Lada Granta im Alltagstest Was ist das denn für ein Auto?

Der kleine Unbekannte: Unterwegs im Lada Granta Fließheck.

„Ein kompaktes Crossover-Coupé, das mit Frontantrieb und großer Bodenfreiheit die täglichen Herausforderungen im Großstadtdschungel meistert. Mit seiner großen Heckklappe gibt es der urbanen Zielgruppe in Beruf und Freizeit ausreichend Raum zur Entfaltung.“

Lada Granta im Alltagstest

So würde ein moderner Premiumhersteller werbetexten. Und uns die Botschaft mit unzähligen Millionen an Marketing-Geldern so lange um die Ohren hauen, dass wir das neue hippe Ding haben wollen. Crossover-SUV-Coupé. Kompakt für die Stadt und ohne Schnickschnack. Wie gemacht für den modernen Urban Native in der Slow Food Bewegung. Nun landen wir aber mal wieder Füße voraus auf dem Boden der Tatsachen und stellen uns ganz rational, aber auch unvoreingenommen, vor den weißen Testwagen.

Da kommen plötzlich Passanten hinzu, z.B. mit der Frage „Was ist das denn für ein Auto?“. Oder mit dem Kommentar „So einen Lada habe ich ja noch nie gesehen.“ Zum bisher preisgünstigsten, langsamsten und leistungsschwächsten Testwagen in der noch kurzen Historie von AUTONOTIZEN wurde ich so oft auf das Auto angesprochen wie noch nie, in dieser Disziplin überrundet der Lada sogar den Bentley Flying Spur und den Audi R8.

Lada Granta im Alltagstest

„Der Lada“ ist ein Granta mit Fließheck. Diese Karosserieversion gibt es jetzt ganz frisch, während der Lada Granta als Stufenheck ist bereits seit 2013 auf dem Markt ist. Konstruktiv reicht das Auto, den langen Entscheidungswegen in Russland geschuldet, aber bis in die 90er Jahre zurück.

Das merkt man dem Granta durchaus an. Kleine, weiche Sitze empfangen Fahrer und Beifahrer. Der Blick fällt auf ein rustikales Cockpit, bei dem Plastik einfach nur Plastik ist. Inklusive konzentriertem Neuwagengeruch. Softtouch-Oberflächen und Materialmix-Arien überlässt man anderen. Da wirken die silbernen Plastikblenden in der Mittelkonsole und den Türen direkt überflüssig.

Lada Granta im Alltagstest

Trotz der fehlenden Höhenverstellung findet man selbst mit über 1,90 Metern Größe eine annehmbare Position den kleinen Sitzen. Zumindest auf kurzen Strecken. Seitenhalt und Rückenunterstützung sind für die Stühle Fremdworte. Für die Autobahntour ist der Lada Granta eh nicht konditioniert. Die Viergang-Automatik des Testwagens kämpft mit großen Drehzahlsprüngen gegen die Massenträgheit an. Bei Tempo 80 grummelt der maximal 98 PS starke 1,6 Liter entspannt vor sich hin, die Automatik verweilt in der vierten Fahrstufe. Wer jetzt nur den großen Zeh bewegt, ermuntert die Box dazu, in den dritten Gang zu hüpfen, die Drehzahl steigt um ca. 1.300 Umdrehungen aber der Lärmpegel gefühlt um Welten. So dreht der Vierzylinder bis Tempo 130 wild in den Begrenzer (5.500 U/min), bevor wieder die D4 im digitalen Display (ja, so was hat er!) erscheint. Bei dieser Geschwindigkeit stört der Motorlärm aber kaum noch, längst haben nämlich die Windgeräusche um die A-Säulen die erste Geige übernommen.

Lada Granta im Alltagstest

Zügiges Reisen im Lada Granta ist also laut und erfordert auch Konzentration. Die Lenkung folgt den Befehlen am Steuerrad nämlich erst gar nicht, dann überraschend zackig. So ähnlich, wie wenn man bei einem Schiff das Ruder bewegt. Die Richtung wird vorgegeben und…warten….und plötzlich schlägt der Granta einen Haken. Rückmeldung geht anders. Bei starken Bremsmanövern in höheren Geschwindigkeitsbereichen wird das Heck zudem unverhofft leicht. Das Auto taucht tief ein und zieht leicht nach links. So sind die Bremsen, vorne Scheiben, hinten Trommeln, des Grantas eingebautes Tempolimit.

Was im Stadt- und kürzeren Überlandverkehr nicht weiter stört. Hier kann der Lada Granta mit seiner Wendigkeit punkten. Das schmale Auto (1,70 Meter Breite) nimmt Baustellen-Spuren, Altstadtgassen und Parkhäusern ihren Schrecken und die eingangs erwähnte hohe Bodenfreiheit beheimatet eine überraschend schluckfreudiges Federung. Die ist nicht nur auf russischen Schotterpisten, sondern auch im kommunalen Flicken-Straßenbau gern genommen.

Lada Granta im Alltagstest

Komfortabel ist er also, der Lada Granta. Auf seine Art und Weise und natürlich im Angesicht der Preisklasse. Die Ausstattung des Testwagens ist überraschend füllig: Klimaanlage, Sitzheizung, elektrisch verstellbare Außenspiegel, Bordcomputer, CD-Radio mit SD-Karten Leser, USB-Buchse und Bluetooth-Freisprecheinrichtung, viel elektrische Fensterheber und ein Bordcomputer sind mit eingepackt. Damit entfernt sich der Granta natürlich vom „günstigsten Neuwagen in Deutschland“ und kostet mit 11.650 Euro fast doppelt so viel wie der Basis-Granta ohne alles und mit Stufenheck für 6.750 Euro.

Klar bemerkt der kundige Leser dieser Zeilen, dass sich der Lada Granta damit in den Preisregionen des Dacia Sandero (ab 6.890 Euro) bewegt. Der Rumäne ist auch der stärkste Widersacher. Und das sogar aus dem eigenen Hause, denn die Renault-Nissan-Allianz, zu der auch Dacia gehört, ist Mehrheitseigentümer des Lada-Produzenten Autovaz. Von oben drücken Rabatt-geschlachtete Tageszulassungen von Fiat und anderen Marken in die 10.000 Euro-Liga. Auch kleinere Autos wie der Mitsubishi Space Star (ab 7.990 Euro) haben Schnäppchenjäger bestimmt auf der Liste. Und diese Käufer gab und gibt es, die abgenutzte Gegenfrage „tut es nicht auch ein Gebrauchtwagen?“ lassen wir ungehört verhallen.

Lada Granta im Alltagstest

Hier ist auch die Nische für Lada & Co. zu finden. Menschen, die sich in den 90er Jahren einen Skoda Felicia gekauft haben oder die ersten Hyundais und Kias, sind vielleicht mit der steten Höherpositionierung der Marken und Modelle nebst Technikupgrades nicht immer einverstanden. Sie wollen einfach billig Autofahren. Salonfähig gemacht hat das Dacia, aber mit Schützenhilfe: Vom deutschen Staat und von Renault.

Denn Dacia konnte die Abwrackprämie 2009 voll für sich nutzen, vor allem weil der französische Mutterkonzern jahrelang ordentlich Marketinggelder zur Verfügung stellte. Lada musste das alleine stemmen. Oder eben nicht, da die übersichtliche Margenkalkulation keine Anzeigenstrecken und Fernsehspots zulässt. So kommt es zu Aussagen wie der eingangs schon einmal zitierten „So einen Lada habe ich ja noch nie gesehen“.

Was zumindest im Vergleich mit Dacia für den Lada Granta sprechen kann. Denn ungebräuchlicher kann man derzeit in Deutschland kaum Auto fahren. Günstiger auch nicht, wenn man den drohenden Wertverlust ausblendet. Somit empfiehlt sich der Lada Granta vor allem für Menschen, die ein schlichtes Auto lange behalten und dabei wirtschaftlich denken.

Lada Granta im Alltagstest

Nehmen wir einen Malerbetrieb. Der Handwerker kauft seine Autos, da er spätestens beim ersten umgefallenen Farbeimer die Leasinggesellschaft Amoklaufen sieht. Von den Kanistern passen übrigens einige in den Kofferraum des Granta Fließheck. Flecken oder eine Schramme, die die Leiter auf dem Stoßfänger hinterlässt, verursachen wenig(er) Ärger und das Auto läuft wahrscheinlich problemloser als ein gebrauchter Kombi – Lada bietet aktuell drei Jahre Garantie auf den Granta. Was auch den Hobbygärtner interessieren dürfte, der öffentlich pendelt aber samstags seine Schrebergartenabfälle zum Bauhof fährt. Kann gut sein, dass er dort auf den Raumgestalter trifft.

Und zwei Lada Granta an einem Ort, dass hätte selbst ich dann noch nicht gesehen.

Mehr über Ladas Herausforderungen lest Ihr hier.

Technische Daten

Lada Granta Fließheck Automatik

Hubraum 1.596 ccm
Anzahl und Bauform Zylinder 4 in Reihe
Maximale Leistung kW / PS 5.600 U/min
Max. Drehmoment 145 Nm bei 4.000 U/min
Getriebe 4-Gang-Automatik
Beschleuningung 0-100 km/h 12,6 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit 169 km/h
Norm-Verbrauch auf 100km 7,1 Liter
Verbrauch real auf 100km 8,9 Liter
Reifenmarke und –format des Testwagens Pirelli Cintaro P1 187/55 R15
Leergewicht 1.090 kg
Länge / Breite / Höhe 4.246 / 1.700 / 1.500 mm
Grundpreis 11.650 Euro
Testwagenpreis 11.650 Euro (ja, richtig gelesen - wie der Grundpreis)
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Text: Bernd Conrad
Bilder: Bernd Conrad