Der neue Kia EV6 als Allradmodell mit 77,4 kWh-Akku im ersten Fahrbericht mit Video-Review.
Er hat gefühlt so lange auf sich warten lassen, weil er sich schon im Vorfeld oftmals in Szene setzte. Nach dem ersten Kontakt in einem Fotostudio und Probefahrten im Vorserienmodell kommt der Kia EV6 jetzt auf den Markt. Zeit für Testfahrten mit dem neuen Elektroauto aus Korea, dass ich die E-GMP (Electric Global Modular Platform) mit den Konzernbrüdern Hyundai Ioniq 5 und Genesis GV60 teilt.
Der Kia EV6 im Video
Im Gegensatz zum Hyundai Ioniq 5 wirkt der Kia EV6 nicht wie ein Kompakter im größeren Maßstab. Sein Karosseriedesign, das mit Rundungen die Muskeln spielen lässt, verdeutlicht schon auf Fotos die Größe des Autos. Und erst recht dann, wenn man davorsteht. Mit 4,68 Metern in der Basis bzw. 4,70 Metern als GT-Line ist er aber nur etwas länger als der Hyundai.
Eigenständig tritt er also auf, der EV6. Für schüchterne Naturen ist er gewiss das falsche Auto, vor allem in der Lackfarbe Runway Rot. Auf den großen 20-Zöllern rollt er mit zusammengekniffenen LED-Tagfahrlichtlinien an wie eine Zeitmaschine aus der Zukunft. Dort hin soll der die Marke Kia auch führen, die nicht nur das „Motors“ aus ihrem Firmennamen gestrichen hat, sondern bis zum Jahr 2026 auch elf neue Elektroautos auf den Markt bringen will. Vier davon sollen sich Plattformen mit Verbrennern teilen, so beispielsweise der Nachfolger des Kia e-Niro. Sechs weitere E-Modelle folgen dem EV6 auf Basis der E-GMP-Architektur.
Laden auf Taycan-Niveau
Sie unterscheidet den Kia von der Konkurrenz, zu der auch der VW ID.4 und der Audi Q4 e-tron zählen, auch mit der 800-Volt-Technologie für schnelles Laden. Bis zu 240 kW Ladeleistung sind in Verbindung mit dem größeren 77,4 kWh-Akku beim Kia EV6 möglich, 180 kW sind es beim Basismodell mit 58 kWh-Batterie und 125 kW starkem Heckmotor. Von zehn bis 80 Prozent Speicherkapazität soll der Stromspeicher am Schnelllader in nur 18 Minuten aufgeladen werden können.
Diesen Beweis blieb uns der Kia EV6 während der Probefahrten schuldig. Der angesteuerte 300 kW-Lader von EnBW war nämlich defekt. Weil wir schon mal da waren, haben wir den Kia eben nebenan mit 50 kW Gleichstrom nuckeln lassen.
Das gab Zeit, die „Relaxion Seats“ auszuprobieren. Um diese Liegesitze wird ja viel Tamtam gemacht. Im Grunde kann man hier auf zweifachen Tastendruck einfach die Lehne flach stellen und das Sitzpolster verstellen. Ganz ehrlich: Früher hat man das manuell schneller hinbekommen (und manche Mitmenschen, so ist überliefert worden, auch einhändig im Eifer eines Libido-Gefechts). Auf die ausfahrbare Beinstütze, die der Hyundai bietet, verzichtet Kia aber.
Fahrerorientiertes Cockpit
Mit einer hohen Mittelkonsole und einem sich auf den Piloten konzentrierenden Cockpit mimt der Kia schon optisch mehr das Fahrerauto. Die Monitore unter dem Curved Display sehen schick aus. Das digitale Kombiinstrument entspricht in der Struktur seiner Grafiken dem Hyundai 5. Das 10,25 Zoll große Infotainmentsystem mit Kia Connect hat die gleiche eingängige Bedienstruktur wie andere Modelle der Marke. Die Tastenleiste darunter ist beim EV6 virtuell. Auf Fingerkuppendruck lassen sich die Bedienfelder von Menütasten in die Klimabedienung ändern. Auch die beiden physischen Drehregler ändern dann ihre Bestimmung und regeln die Temperatur statt Lautstärke oder Kartenmaßstab.
In Verbindung mit einem Optionspaket fährt auch ein Head-up-Display mit, das seine Informationen direkt auf die Windschutzscheibe spiegelt. Wie VW sprechen auch die Koreaner von Augmented-Reality-Inhalten. Damit sind aber schlicht und einfach deutliche Richtungspfeile gemeint. Egal, mit allen wichtigen Informationen direkt im Blickfeld ist der Projektor eine lohnenswerte Investition.
Im Innenraum des Kia EV6 kommen zum großen Teil Recycling-Materialien, u.a. aus alten PET-Flaschen zum Einsatz. Auf Leder wird komplett verzichtet, auch am Lenkradkranz oder in den Türverkleidungen. Das Interieur des EV6 ist also offiziell vegan.
Tierisch ist aber der Fahrspaß, den er bereiten kann. In Verbindung mit Allradantrieb, ermöglicht durch einen zweiten Elektromotor an der Vorderachse, leistet das System maximal 239 kW (325 PS). Zusammen mit dem maximalen Drehmoment mehr als genug, um die immerhin 2,2 Tonnen schwere Fuhre vehement nach vorne zu bringen. Und auch um Kurven. Auf verschlungenen Landstraßen fühlt sich das große Auto mindestens eineinhalb Nummern kleiner an, als es ist.
Allradantrieb nach Bedarf
Das Fahrwerk des Kia EV6 hat frequenzselektive Dämpfer mit hydraulischem Zuganschlag. Damit werden starke Aufbaubewegungen, beispielsweise auf schlechten Straßen, verringert. Das Ergebnis ist eine sportliche, straffe Abstimmung, die aber auch mit den optionalen 20-Zoll-Felgen noch ausreichenden Restkomfort bietet. Einstellbare Dämpfer gibt es nicht.
Der vordere Elektromotor wird nicht nur für wenige Sekunden zugeschaltet, um wie beim VW ID.4 GTX die maximale Leistung als Spitze darzustellen. Vielmehr regelt die Software den Einsatz der beiden permanenterregten Maschinen bedarfsgerecht. Wird mehr Traktion oder Leistung benötigt, wird der vordere Motor über eine Kupplung innerhalb von 0,4 Sekunden hinzugeschaltet. Hinter dem klobigen Zweispeichenlenkrad bekommt man davon nichts mir. Außer der Tatsache, dass es fix vorangeht.
One Pedal Drive möglich
Die Rekuperation überschüssiger Energie kann stufenweise mit den Paddels am Lenkrad verstellt werden, in der höchsten Ebene mit dem Namen „I-Pedal“ nutzt man das Fahrpedal als Joystick und kann anhalten, ohne die Bremse zu betätigen. Außerdem gibt es eine Automatik-Funktion, bei der die Rekuperation bedarfsgerecht angepasst wird.
506 Kilometer Reichweite gibt Kia für den EV6 AWD mit 77,4-kWh-Akku nach Norm an, etwas weniger als im Modell mit gleicher Batterie und Heckantrieb (528 km). Um das voll auszunutzen, sollte man aber auch 1.000 Euro zusätzlich in die Wärmepumpe investieren, um den EV6 in dieser Hinsicht ganzjahrestauglich zu machen.
Auf unseren ersten Testfahrten mit Autobahnanteil meldete der Bordcomputer einen Verbrauch von 22,8 kWh je 100 Kilometer, womit also etwa 350 Kilometer Reichweite möglich wären. Beide Werte muss ein späterer Test genauer klären. Dann wird auch das schnelle Laden (siehe oben) nachgeholt.
Das kostet der Kia EV6
Das Basismodell mit 125 kW (170 PS) starkem Heckmotor und 58 kWh-Akku startet bei 44.990 Euro. Alle weiteren Varianten bietet Kia als Optionspakete an. 77,4 kWh kosten 4.000 Euro Aufpreis, in der Verbindung mit Allradantrieb – die Konfiguration unseres Testwagens – 7.900 Euro. Ende 2022 folgt der EV6 GT mit 430 kW (585 PS) für 21.000 Euro Aufpreis.
Hintergrund dieses Baukastens in der Preisliste: Alle Varianten des Kia EV6 lassen sich in Deutschland mit der vollen Summe von 9.570 Euro (inkl. Herstelleranteil) fördern. Das Ausstattungspaket GT-Line kostet 6.000 Euro Aufpreis und beinhaltet beispielsweise anders geformte Stoßfänger, in Wagenfarbe lackierte Radläufe, adaptives LED-Licht, die Vehicle-to-Load-Funktion mit 3,6 kW Leistung und andere Extras.
Der hier abgebildete Testwagen stellt in Runway Rot mit diversen Paketen einen Listenpreis von 63.070 Euro (vor Abzug der Umweltprämie) dar. Ein Preisvergleich mit dem Hyundai Ioniq 5 ist hier zu lesen .
Fazit
Der Kia EV6 dürfte nicht nur der erste Vertreter von Kias neuer Elektroautogeneration sein, sondern auch die Positionierung der Marke und die Abgrenzung zu Hyundai beschleunigen. Er tritt expressiv auf und ist im Vergleich zum Ioniq 5 das fahraktivere, straffere Auto. Beide haben die selbstbewussten Preise gemeinsam, die sich aber mit modernster Technik bei Antrieb, Lademöglichkeit und Infotainment rechtfertigen lassen.
Der gute Eindruck wird durch die flach montierte Rücksitzbank und den damit suboptimalen Sitzkomfort im Fond etwas geschmälert.
Technische Daten
Kia EV6 AWD GT-Line |
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Elektromotor: Maximale Leistung kW | 239 kW (325 PS) |
Systemleistung: kW / PS | 239 kW (325 PS), 605 Nm |
Batterie | 77,4 kWh Lithium-Ionen |
Beschleuningung 0-100 km/h | 5,2 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 185 km/h |
Norm-Verbrauch kWh / 100 km | 17,2 - 18,0 kWh |
Realer Verbrauch im Testzeitraum kWh/100 km | 22,8 kWh (lt. Bordcomputer) |
Leergewicht | 2.190 kg |
Anhängelast (gebremst) | 1.600 kg, Stützlast 100 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.695 / 1.890 / 1.550 mm |
Grundpreis | 58.890 Euro |
Testwagenpreis | 63.070 Euro |