Für die tägliche Portion WOW: der Alltag mit dem Kia Stinger GT.
Mal kurz zum Tanken anhalten und dann rasch weiterfahren, das klappt leider gar nicht mit dem Kia Stinger. Der Grund sind Menschen. Mindestens einer, meist mehrere, schleichen um die 4,83 Meter lange Sportlimousine herum. Sie drücken sich die Nasen an den Fenstern platt, inspizieren den Heckdiffusor mit den vier Endrohren und die Brembo-Bremsanlage hinter den polierten 19-Zoll-Felgen.
Dann haben sie natürlich Fragen, sind erstaunt, dass das ein Kia ist („Ach echt? Ich dachte das ist ein Italiener!“ – dabei stehen die drei Buchstaben doch im Logo), glucksen bei Leistung und Höchstgeschwindigkeit (370 PS, 270 km/h) und wollen wissen, wann das Auto denn auf den Markt kommt?
Nun, den Kia Stinger gibt es bereits. Seit Herbst 2017 wurden immerhin über 600 Autos in Deutschland verkauft, zum größten Teil mit dem 3,3 Liter großen, doppelt aufgeladenen V6 unter der langen, flachen Motorhaube. Grund genug, den Kia Stinger als GT 3.3 GTDI, so die offizielle Modellbezeichnung, zum AUTONOTIZEN-Alltagstest antreten zu lassen.
Das macht er mit Schmackes. Für den Kia Stinger spielt es nämlich keine Rolle, ob der Fuß des Fahrers aus dem Stillstand oder bei höheren Geschwindigkeiten jenseits der 180 Stundenkilometer auf das Gaspedal fällt.
Unter zornigem Grollen spuckt der Sechszylinder bis zu 510 Newtonmeter Drehmoment auf die Kurbelwelle und der stets hecklastige Allradantrieb tritt den fast zwei Tonnen Autogewicht ins Kreuz.
Lange Autobahnsteigungen, bei denen selbst mancher Oberklassediesel Anstrengung spüren lässt, bügelt der Kia Stinger flach wie ein Dampfbügeleisen. Eben jene Limousinen oder Kombis stehen dann meist im Weg. Entweder achten die Fahrer nicht darauf, dass da plötzlich etwas Schnelleres angepflügt kommt, einige wollen das aber auch schlicht nicht akzeptieren.
Nur ein Beispiel, auf welch wunderbare Art und Weise der Kia Stinger entspannen kann, obwohl er vor Kraft fast tropft.
Wer sich für den großen Kia entscheidet, muss sich und seinem Umfeld nichts beweisen, pfeift auf Geltungsdrang und damit verbundenen Premiumbedarf.
Soll ruhig der Nachbar die Ringe oder den Stern seines Leasingautos polieren. Der Stinger-Fahrer bleibt derweil grinsend im Auto sitzen und nimmt jedes einzelne, aufgestellte Härchen an den Armen und im Nacken wahr. Vor allem, wenn er gerade von einer Tour über einsame, verwinkelte Landstraßen zurückkommt.
Denn das katapultartige Geradeaus ist nur eine Paradedisziplin des Koreaners. Schnelle Kurvenkombinationen zeigen das wahre Talent des Stinger, der unter Federführung des ehemaligen BMW M-Entwicklungschefs Alfred Biermann auf der Nürburgring-Nordschleife entwickelt und abgestimmt wurde.
Mit dem Lenkrad dirigiert der Stinger-Pilot die große Limousine zentimetergenau von einem Scheitelpunkt zum nächsten, die perfekte Rückmeldung auch vom adaptiven Fahrwerk und die hervorragende Aussicht über die flache Motorhaube machen wunschlos glücklich. Als Krönung verteilt das Torque Vectoring System Drehmoment gezielt an einzelne Räder.
Dass dazu stets genügend Kraftreserven aus den sechs Töpfen gezogen werden, muss nicht mehr extra erwähnt werden. Ist aber jetzt doch passiert. Egal, man kann es nicht oft genug sagen.
Wer den Kia Stinger genauer ansehen will, muss also warten, bis er mal parkt. Was er selten macht. Oder tankt, siehe oben. Das kommt öfter vor, wenn übersichtliche 60 Liter Tankvolumen auf einen Textverbrauch von 13 Litern Super treffen. Was angesichts der Leistung durchaus noch ok ist (auch wenn jetzt der Shitstorm losbricht!).
Dann staunt das Auge des Betrachters, wie sich das Kia-Design in den letzten Jahren entwickelt hat. So weit, dass der Kia Stinger in all seiner Erotik kein Außenseiter der Modellpalette ist.
Das Verhältnis der flachen Scheinwerfer zum breiten Tigernasen-Kühlergrill? Kennt man selbst von braven Kompaktauto wie dem cee´d (ja, dem alten, noch mit Kleinbuchstaben und Apostroph). Die massiv wirkende C-Säule trägt etwas schüchterner auch die brave Mittelklasse-Limousine Optima.
Der Stinger ist also ein stolzes Familienoberhaupt. Mit aerodynamischen Feinschliff wie dem Luftkanal um die Vorderräder (rein durch den Stoßfänger, raus hinter dem Radkasten), stämmigen Schultern über der Hinterachse und einem Fließheck, das wie ein besserer Entwurf aktueller Maserati-Limousinen wirkt.
Dazu, das ist die persönliche Meinung des Autors, die perfekte Stinger-Farbe namens Ceramicsilber Metallic.
Nach dem Öffnen der Tür wird dem Auge im Innenraum von der dunkelroten Nappalederausstattung geschmeichelt. Für den Körper erledigt das der Fahrersitz. Bei ihm lassen sich auch die Breite der Sitzwangen für mehr Seitenhalt und die Länge der Oberschenkelauflage elektrisch einstellen, was ebenso wie die elektrische Lenksäule über die Memory-Funktion abgespeichert werden kann.
Im Fond gibt es für 2,9 Meter Radstand ausreichenden, aber nicht wirklich erwähnenswerten Platz. Auch der Kofferraum hält sich mit 406 bis maximal 1.114 Litern Volumen dezent zurück, verweist lieber auf die Antriebstechnik unter ihm.
Bei den Materialien im Cockpit lässt der Kia Stinger den Premium-Konkurrenten vom Schlage einen Audi S5 Sportback gerne den Vortritt, hier sei ein Hinweis auf die Abrechnung am Schluss erlaubt.
Tasten, Displays und auch das Navigations- und Infotainmentmodul kennt man aus anderen Kia-Modellen. Dazu gehört auch die nicht mehr ganz frische Kartendarstellung mit Daten auf SD-Karte und der TMC-Verkehrsdienst. Wird ein Smartphone gekoppelt und über eine App verbunden, kann man aber auf TomTom-Live-Dienste zugreifen.
Apple Car Play und Android Auto kann der Stinger, Musik kommt im GT serienmäßig aus einem Harman/Kardon-Soundsystem mit 15 Lautsprechern und 720 Watt Leistung. Das klingt ok, aber klänge viel besser, wenn die Türverkleidungen nicht schon bei Zimmerlautstärke mitklappern würden. Ein Problem, dass auch andere Hersteller wie Skoda beim Superb mit den optionalen Soundsystemen hatten.
Wenn man schon beim Nachbessern ist, könnten die Kia-Techniker auch gleich nach den Türen schauen. Die knistern in der steifen Karosserie bei Unebenheiten in ihren Dichtungsgummis. Ein höheres Anzugsmoment der Türscharniere könnte Abhilfe schaffen.
Glamour (der Auftritt) und Geilheit (der Antritt) sind also ansatzweise erörtert worden, bleibt noch der Geiz.
Trotz seiner Sonderrolle als saftige Fahrmaschine bleibt der Kia Stinger an der Kasse nämlich ganz der brave Koreaner. 54.900 Euro kostet beim Kia-Händler eine große Limousine mit 370 PS, Nappalederausstattung und Vollausstattung. Das muss nochmal zusammengefasst werden.
Metalliclackierung und Schiebedach sind die einzig möglichen Optionen, die Sportabgasanlage aus dem Zubehör für 2.599 die wohl empfehlenswerte für mehr Sound des V6 (der Testwagen hatte sie nicht verbaut, daher bleibt die Vermutung).
Audi S5 Sportback oder BMW 440i xDrive Gran Coupé kostet vergleichbar ausgestattet zwischen 20.000 und 25.000 Euro mehr als der Stinger. Und die bieten dann zwei statt sieben Jahre Garantie.
Auf den Parkplätzen größerer Firmen wird der Stinger dennoch eine Seltenheit bleiben. Neben dem mangelnden Mut der Dienstwagenberechtigten spielen da auch die Leasingraten eine Rolle. Trotz des höheren Neupreises mit kostet ein Audi S5 Sportback je nach Anbietet um die 70 Euro weniger im Monat.
Wer aber als Selbständiger bar kauft und nur die 1%-Regel beachten muss oder als Privatkunde Lust auf das Besondere hat, der bekommt mit dem Kia Stinger eine richtig leckere Fahrmaschine.
Den Mut, in dieser Klasse einen Kia zu kaufen, wird der Stinger seinem Fahrer jeden Tag belohnen. Gleichzeitig ist auch dem Hersteller der Mut anzurechnen, in der Zeit der SUV-Hysterie eine derart scharfe Sportlimousine auf den Markt zu werfen.
Die Bildergalerie zum Kia Stinger findet Ihr unter dem Video-Link.
Wie empfiehlt sich der Kia Stinger mit Vierzylinder-Benziner oder als Diesel? Das lest Ihr hier.
Technische Daten
Kia Stinger GT 3.3 T-GDI AWD |
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Hubraum | 3.342 ccm |
Anzahl und Bauform Zylinder | V6 |
Maximale Leistung kW / PS | 272 kW / 370 PS bei 6.000 U/min |
Max. Drehmoment | 510 Nm bei 1.300 - 4.500 U/min |
Getriebe | Achtgang-Automatik |
Beschleuningung 0-100 km/h | 4,9 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit | 270 km/h |
Norm-Verbrauch auf 100km | 10,6 Liter |
Verbrauch real auf 100km | 13,1 Liter |
Reifenmarke und –format des Testwagens | Michelin 225/40 R19 vorn, 255/35R19 hinten |
Leergewicht | 1.909 kg |
Länge / Breite / Höhe | 4.830 / 1.870 / 1.400 mm |
Grundpreis | 54.900 Euro |
Testwagenpreis | 55.590 Euro |