Abrechnung mit der Autoindustrie
Jetzt sitze ich hier und schreibe über etwas Geschriebenes. Geistige Zweitverwertung? Mitnichten. Anstatt eines Autos nehme ich mir die Zeit und bewerte heute ein Buch. Ein Buch über „unser Thema“ Autos. Nicht ganz, über die Automobilindustrie.
Der Autor Heiko Haupt hat bisher neben seiner journalistischen Tätigkeit u.a. die Pabst-Biographie „Fransikus. Der Pabst der Armen“ und die Branchenschelte „Wenn Medien lügen: Ein Blick hinter die Kulissen von manipulierten Medien und gekauften Journalisten“ veröffentlicht.
Jetzt also die Autobauer. Anlass für die Veröffentlichung war natürlich der VW-Abgasskandal. Im Gegensatz zum Buchtitel mit Anspielung auf den jüngst eingemotteten VW-Slogan und das brennende Logo auf dem Cover dreht sich aber nur ein kleiner Teil des Buches um die jüngsten Ereignisse in Wolfsburg.
Herr Haupt nutzt den Skandal (und vielleicht auch den Medienrummel?), um eine eilig zusammengetragene Hetzschrift gegen die böse Industrie unter das Volk zu bringen. Viele Kapitel kommen stets zu dem Schluss, dass alles nicht so schlimm wäre, wenn die Autohersteller kein Streben nach Gewinnmaximierung hätten. Willkommen in der Welt des Kapitalismus. Das gipfelt im Kapitel mit dem Titel „Ein VW ist ein Seat ist ein Skoda: Der Etikettenschwindel“. Hier wird auf reißerischem Niveau darauf hingewiesen, dass ein VW Up mit den Schwestermodellen Seat Mii und Skoda Citigo baugleich ist, aber teurer angeboten. Hm. Die Zielgruppe des Buches ist sich dem durchaus bewusst, Mutti von der Trinkhalle im die Ecke fällt vielleicht aus allen Wolken, liest so ein Buch mit eng gefasster Zielgruppe aber eher nicht. Was kommt als nächstes? Die Abrechnung mit der Tabakindustrie, die ihre Tabak- und Chemiemischungen unter unzähligen Markennamen vertreibt? Oder die Ölmultis, die es wagen, das fast gleiche Produkt unter Namen wie Shell, Aral, Total und Jet in unsere Tanks laufen zu lassen?
Weite Strecken des Buches sind trotz der oberflächlichen Schreibe angenehm zu lesen und treffen zum Beispiel beim Kapitel „Der Qualitätsquatsch: Premium bedeutet gar nichts“ auch voll und ganz ins Schwarze. Dass einheimische Käufer egal sind, und „nur China zählt“, wissen wir schon länger, in Zeiten der Globalisierung werden eben auch uns Europäern Crossover-SUVs schmackhaft gemacht. Kaufen muss man es ja nicht, macht aber jeder. Sehr interessant fand ich das Kapitel über die Tachomanipulationen um zurückgedrehte Kilometerstände. Der Vorwurf, dass die Autohersteller hier selber mehr oder weniger mitmachen, um durch niedrigere Laufleistungen die Durchschnittsrestwerte ihrer Gebrauchtwagen zu stützen, ist gewagt aber naheliegend. Ich freue mich auf eine weitere Berichterstattung investigativer Medien hierzu. Auch das neue Problem der Datensammelwut und der Unsicherheit der Verbraucher wird angeschnitten. Aber mehr leider auch nicht. Das mag aber – hier nehme ich Herrn Haupt in Schutz – der Aktualität des Themas geschuldet sein. Was hier auf uns zukommt, muss sich erst zeigen.
Ach ja. Auf den Autojournalisten als verlängerter Arm der PR-Abteilungen wird auch noch herumgehackt und der Tatsache, dass diese Autos zum Testen zur Verfügung gestellt bekommen. Daher, Herr Haupt, an Sie: Ihr neues Buch habe ich von Ihrem Verlag als Rezensionsexemplar erhalten. Dennoch erlaube ich mir die Frechheit, meine ungeschminkte Meinung dazu zu äußern – wie ich es bei den Autotests in diesem Blog auch mache.
Mein Fazit: „Das Auto. Die Lüge.“ ist eine gute Best-Of-Compilation der leider viel zu schnell vergessenen Skandale unserer Industrie. Die 207 Seiten hat man zügig durch, was einem gestressten Automanager auch Recht ist. Und genau der ist die Zielgruppe. Die breite Masse, die beim Lesen des Werkes bestimmt alle paar Seiten laut „Oh“ und „Ah“ rufen würde, erreicht die Veröffentlichung leider nicht. Hier böte sich eine Medienkooperation mit Auszügen an. Ach so nein, die sind ja alle fremdgesteuert…
Heiko Haupts Buch „Das Auto. Die Lüge.“ ist im Redline Verlag der Münchner Verlagsgruppe erschienen. Um keinen Verdacht der Vorteilsnahme zu erwecken, verzichte ich auf einen Link zu Onlinebuchhändlern.