aber schon. Und genau dafür sorgt der Diesel mit 1.598 Kubikzentimetern Hubraum. Lange Autobahnetappen sind die Paradedisziplin des Nissan X-Trail, der sich auch beim Spurt vom Reiseschnitt 150 km/h auf höheres Tempo nicht lumpen lässt. Klar ist der Vertreter-TDI im Passat mit 190 PS beim hektischen Spurwechsel dynamischer, aber kurze Zeit später fährt man doch wieder nebeneinander her, man kennt das.
Fahrfreude kommt im X-Trail also vor allem durch das entspannte Reisen auf. Das lässt man sich auch von der grobkörnig auflösenden Navianzeige und fehlender Smartphone-Integration im Infotainmentsystem nicht vermasseln. Gemotze dürfte auf Dauer aber von großen Mitfahrern im Fond kommen.
Die Rücksitzbank, der Testwagen kam als Fünfsitzer ohne die Option auf Plätze sechs und sieben, ist deutlich höher montiert als die Vordersitze. Nisan spricht von einer Theaterbestuhlung, die für eine bessere Übersicht sorgen soll. Trotz der hohen Anordnung sitzt es sich auch als Erwachsener recht bqequem, der tiefe Boden sorgt für einen entspannten Beinwinkel. Große Füße suchen aber erfolglos nach Platz unter den Vordersitzen. Kopffreiheit ist jedoch ausreichend vorhanden, zumindest im X-Trail ohne Schiebedach-Option.
Das gilt weniger für die elektrisch zu öffnende Heckklappe. Ihr relativ geringer Öffnungswinkel birgt die ein oder andere Kopfnussgefahr. Dahinter erstreckt sich ein großer Kofferraum mit 550 bis 1.982 Litern Volumen und Fächern unter dem recht labberigen doppelten Ladeboden.
Die Kombiqualitäten in Form von Sitzen, Laden und Fahren passen also. Dass er kein Lifestyle-SUV sein will, zeigt der Nissan X-Trail aber mit seinem zuschaltbaren Allradantrieb. Über einen Drehschalter in der Mittelkonsole kann der Fahrer zwischen reinem Frontantrieb und einer automatischen Verteilung der Kraft auf Vorder- und Hinterachse wählen. Für Kontrollfreaks gibt es dann auch eine Anzeige zwischen den analogen Rundinstrumenten, die die Kraftverteilung visualisiert.
Für den Einsatz im gröberen Gelände kann man den Allradantrieb des X-Trail zudem mit einer 50:50 Verteilung fixieren, damit krabbelt das Auto munter über Stock und Stein.
Die Karosserie und alle Innenraummaterialen bleiben auch dabei knisterfrei, in seiner Ruhe macht der Nissan X-Trail also auch bei der Verarbeitungsgüte nicht halt.
Für wen ist der Nissan X-Trail also das richtige Auto? Der statusbewusste SUV-Kunde, der jetzt eben auch den martialischen Auftritt proben will, ist sicherlich mit einem weichgespülten Modell anderer Marken gut beraten.
Wer aber, ob er es nun braucht oder nicht, neben der hohen Sitzposition und dem geräumigen Innenraum auf tatsächlich vorhandene Offroad-Qualitäten Wert legt und dabei einen kernigen Charakter des eigenen Autos nicht als Nachteil, sondern Charakterstärke auslegt, der dürfte mit dem unaufgeregten Nissan X-Trail durchaus glücklich werden. Und dann reichen auch die auf den ersten Blick bescheidenen 130 Pferdestärken. Dazu passend hält die Farbkarte von Nissan auch dezentere Lackierungen für den X-Trail bereit.
Technische Daten
Nissan X-Trail N-CONNECTA 1.6 dCi 4WD |
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Hubraum | 1.598 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | 4 in Reihe |
Maximale Leistung kW / PS | 96 kW / 130 PS bei 4.000 U/min |
Max. Drehmoment | 320 Nm bei 1.750 U/min |
Getriebe | Sechsgang-Schaltgetriebe |
Beschleuningung 0-100 km/h | 11,0 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 186 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 5,4 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 7,4 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Continental Winter Contact TS850P 225/60 R18 |
Leergewicht | 1.655-1.772 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.690 / 1.830 / 1.730 mm |
Grundpreis | 37.050 Euro |
Testwagenpreis | 37.950 Euro |