Mit dem Aiways U5 unterwegs in Europa. Ein Roadtrip von München nach Korsika im Elektroauto.
Sommer 2020. Ich setze mich in ein Elektroauto, betätige die Bremse. Kein Startknopf. Sobald der Fuß vom Pedal wandert, beginnt die Fahrt. So weit nichts Besonderes? Das stimmt.
Diese Fahrt ist aber auch mehreren Gründen nicht alltäglich. Das liegt nicht nur am Auto, sondern an der ganzen Firma drumherum. Erst 2017 wurde das Start-up Aiways in China gegründet. In einer Zeit, als viele Unternehmen, nicht nur in China, schon etliche Ankündigungen für Modelle und Strategien veröffentlicht hatten.
Der Aiways U5 im Video
Auf der Straße ist von der neuen Generation der Elektroauto-Anbieter bislang nur Nio. Und das auch nur in China. Der Aiways U5 steht mit deutschem Kennzeichen bereit, hat die Typzulassung hinter sich und wird ab Herbst 2020 erstmals in Deutschland ausgeliefert. Schon vorher fahren 500 Exemplare des Elektro-SUV auf der französischen Mittelmeerinsel Korsika als Mietwagen eines lokalen Anbieters. Und damit kommen wir zu einer weiteren Besonderheit dieser Fahrt im Aiways U5.
Zusammen mit Alexander Klose, Executive Vice President Overseas Operations and Product Strategy bei Aiways, fahre ich einen Aiways U5 von München nach Korsika. Vom Firmensitz der Europazentrale zum ersten Flottenkunden also. Den Weg dorthin planen wir nicht nach möglichst kurzer Fahr- und Ladedauer, sondern vor allem mit abwechslungsreichen Routen.
Schnellladen an der Autobahn
Von München aus geht es auf die Autobahn in Richtung Bodensee. Tempolimits und Verkehrssituation erlauben Reisegeschwindigkeiten zwischen 100 und 130 km/h. Die erste Ladesäule steuern wir kurz hinter der österreichischen Grenze an. Der U5 könnte zwar noch weiterfahren, ich bin aber neugierig. Welche Ladegeschwindigkeit kann am Ionity-Schnelllader erreicht werden?
Der CCS-Stecker sitzt seltsamerweise horizontal unter dem linken Frontscheinwerfer. Das Drehen des schweren Kabels erfordert etwas Kraft. Dann saugt der 63 kWh große Akku Strom. Der Hersteller gibt maximal 90 kW Ladeleistung an. Die fließen im Idealfall, wenn man mit fünf bis 20 Prozent SoC (State of Charge, Ladezustand) an den Schnelllader rollt. In unserem Fall ist es etwas mehr, auf knapp 65 kW steigt die Ladeleistung.
Ein paar Fotos, Dreharbeiten für das Video und prompt ist der Akku fast voll. Wir fahren in die Schweiz. Die Alpenrepublik maßregelt nicht nur mit einem strikten Tempolimit, sondern überrascht auch mit einem ziemlich dicht gewobenen Netz von Schnellladern entlang der Autobahnen. An eigentlich jedem Rasthof stehen die Säulen bereit. Wenn wir schon mal da sind, entscheiden wir uns landestypisch für die Raststation „Heidiland“.
Auch hier erregen wir mit dem noch unbekannten Auto am Kabel Aufsehen. Es ist der Familienvater im Audi e-tron, der den Aiways U5 wohlwollend inspiziert. Nach der Verkaufsberatung durch den Aiways Manager machen wir uns wieder auf den Weg.
Rauf in die Berge
Knapp über 23 kWh Strom je 100 Kilometer genehmigt sich der U5 auf den Autobahnstrecken. Ein guter Wert, denn hier wird selten rekuperiert. In drei Stufen lässt sich die Energierekuperation einstellen. Leider muss man dazu über den großen Touchscreen ins Infotainmentmenü. Paddels am Lenkrad wären weniger ablenkend. Jetzt schalten wir die vom Elektromotor erzeugte Verzögerung aus, denn es geht bergauf.
Runter von der Autobahn, rauf in die Berge. Für unsere Langstreckenfahrt haben wir uns den Gotthardpass ausgesucht. Immer weiter schrauben wir uns über teils enge Serpentinen in den Himmel hinauf. Das stets voll anliegende Drehmoment des Elektroautos macht in jeder Spitzkehre Spaß. Der Stromverbrauch klettert auf knapp 25 kWh /100 km.
Wir biegen ein paar Mal ab und haben plötzlich auf fast 1.800 Metern Höhe über dem Meeresspiegel Kopfsteinpflaster unter den Rädern. Die Tremola San Gottardo ist das wohl höchste Straßendenkmal der Welt. 24 Kurven und Kehren wurden hier in den Berg gelegt. Auf einer Länge von vier Kilometern überwinden wir 300 Höhenmeter.
Weiter nach Italien
Übernachtung in Airolo. Wir haben also Zeit, der U5 muss nicht die Ladesäule im Ort ansteuern sondern darf über Nacht an die 230V-Steckdose am Hotel. Davor hat sich der Bordcomputer auf 11 kWh / 100 km eingependelt. Denn nach vielen Kilometern nach oben sind wir in der höchsten Rekuperationsstufe auch wieder bergab gefahren.
Am zweiten Tag steht der Grenzübertritt nach Italien auf dem Programm. Vorher wird an der Autobahn nochmal Gleichstrom geladen. Mit fast vollem Akku schafft es der U5 bis nach Genua. Wir schlängeln uns durch den dichten Verkehr der Hafenstadt, auch bedingt durch viele Umleitungen. Die neue Autobahnbrücke stand erst kurz vor ihrer Eröffnung.
Am Hafen zeigt sich die Metropole mit ihren zwei Gesichtern. Industrie und Handel sowie die auf das Ende der Krise wartenden Kreuzfahrtschiffe lassen genug Raum für eine aufkeimende Kunst- und Sportszene. Auffallend viele junge Menschen nutzen das Hafengebiet für die körperliche Ertüchtigung.
An der einzigen Ladesäule vor Ort ergattern wir einen der beiden Stellplätze und laden das Auto, während wir Schiffe bestaunen und Leute beobachten. Zwei Stunden bleiben uns, dann geht es weiter nach Savona, 56 Kilometer weiter westlich gelegen.
Fähre nach Korsika
Dort treten wir mit dem U5 den letzten Part des Roadtrips von München nach Korsika an. Das kann nicht elektrisch erledigt werden, sondern mit Dieselkraft. Der Aiways U5 verschwindet, gefühlt mit 2.000 VW California, im Bauch der Nachtfähre.
Fast 1.000 Kilometer liegen hinter uns. Dabei gefiel das Auto mit seinem großzügigen Raumangebot und dem bauartbedingt leisen Antrieb. Sorgen vor Stromknappheit gab es nie. Auch die junge Familie am Terminal der Fähre konnte das kaum glauben. „Seid Ihr mit einem Elektroauto aus Deutschland gekommen?“ fragen sie entgeistert. „Das klappt doch nie!“. Tja. Wir sind doch hier!
Für den Aiways U5 gilt das ab Oktober. Dann sollen die ersten Autos ausgeliefert werden, die dem Modellahr 2021 entsprechen. Sie haben im Vergleich zur hier vorgestellten Version einen etwas stärkeren Elektroantrieb mit maximal 150 kW (204 PS) Leistung. Das Grundmodell startet zum Preis von 37.990 Euro, darüber rangiert die Premium-Version (u.a. 19 statt 18 Zoll große Felgen, Panoramadach) für 40.990 Euro.
Fazit zum Aiways U5
Schon das Vorserienmodell , das AUTONOTIZEN im März 2020 fahren konnte, gefiel mit ordentlicher Verarbeitung und guten Materialien. Beides wurde auch ins Modelljahr 2020 gerettet und dürfte auch bei den Kundenautos so sein.
Der Antrieb gefällt mit ausreichender Leistung und hoher Effizienz, das Platzangebot überzeugt auf allen Plätzen und im Kofferraum.
Wunde Punkte bleiben die noch nicht finale Infotainmentsoftware ohne Integration von Android Auto und Apple CarPlay und die teils ablenkende Bedienung einiger Fahrfunktionen über das Menü des Touchscreens. Aber auch das dürften sie hinbekommen – nachdem innerhalb von drei Jahren nicht nur eine Firma gegründet, sondern auch ein komplett neues Auto marktreif entwickelt wurde.
Die Erkenntnis nach dem Roadtrip: So abwegig der Plan, mit einem Elektroauto durch halb Europa zu fahren, für manche auch klingen mag. Mit geschickter Routenplanung gelingt das ohne Probleme.