Der neue Audi e-tron GT im ersten Fahrbericht mit Video-Review.
Der Finger schnippt gegen den ersten Stein, dann beginnt eine Kettenreaktion. Was man an „ich-habe-alle-Zeit-der-Welt“-Nachmittagen zuhause aufbauen und gleich wieder umwerfen kann, gipfelte einst gar in abendfüllenden Fernsehshows. Was jetzt aber der kleine schwarze Dominostein mit einem Autotest zu tun hat?
Der e-tron GT im Video
Szenenwechsel zum Fahrerplatz des Audi e-tron GT. Nach der Weltpremiere im Studio tritt das neue Elektroauto jetzt für erste Testfahrten an. Die beginnen mit einem Fingerschnipp am kleinen schwarzen Steinchen in der Mittelkonsole. Anstelle eines Wählhebels oder -knubbels gibt man den „Es-geht-dann-mal-los“-Befehl mit dem glänzenden Kubus, der an einen Dominostein erinnert.
Die Reaktion, die er auslöst, ist ebenso beindruckend. Kein Wunder, bedient sich der Audi e-tron GT doch ganz oben im Konzernregal. J1 heißt die Plattform, die nach dem Porsche Taycan jetzt auch zur technischen Basis für den e-tron GT wird.
350 kW im Basismodell
Dabei blieb aber nicht jeder Stein auf dem anderen. Während Porsche das Taycan-Programm breit auffächert und das Basismodell mit Heckantrieb auf die Straße schickt, ist ein Audi e-tron GT immer ein Quattro. Weil es mehr Firmenwagenrelevanz als der RS e-tron GT mit 440 kW (598 PS) hat, suchten wir uns für die Probefahrten das Basismodell aus. Wobei dieser Begriff angesichts zweier permanenterregter Synchronmotoren und einer Leistung von 350 kW (476 PS) leicht aus dem Rahmen fällt.
Nachdem also das Getriebesteinchen auf „D“ gerutscht ist, fährt der große Reisewagen, mit 4,99 Metern klar in der Oberklasse zuhause, entspannt an. Die Klangkulisse gefällt mit ihrer Diskretheit, der optionale Sport-Sound wird nicht vermisst.
Am Ortsausgangsschild starten der e-tron GT und ich ein kleines Vorspiel. Ein kurzer Kick auf das Fahrpedal reicht aus, um Landstraßentempo zu erreichen. Die Dreikammer-Luftfederung mit adaptiver Steuerung sorgt für einen komfortablen Federungskomfort, der aber stets gute Rückmeldung von der Fahrbahnoberfläche gibt.
Kurven lassen sich dank der guten Übersicht nach vorne perfekt anpeilen, Lenkung und Fahrwerk sorgen für eine präzise Linien. Weit über zwei Tonnen Leergewicht fühlten sich selten so behände an. Die 93 kWh-Batterie im Fahrzeugboden sorgt für einen tiefen Schwerpunkt. Das im Testwagen eingebaute Carbondach, das für 3.750 Euro dem serienmäßigen Glasdach weicht, nimmt immerhin 12 Kilogramm an einer fahrdynamisch relevanten Stelle des Autos ab.
Immer leistungsbereit
Das „GT“ im Modellnamen steht für „Gran Turismo“, die große Reise also. Um das auszuprobieren, geht es auf die Bundesautobahn. Ist es wirklich überraschend, wenn ich jetzt vom rasanten, aber trotzdem entspannten Ritt in Richtung Tempobegrenzer erzähle?
245 km/h Höchstgeschwindigkeit erlaubt die Elektronik dem e-tron GT, das RS-Modell darf 250 km/h schnell fahren. Wichtiger als diese reinen Zahlen: Eine kräftige Beschleunigung auch in höheren Geschwindigkeitsregionen lässt sich viele Mal hintereinander reproduzieren. Zumindest während der Probefahrt-Stunden musste die Antriebssteuerung nicht um eine Pause bitten oder Leistung reduzieren. Gelegentliche Schaltvorgänge des Zweiganggetriebes an der Hinterachse machen die Technik erlebbar.
Schnellladen nur nach Ansage
Der Stromverbrauch steigt dann natürlich exorbitant an. Der Normwert von um 20 kWh je 100 Kilometer dürfte im Alltag nur im Stadtverkehr und unter Zuhilfenahme der Lenkradwippen für die Rekuperation erreicht werden. Am Ende der Testfahrten spuckte der Bordcomputer, die Autobahnhatz ausgenommen, Werte um 28 kWh aus.
Am Schnelllader soll nur eine kurze Pause nötig sein, um die Lithium-Ionen—Batterie wieder mit Elektronen vollzustopfen. Das ebenfalls aus dem Porsche Taycan bekannte 800-Volt-System erlaubt eine Ladeleistung bei Gleichstrom von bis zu 270 Kilometern.
Dieser Maximalwert ist aber nur erreichbar, wenn die Schnellladesäule im Navigationssystem als Zwischenziel oder Endpunkt der Route angegeben ist. Denn die Fahrzeugsysteme brauchen Zeit, die Batterie entsprechend zu konditionieren. Beim spontanen Stopp am High-Performance-Charger ist eine Ladeleistung von maximal 90 kW möglich.
Wechselstrom zieht der Audi e-tron GT mit 11 kW, erst nach dem Marktstart wird es einen optionalen 22-kW-Onboard-Charger geben. Diese Strategie soll gewiss auch eine Absatzförderung für Schnellladetarife von Ionity sein. Audi ist, wie andere Autohersteller, an diesem Ladenetzbetreiber beteiligt.
Fahrerorientiertes Cockpit
Das Platzangebot für Fahrer und Passagiere entspricht weitestgehend dem des Porsche Taycan und ist damit ausreichend, aber bewusst nicht verschwenderisch. Das Cockpit im Audi e-tron GT gefällt mit einem zum Fahrer hin orientierten 10-Zoll-Display und einer ausgegliederten Bedieneinheit für die Klimaautomatik. Sie erlaubt mit physischen Tasten die intuitive Bedienung einzelner Funktionen. Das lenkt beim Fahren weniger ab als diverse Manöver in digitalen Menüstrukturen.
Was kostet der Spaß?
99.800 Euro kostet der Audi e-tron GT. Damit ist er auf den ersten Blick deutlich teurer als der Basis-Taycan, der mit der dort optionalen „Performance-Batterie Plus“ und ebenfalls 350 kW (476 PS) gut 10.000 Euro unter dem Audi liegt. Der wirft zwar den Allradantrieb durch einen zweiten Elektromotor an der Vorderachse (den es bei Porsche erst mit dem Taycan 4S gibt) in den Ring – dennoch bleibt die konzerninerte Preisabstimmung interessant.
Der Testwagen ist gut, aber nicht mit „einmal alles“ ausgestattet. Trotzdem stehen am Ende, auch dank teurer Extras wie der Keramikbremsanlage und dem Carbondach, 127.930 Euro unter dem Strich.
Fazit
Der Audi e-tron GT ist ein starkes Statement im sportlichen Oberklassesegment, und im Markt der Elektroautos obendrein. Auch hier könnte er mit Blick auf die Konkurrenz in Form von BMW und Mercedes-Benz für einen Dominoeffekt sorgen.
Gutverdienende Freiberufler und Selbständige dürften ihn bei der Wahl eines neuen Geschäftsautos auf die Einkaufsliste setzen. Auch wenn das Geld keine allzu große Rolle spielt, sollte man dennoch einen Porsche Taycan zum Vergleich konfigurieren. Den gibt es mit Allradantrieb aber erst als 4S.
Technische Daten
Audi e-tron GT |
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Getriebe | Zweigang-Getriebe |
Elektromotor vorn: Maximale Leistung kW | 175 kW (238 PS) |
Elektromotor hinten: Maximale Leistung kW | 320 kW (435 PS) |
Systemleistung: kW / PS | 350 kW (476 PS), 630 Nm (Boost 390 kW (530 PS), 640 Nm / Dauerleistung 140 kW (190 PS) |
Batterie | 93 kWh (86 kWh netto) Lithium-Ionen |
Beschleuningung 0-100 km/h | 4,5 (Boost 4,1) Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 245 km/h |
Norm-Verbrauch kWh / 100 km | 19,9 - 21,6 kWh |
Leergewicht | 2.276 kg |
Anhängelast (gebremst) | n/a |
Länge / Breite / Höhe | 4.989 / 1.964 / 1.413 mm |
Grundpreis | 99.800 Euro |
Testwagenpreis | 127.930 Euro |