Der erste Klassiker-Bericht auf autnotizen.de.
Nach der ersten Vorstellung der neuen Giulia für 2016, die Alfa Romeo endlich das langersehnte Comeback bringen soll, dachte ich mir, es ist Zeit, einmal den aktuellen Status Quo zu „schnuppern“.
In München, der nördlichsten Stadt Italiens, bietet sich dafür nichts besser an als ein Besuch des örtlichen Alfa-Platzhirsches: Das Autohaus Grill Sportivo. Während anderswo das Alfa-Schild schüchtern unterm gelben Opel-Banner hängt oder man sich auf der Suche nach einem MiTo-Vorführer durch koreanische Kompaktwagen schlängeln muss, schlägt hier seit 40 Jahren das „Cuore Sportivo“. In der aufgeräumten Werkstatt stehen einige leckere Klassiker, u.a. ein seltener SZ. Auf der Bühne entdecke ich eine Kindheitserinnerung. Aus dem Italien-Adria-Familienurlaub kam ich als Kind stets mit neuen Bburago-Autos nach Hause, mal in Baugröße 1:18, mal kleiner in 1:24. Oft war das der damalige 3er BMW Italiens, die Alfa Giulietta als Polizia- oder Carabinieri-Streifenwagen.
Und genau dieses Auto hängt nun lebensgroß und unschuldig auf der Hebebühne, im klassischen Alfa-Rot. Das Design der Giulietta, die im Herbst 1977 die Giulia ablöste und 1985 dem Nachfolger Alfa 75 Platz machen musste, besticht noch heute. Vor allem das Facelift-Modell, das hier hängt, hat es mir angetan. Die Front mit dem schmalen, sich mutig gegen den Wind stellenden Kühlergrill und dem unaufgeregten Scudetto als Alfa-Markenzeichen gefällt in ihrer sportlichen Schlichtheit. Das hohe Heck entspricht dem Aerodynamik-Zeitgeist der 80er. Ebenso wie das pragmatische Designelement der schwarzen Pseudo-Lüftungsgitter am Heck, die das viele Blech einfach aber effektvoll kaschieren. Die Spoilerkante ist schön ausgeprägt, heute wird sowas vor allem bei einem deutschen Konzern halbseitig als wahnsinnig kantiges Zeichen penibler Fertigungswerkzeuge gefeiert.
Kurzer Plausch mit dem Geschäftsführer des Autohauses, und ich darf seinen Liebling tatsächlich fahren. Also nichts wie los zur Premiere: Der erste Klassiker-Bericht auf autnotizen.de.
30 Jahre hat das Auto auf seinen Rädern verbracht, stilgerecht frisch bereift auf Vredestein-Gummis im Giugiaro-Design mit tollen Zender-Zubehör-Felgen (Die Löcher stilisieren AR). 30 Jahre automobilen Fortschritt merkt man, wenn man wie ich voll und ganz all den popowärmenden, rückenmassierenden, spurhaltenden und einparkhelfenden modernen Krimskrams gewöhnt ist. Hier also Fahren statt Gefahrenwerden. Trotz des hohen Alters steht die Giulietta topfit vor uns, gerade hat sie nicht nur eine frische HU-Plakette, sondern auch ein H-Kennzeichen bekommen. Die DEKRA Prüfer bescheinigen den guten Zustand des Wagens, von dem ich mir auch selber ein Bild machen konnte – siehe Bilder.
Als erstes fällt auf, was für ein Sound ein 2-Liter Vierzylindermotor verursachen kann. Lange bevor immer neue Lärmvorschriften die Autos ruhiger werden ließen, war dieses Geräuschniveau normal, heute hat man schon viele Augenpaare auf sich gerichtet, wenn man gerade im 2. Gang entspannt um die Ecke vor dem Eiscafé biegt. Apropos biegen: Die servolose Lenkung mit dem großen Lenkrad ersetzt sicherlich keinen Besuch im Fitnessstudio – dieser ist vielmehr anzuraten, um die Giulietta zielgenau durch Kurven zu zirkeln oder mit dem riesigen Wendekreis in der Tiefgarage zu rangieren. Zwei Stunden Alpenpässe mit dieser Lenkung und ein frisches Hemd wird fällig. Das brauche ich aber gerade nicht, da es entspannt geradeaus über die Landstraße geht. Dabei fällt der ruhige Lauf des Motors bei konstanter Geschwindigkeit auf, erst beim runterschalten wird er mit herrlichen Fehlzündungen wieder frech. Nach intensivem Suchen habe ich endlich eine Möglichkeit gefunden, die Seitenfenster herunterzulassen. Die waren schon 1985 elektrisch, die Knöpfe dafür verstecken sich trotz zahlreicher Blindschalter an der Mittelkonsole aber doch tatsächlich am Dach. Dort leuchtet auch die aktuelle Uhrzeit digital in den gepflegten und originalen Innenraum, ansonsten dominieren tolle Analoguhren, Walzeninstrumente für Tankanzeige und Motortemperatur und eine Armada einfacher Warnleuchten, sollte Julchen einmal ein Mitteilungsbedürfnis haben, weil sie z.B. Durst hat.
Die Gänge lege ich nach Anraten von Herrn Grill behutsam und langsam ein, führe den Ganghebel zielgenau durch die Schaltgassen des exakten 5-Gang-Getriebes in Transaxle-Bauweise (Motor vorne, Getriebe hinten an der Antriebsachse). 117.000 Kilometer ist diese Giuletta bisher gelaufen. Als Modellversion 2,0 Super mit 130 PS steht sie fast im Originalzustand da: Am Heck verkündet der Schriftzug „Giuletta 1.8“. Das aber nicht aus Pseudo-Understatement, sondern schlicht der Tatsache geschuldet, dass ein 2.0 Schriftzug aktuell nirgends aufzutreiben ist. Wenn also jemand jemanden kennt…
Das Auto ist mit einem Zender-Sportfahrwerk mit Tieferlegung und den erwähnten Felgen ausgestattet; beides gab es damals bei Alfa Romeo im Zubehör zu kaufen und nachzurüsten, gilt für mich daher als Originalzustand. Die grünen Kleeblätter an den Kotflügeln auch, da es zwar nie eine Giulietta QV gab, diese Sticker aber den Enthusiasmus der Alfa Fans aus den 80ern wunderbar stilvoll ins Hier und Heute retten. Gleiches gilt für das dritte Kleeblatt an diesem Auto, verklebt auf dem Armaturenbrett.
Wieder zurück in Giuliettas Zuhause wird sie nochmal auf die Bühne gehievt und ich kann mir ein Bild vom guten Pflegezustand machen. Ein fünf Jahre alter Vertreter-TDI sieht am Unterboden auf jeden Fall abgerockter aus. Nun gut, der wird ja auch bei Wind und Wetter gefahren, während ein 30 Jahre alter Alfa es lieber trocken mag. Am Getriebe ist ein leichter Ölfilm, ansonsten alles sauber und auch der Rost hat sich bei diesem Exemplar noch nicht blicken lassen, bis auf einige unauffällige Spuren am Auspuff. Die Bremszangen sind neu gemacht, was einen riesigen Reparaturaufwand bedeutet. Damit die ungefederten Massen möglichst gering sind, hängen die hinteren Bremsscheiben nicht etwa in der Felge, sondern am Getriebe. Dieses muss bei Bremsenwartungen gerne mal Platz machen. Wenn man auf den Gebrauchtwagenseiten surft, entdeckt man einige Giuliettas, die vor allem vor der Windschutzscheibe Faustgroße Rostlöcher haben. Das mach den Zustand dieses Exemplars umso bemerkenswerter.
Nach zu schweren Breras und 159ern, verquollenen Punto-Klonen und der auch nicht mehr taufrischen aktuellen Kompakt-Giulietta ist es für viele schwer greifbar, warum der Mythos Alfa Romeo immer noch lebt. Eine Stunde mit diesem roten Flitzer, 30 Jahre nach der Erstzulassung, spritzt Dir das Gift der Schlange im Emblem direkt in den letzten Winkel des Blutkreislaufs.
Leider steht diese Giulietta aktuell nicht zum Verkauf, aber man sieht sich ja zweimal im Leben. In diesem Zustand lebt das Auto noch viele Jahre weiter.
Text und Fotos: Bernd Conrad
Danke an Johann Grill für die Überlassung des Fahrzeugs