Genesis Electrified GV70 Ein Superheld?

Entpanner Auftritt, imposanter Antritt. Die zwei Seiten des Genesis Electrified GV70 im Fahrbericht mit Video-Review.

Es gibt zwei Lager, sowohl bei Autoherstellern als auch bei den Kunden. Die einen schwören auf Elektroautos, die von Anfang an auf einer speziell für den E-Antrieb entwickelten Plattform entwickelt wurden. Die anderen nehmen mit einem elektrischen Fahrzeug auf Verbrenner-Basis Vorlieb. Was auch Nachteile mit sich bringen kann. Begrenzter Bauraum für Akkus sorgt für überschaubare Reichweiten, zudem wird es im Innenraum manchmal recht eng.

Der Electrified GV70 im Video

Und was macht Genesis? Beides! Die koreanische Premiummarke, eine Tochter der Hyundai Motor Group, hat seit einigen Monaten mit dem GV60 ihr Derivat auf der E-GMP-Plattform (Hyundai Ioniq 5, Kia EV6) im Programm. Kurz danach startete der Electrified G80 auf Basis der Benziner-Limousine, jetzt folgt mit dem Electrified GV70 das wohl wichtigste Modell für die junge Marke.

Kompromisse? Diese Vokabel gibt es bei den Ingenieuren in Korea wohl nicht. Denn auch die Elektroautos auf Verbrenner-Basis fahren mit „State-of-the-Art“-Technologie vor. Wie der G80 bietet auch der GV70 eine 800-Volt-Technologie für schnelles Laden. Mit bis zu 240 kW kann am Schnelllader der 77,4 kWh große Akku von zehn auf 80 Prozent Speicherkapazität gefüllt werden. Wechselstrom fließt immerhin dreiphasig mit bis zu 11 kW. Optional lädt der Koreaner mit der V2L-Funktion (Vehicle-to-Load) externe Geräte und im Notfall auch andere Elektroautos mit bis zu 3,7 kW Leistung. Das reicht aus, um ein mit leerem Akku gestrandetes Fahrzeug wieder für die Fahrt zur nächsten Ladesäule fit zu machen.

Genug der Theorie, der Testwagen steht bereit, lackiert im auffälligen Farbton „Atacama Copper“. Nicht nur auf den ersten, auch auf den zweiten Blick unterscheidet sich der elektrische Genesis GV70 nur für Kenneraugen von den Varianten mit Benzin- oder Dieselmotor. Der große Kühlergrill ist geschlossen. In der Wabenstruktur versteckt sich der Ladeanschluss. Zudem sind in der Heckschürze keine Endrohre untergebracht. Ansonsten pflegt der Electrified GV70 Diskretion. Kein Schriftzug, kein Emblem weist auf den Elektroantrieb hin. Dabei muss sich der gewiss nicht verstecken.

Schnell? Schneller!

An jeder Achse arbeitet ein bis zu 160 kW (218 PS) starker Elektromotor. Die Systemleistung von 320 kW ist aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. Wird die Boost-Taste in der unteren Lenkradspeiche gedrückt, stehen für zehn Sekunden maximal 360 kW (490 PS) und 700 Newtonmeter Drehmoment an. Diese Werte gleichen denen des Genesis GV60 Sport Plus.

In 4,2 Sekunden beschleunigt das immerhin über 2,3 Tonnen schwere SUV im Boost-Modus auf 100 km/h (ohne in 4,8 Sekunden). Das ist die Theorie. Wie sich das anfühlt? Sobald der Fuß das Fahrpedal auf den Boden drückt, stürmt die Fuhre in Richtung Horizont. Auch feuchter Straße sagt die sauber abgestimmte Regelelektronik gut zu tun, um für Traktion zu sorgen. Dabei spürt man auf den ersten Metern, dass der Elektromotor an der Hinterachse die sogenannte „Primärmaschine“ ist.

Über 480 kg schwerer Akku

Genesis Electrified GV70 Atacama Copper Matt 2022 Test Video

Leicht hecklastig und damit wunderbar kurvengierig zeigt sich der Genesis auch beim wilden Ritt über kurvige Landstraßen, auf denen man auch im Rahmen der erlaubten Geschwindigkeit Spaß haben kann. Klar, der GV60 ist konzeptbedingt etwas agiler. Aber auch hier im höheren SUV zeigt der 482,3 Kilogramm schwere Akku im Fahrzeugboden die Vorteile eines niedrigen Schwerpunkts.

Der Fahrer bekommt ein gutes Feedback von der Lenkung, zudem passt die Übersicht sehr gut. Mittels Frontkamera erfasst die Fahrwerksregelung den Fahrbahnzustand und konditioniert die Dämpfer in Echtzeit. Das Ergebnis ist ein hoher Fahrkomfort mit ausreichend Rückmeldung über den Straßenzustand. Zu keiner Zeit fühlt man sich also vom Geschehen entkoppelt.

Batterie-Konditionierung serienmäßig

Genesis Electrified GV70 Atacama Copper Matt 2022 Test Video

Nicht nur die eilige Hatz liegt dem Genesis Electrified GV70, sondern auch das entspannte Cruisen. Die aktive Fahrgeräuschunterdrückung sorgt für Ruhe im Innenraum. Mit dem optionalen Sitzpaket Komfort“ für stolze 1.920 Euro kann man in der ersten Reihe tolle Massageprogramme genießen.
Leider kann der Genesis bei aktiver Routenführung im Navigationssystem noch keine Ladezeiten mit einkalkulieren. Sehr wohl gibt er aber Auskunft über frei Steckplätze an der Route, die man auf Langstrecken dann auch im System auswählen sollte. Nur so kann die Funktion zur Batteriekonditionierung für eine ausreichende Akkutemperatur sorgen, damit man über den CCS-Anschluss dann eine höchstmögliche Ladeleistung erreicht.

Wir bleiben beim Thema Laden, sprechen aber über Gepäck. 503 Liter misst der Kofferraum im Elektro-SUV bei aufgestellten Lehnen der Rücksitzbank (die in der Neigung einstellbar sind). Damit liegt das Ladeabteil knapp unter den 542 Litern der Verbrenner-Versionen. Das Volumen fehlt unter dem doppelten Ladeboden, da Akku und Motor Platz brauchen. Immerhin gibt es unter der vorderen Haube einen immerhin 25 Liter großen „Frunk“ (vorderer Kofferraum).

Das kostet der Elektro-GV70

enesis Electrified GV70 Atacama Copper Matt 2022 Test Video

Den Genesis Electrified GV70 gibt es ausschließlich in der Ausstattungslinie Sport. Sein Basispreis liegt bei 67.300 Euro. Zum Vergleich: Als Diesel kostet das SUV in dieser Ausstattungslinie 50.870 Euro, als Benziner 53.720 Euro. Beide haben deutlich weniger Leistung als die Elektroversion, ein rationaler Vergleich ist nicht möglich.

Man kann aber sehr wohl auf den Konkurrenten aus München schielen, den BMW iX3. Der kostet ebenfalls 67.300 Euro. Zufall? Den Vorteil des Koreaners erkennt man aber schnell. BMW bietet den in China gebauten iX3 mit Heckantrieb und 210 kW (286 PS) an, der Genesis ist deutlich stärker. Außerdem punktet er neben einer guten Serienausstattung auch mit einem 5-Jahres-Paket für Garantie und Service inklusive Hol- und Bringservice.
Zu verschenken hat Genesis aber auch nichts. Das zeigen die zwar üppigen, aber teils teuren Optionspakete und Einzelextras. Mit Panoramadach, Nappaleder, Metalliclackierung und diversen Paketen summiert sich der Preis des Testwagens auf üppige 84.230 Euro.

Oder doch einen anderen Genesis?

Genesis Electrified GV70 Atacama Copper Matt 2022 Test Video

Im Genesis-Modellprogramm überrascht die Preis-Positionierung des Electrified GV70. Er ist etwas günstiger als die Limousine Electrified G80 für 69.200 Euro. Das Stufenheckmodell hat einen deutlich kleineren Kofferraum und „nur“ 272 kW (370 PS), was für sich genommen auch ausreicht.
Der GV60 Sport Plus mit den gleichen Leistungswerten wie der GV70 ist ebenfalls teurer, er kostet ab 71.010 Euro. Gut möglich also, dass der GV70 mit Elektroantrieb auf absehbare Zeit der Bestseller im markeninternen Ranking wird.

Fazit

Genesis Electrified GV70 Atacama Copper Matt 2022 Test Video

Ein Auto wie Bruce Wayne ein Mensch. Augenscheinlich schick aber halt „ein normaler Typ“. Doch hinter der Fassade steckt ein Superheld. Beim einen ist es das Alter Ego namens Batman, beim Genesis der leistungsstarke Elektroantrieb. Großer Akku und 800-Volt-Technologie sind gekonnt in den GV70 integriert. Antrieb, Fahrwerk und Lenkung sorgen bei Bedarf für viel Fahrspaß. Im Vergleich mit der Konkurrenz passt auch der Preis. Mit Optionen wird der GV70 aber arg teuer.

Technische Daten

Genesis Electrified GV70

Antrieb Elektrischer Allradantrieb
Getriebe Eingang-Reduktionsgetriebe
Elektromotor vorn: Maximale Leistung kW 160 kW (218 PS) + 20 kW (27 PS) im Boost
Elektromotor hinten: Maximale Leistung kW 160 kW (218 PS) + 20 kW (27 PS) im Boost
Systemleistung: kW / PS 320 kW (436 PS) / 360 kW (490 PS) im Boost, 700 Nm Drehmoment
Batterie 77,4 kWh Lithium-Ionen
Maximale Ladeleistung Gleichstrom (DC) 240 kW
Maximale Ladeleistung Wechselstrom (AC) 11 kW (dreiphasig)
Beschleuningung 0-100 km/h 4,2 Sekunden (im Bost-Modus)
Höchstgeschwindigkeit 235 km/h
Reifenmarke und –format des Testwagens Michelin Pilot Sport EV 265/45R20
Leergewicht 2.310 kg
Anhängelast (gebremst) 1.800 kg
Länge / Breite / Höhe 4.715 / 1.910 / 1.630 mm
Grundpreis 67.300 Euro
Testwagenpreis 84.230 Euro
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Text: Bernd Conrad
Bilder: Matthias Gill, Bernd Conrad