Hyundai Ioniq 5 und Kia EV6 im Vergleichstest mit Video-Review.
Die Art, wie wir uns fortbewegen, ändert sich. Aber eines bleibt gleich: Auch in einer elektrischen Zukunft werden die Automobilkonzerne mit einer Baukasten- und Plattformstrategie Modelle unterschiedliche Marken auf die gleiche Basis stellen.
Die Hyundai Motor Group, Konzernmutter der Marken Genesis, Hyundai und Kia, hat mit E-GMP (Electric Global Modular Platform) ihre Grundlage für eine Vielzahl von Elektroautos geschaffen ähnlich dem MEB des Volkswagen-Konzerns. Die ersten Vertreter auf der neuen Architektur sind der Hyundai Ioniq 5 und der Kia EV6.
Ioniq 5 und EV6 im Video
Die beiden Brüder sind sich im Format recht ähnlich. Schon auf den ersten Blick wird aber deutlich, dass es sich keineswegs in eineiige Zwillinge handelt. Währen der Hyundai Ioniq 5 mit klaren Linien und Pixel-Leuchten Vintage und Futurismus kombiniert, zeigt der Kia EV6 mit seiner „Opposites United“ (vereinte Gegensätze) genannten Formensprache mehr Lust auf Rundungen.
Der EV6 ist sichtbar flacher als der Ioniq 5 (1,55 zu 1,61 Meter) und wirkt deutlich länger. In der Tat streckt er sich weiter von Front bis Heck. Das Plus an Verkehrsfläche liegt aber im überschaubaren Rahmen. 4,70 Meter lang ist der EV6 mit optionalem GT-Line-Paket (Basismodell 4,68 Meter), 4,64 Meter der Hyundai. Der hat glatte drei Meter Radstand, während beim Kia die Achsen um 2,90 Meter weit auseinanderstehen.
Hier und da: Viel Platz
Beide Maße sind üppig genug, um fürstlichen Beinraum im Fond zu bieten. Das flachere Dach und der durch die Batterien dickere Boden sorgen aber dafür, dass große Menschen in der zweiten Reihe des EV6 die Beine etwas stärker anwinkeln müssen. Das führt auf Dauer zu Ermüdungserscheinungen.
Vorne bieten beide Koreaner ähnliche Raumverhältnisse und zeigen eigene Ausprägungen. Im Kia nimmt man auf bequemen Sportsitzen Platz und blickt auf ein Cockpit mit großen Displays, dass sich um den Fahrerplatz biegt. Die hohe Mittelkonsole beherbergt einige Funktionstasten für den Klimakomfort (Sitzheizung und -lüftung sowie Lenkradheizung), den Motorstartknopf und den Fahrstufenschalter.
Das Infotainmentsystem, Kia Connect genannt, ist aus anderen Modellen der Marke bekannt. Die Menüführung auf dem 10,25 Zoll großen Touchscreen ist logisch und gelingt flüssig. Eine Tastenleiste unter dem Bildschirm ist virtuell angelegt. Auf Knopfdruck ändern sich die Funktionen von Menütasten hin zur Klimabedienung. Auch die Drehregler ändern dann ihre Funktion.
Wohnzimmer im Hyundai
Das Cockpit im Hyundai Ioniq 5 hat die gleichen Displays, zeigt sich aber geradlinig. Das passt zum Lounge-Charakter. Der Ioniq 5 ist mehr Wohnzimmer als der sportliche Kia. Ohne Mittelkonsole wirkt der Raum größer, die Fahrstufe wird über einen Lenkstockhebel eingestellt. Der liegt etwas tief, große Fahrer touchieren ihn manchmal mit dem rechten Knie.
Die umstellbare Tastenleiste hat der Hyundai nicht, er setzt weiterhin auf herkömmliche Tasten. Auch bei ihm kann man natürlich mit der Fingerkuppe über den Touchscreen tanzen. BlueLink nennt Hyundai sein Infotainment, das ebenso von anderen Modellen der Marke bekannt ist. Die Anzeigengrafik des digitalen Kombiinstruments ist bei beiden Autos weitgehend gleich, ebenso das optionale Head-up-Display.
Weder EV6 noch Ioniq 5 dürften aufgrund ihres Lenkraddesigns in die Geschichtsbücher für Formenliebhaber eingehen. Der Pralltopf des Volants im Ioniq 5 soll aussehen wie mit Stoff bespannt. Dann haben aber wohl die Kostenwächter „nein“ gesagt und es wurde schnödes Plastik gewählt. Die vier Punkte sind zudem irritierend, weder Markenzeichen noch modellbezogen. Beide Marken verwenden bei den Materialien im Interieur Recycling-Stoffe. Nur den Hyundai gibt es optional mit Leder. Der Innenraum im Kia EV6 ist immer komplett tierfrei.
Jeweils 1.600 kg Anhängelast
Blicken wir noch unter die Heckklappen. Der Kofferraum des Kia wirkt größer, weil er lang und flach ist. Nach Werksangabe schluckt er 490 Liter Gepäck, dazu kommen im vorderen Staufach (Frunk, Front Trunk) 52 Liter bei der Einmotor-Version oder 20 Liter beim Allradmodell mit zweitem Motor vorne. Der Ioniq 5 schultert im Heck 527 Liter Gepäck, dazu 57 (Heckmotor) oder 24 Liter (zwei Motoren) unter der vorderen Haube. Die maximale Anhängelast beträgt bei beiden üppige 1.600 Kilogramm, sofern der Akku zu mindestens 35 Prozent geladen ist.
Unterschiede bei der Ladeleistung
Auch beim Nachfassen von Strom zeigt der Kia eine stärkere Orientierung auf Performance: Am Schnelllader zieht der Elektronen mit maximal 240 kW, beim Hyundai sind es bis zu 220 kW. Beides sind top Werte, die deutlich über der Konkurrenz in Form von VW ID.4 oder Audi Q4 e-tron liegen. Seinen nominellen Vorteil kann der Kia nicht unbedingt in kürzere Standzeiten übersetzen. Um den Ladezustand des Akkus von 10 auf 80 Prozent zu steigern, reichen hier wie da 18 Minuten.
Über den Ladeanschluss hinten rechts kann nicht nur Strom geladen, sondern auch abgegeben werden. V2L (Vehicle-2-Load) heißt die Technologie, mit der Ioniq 5 und EV6 externe Geräte mit bis zu 3,6 kW Leistung laden können. Damit lässt sich sogar ein gestrandetes E-Auto flott machen.
Kia mit mehr Reichweite
Die Akkukapazität gibt Kia beim Testwagen mit 77,4 kWh an, Hyundai nennt für den Ioniq 5 72,6 kWh. Die Reichweite des Kia ist nach Norm (WLTP-Verbrauch 18,0 kWh) mit 484 Kilometern somit auch höher als die des Ioniq 5 (WLTP-Verbrauch 19,0 kWh). Mit 20-Zoll-Felgen kommt er 430 Kilometer weit. Wer auf die größeren Räder verzichtet und mit den serienmäßigen 19-Zöllern auskommt, darf bis zu 460 Kilometer weit fahren. Beim Kia bedeuten 19 statt 20 Zoll Felgendurchmesser 504 Kilometer Radius.
Auf den Testfahrten zeigte der Bordcomputer des Hyundai Werte von knapp über 20 kWh je 100 Kilometer an, der des Kia blieb minimal unter dieser Marke.
Der Hyundai setzt auf Komfort
Und damit sind wir mittendrin im Fahreindruck. Der Hyundai Ioniq 5 federt trotz der großen Räder komfortabel. Der Antrieb leistet maximal 225 kW (305 PS). Wenn 605 Newtonmeter System-Drehmoment über die Räder herfallen, wird der 2,2 Tonnen schwere Wagen zur Bodenrakete.
Ähnlich schwer ist auch der EV6, der aber in der Konfiguration mit großem Akku und zwei Motoren etwas mehr Leistung im Datenblatt stehen hat: Hier sind es 239 kW (325 PS). Im Alltag relevanter ist aber auch hier das Drehmoment, das mit 605 Newtonmetern dem des Ioniq 5 entspricht.
Auch der Kia ist also bei Bedarf wahnsinnig schnell, zumindest bis zur elektronisch begrenzten Höchstgeschwindigkeit von 185 km/h (bei beide gleich). Schon auf den ersten Landstraßen-Kilometern wird aber das andere Wesen des EV6 deutlich. Der Kia ist straffer abgestimmt, reagiert agiler auf Bewegungen am Lenkrad und stellt somit die fahraktivere Alternative der beiden Elektroautos dar. Das bedeutet aber nicht, dass er unkomfortabel ist.
Das kosten Ioniq 5 und EV6
Beide Hersteller verfolgen die gleiche Preislistenpolitik. Es gibt es Basismodell, das die Grundlage für die Umweltprämien-Förderung ist. Mehr Leistung und mehr Ausstattung kann man als Optionen dazubuchen. Damit kann man aktuell also alle Varianten mit 9.570 Euro (mit Mehrwertsteuer auf den Herstelleranteil) fördern lassen. Bei Ford, wo mit dem Mustang Mach-E eine ähnliche Politik verfolgt wurde, hat das Bafa (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) die Förderrichtlinie angepasst, teurere Varianten werden mit geringeren Beträgen subventioniert.
Zurück zu den Koreanern. Der Hyundai Ioniq 5 kostet mit einem 125 kW (170 PS) starken Heckmotor ab 41.900 Euro. Den Kia gibt es in der Basis mit gleicher Leistung ab 44.990 Euro. Mit höheren Ausstattungspakete und Leistungsupgrades verläuft der Preisvorteil des Ioniq 5 aber im Sande. Der Hyundai-Testwagen hat mit Uniq-Paket und den optionalen Liegesitzen einen Listenpreis von üppigen 63.340 Euro. Der Kia auf diesen Fotos und im Video kostet ab Werk 63.990 Euro.
Er hat die Liegesitzfunktion serienmäßig, dafür kostet das Meridian-Soundsystem Aufpreis. Im Hyundai mit Uniq-Paket sind BOSE-Boxen serienmäßig. Außerdem bietet nur er eine elektrisch in der Länge verstellbare Rücksitzbank. Eine Wärmepumpe kostet leider bei beiden Aufpreis.
Fazit
Das Gipfeltreffen der beiden Elektroautos aus Südkorea bringt zwei Sieger und keinen Verlierer zum Vorschein. Hyundai Ioniq 5 und Kia EV6 teilen sich das technische Rüstzeug, sind aber in Sachen Raumausnutzung, Leistungsabgabe und Charakter geschickt positioniert.
Unabhängig vom persönlichen Design-Geschmack greifen Kunden, die ein agiles und dynamisches Auto suchen, zum Kia. Der Hyundai verwöhnt Komfortliebhaber nicht nur mit seinem Wohnzimmerambiente. Ein Konzern, zwei Marken und zwei Charaktere also. Manches ändert sich auch im Elektro-Zeitalter nicht.
Welche Alternativen gibt es am Markt?
Vor allem der Hyundai Ioniq 5 überrascht beim ersten realen Kennenlernen. Während er auf Fotos aussieht wie ein Kompakter, ist er in Wahrheit groß wie ein SUV. Das gilt auch für den Kia EV6.
Die Elektroauto-Konkurrenz ist daher nicht bei VW ID.3 und Cupra Born zu suchen, sondern eine Klasse höher. Audi Q4 e-tron, der vor allem als Sportback mit Fließheck gegen den Kia EV6 antritt, Skoda Enyaq und VW ID.4 darf man zu den stärksten Mitwerbern der beiden Koreaner zählen. Und natürlich auch das Tesla Model Y. Bei ihm handelt es sich mittlerweile um ein richtig globales Modell. Das Auto der US-amerikanischen Marke erreicht Kunden in Europa aktuell aus chinesischer Fertigung. In Kürze soll aber die Serienproduktion in der ersten deutschen Tesla-Fabrik starten.
Aus dem Stall der Hyundai Motor Group kommt 2022 ein weiterer Konkurrent für Hyundai Ioniq 5 und Kia EV6. Die Premiummarke Genesis, seit 2021 auch in Deutschland auf dem Markt, bringt mit dem GV60 ihre Interpretation des Elektro-Crossover auf Basis der E-GMP-Plattform. Dieses Modell wird sich, ganz der internen Stallordnung folgend, mit mehr Ausstattung und besserer Materialqualität von seinen Brüdern abheben und auch preislich entsprechend höher positioniert werden.
Bis 2024 muss man warten, um einen sportlichen Spanier im Crossover-Format mit Elektroantrieb kaufen oder leasen zu können: Dann startet der neue Cupra Tavascan.
Technische Daten
Hyundai Ioniq 5 225 kW // Kia EV6 239 kW |
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Getriebe | Eingang-Reduktionsgetriebe |
Systemleistung: kW / PS | 225 kW (305 PS), 605 Nm // 239 kW (325 PS), 605 Nm |
Batterie | 72,6 // 77,4 kWh |
Beschleuningung 0-100 km/h | 5,2 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 185 km/h |
Norm-Verbrauch kWh / 100 km | 19,0 // 18,0 kWh |
Realer Verbrauch im Testzeitraum kWh/100 km | 20,8 // 19,9 kWh (lt. Bordcomputer) |
Leergewicht | ca. 2,2 Tonnen |
Anhängelast (gebremst) | 1.600 kg, Stützlast 100 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.635 / 1.890 / 1.605 // 4.695 / 1.890 / 1.550 mm |
Grundpreis | 41.990 // 44.990 Euro (mit 125 kW, Heckantrieb, kleinem Akku) |
Testwagenpreis | 63.340 // 63.990 Euro |