Mit dem ET7 startet die chinesische Elektroautomarke Nio Ende 2022 in Deutschland. Erster Check mit Sitzprobe, auch als Video-
Nio ES8, ES6 sowie EC6 werden bereits seit einiger Zeit in China verkauft, mit dem ES8 startet noch im September 2021 erstmals der Export nach Norwegen. Der Buchstabe „S“ im Namen steht für „SUV“, das „C“ für „Coupé“. Nächster Aufschlag ist der ET7. Der Konsonant in seiner Modellbezeichnung wird bei Nio für „Touring“ oder „Travel“ genutzt. Keinesfalls für „Tamtam“.
Das erkennt man schon beim ersten Blick auf die knapp über fünf Meter lange Limousine, die in einem Designstudio fürs erste Date bereitsteht. Eskapaden in Chrom, Sicken oder überflüssigen Kanten hat sich das Designteam um Chefgestalter Kris Tomasson, der 2015 von BMW zu Nio wechselte, gespart.
Der Nio ET7 im Video
Die Front des Nio ET7 folgt mit flachen LED-Lichtleisten für Blinker und Tagfahrlicht sowie den darunter im Stoßfänger platzierten Hauptscheinwerfern der SUV-Linie des Hauses. Die klare Seitenlinie mit versenkten Türgriffen läuft in einem flachen Fließheck aus. Trotz dieser Karosserieform verzichtet Nio aber auf eine große Heckklappe, bleibt bei der Konstruktion des ET7 also der klassischen Stufenhecklehre mit Heckdeckel treu.
Auffallend sind die Erhebungen im Dach. Über der Windschutzscheibe stecken nicht nur zwei Kameras, sondern mittig auch ein Lidar-Sensor. Sie sind Teil eines Systems von insgesamt 33 Sensoreinheiten, mit denen automatisiertes Fahren möglich ist. Perspektivisch strebt Nio Autonomie nach Level 4 an (der Fahrer muss nur noch im Notfall eingreifen), zuvor wird es, je nach Zulassungsbestimmungen in einzelnen Ländern, bei einem erweiterten Autobahn- und Landstraßenassistenten bleiben. Der Lidar-Sensor im Dach kann bis zu 500 Meter weit nach vorne blicken. Auch am Heck und an den Seiten helfen dem ET7 künstliche Augen, sich zu orientieren.
Augen innen und außen
Augen blicken einen auch an, sobald man eine der Türen mit rahmenlosen Seitenscheiben öffnet und einsteigt. „Nomi“ wartet auch im ET7 auf Fahrer und Passagiere. So heißt das KI-System (Künstliche Intelligenz), das als erweiterte Sprachsteuerung die Interaktion zwischen Mensch und Maschine herstellt. Ein digitales Gesicht auf dem Armaturenbrett blickt den Gesprächspartner an und kann animierte Mimik darstellen. Noch spricht Nomi nur chinesisch.
Hinter dem Zweispeichenlenkrad blickt der Fahrer auf ein 10,8 Zoll großes Display für alle fahrrelevanten Informationen. Außerdem wird ein Head-up-Display weitere Inhalte direkt auf die Windschutzscheibe projizieren. Der zentrale Bildschirm für die Infotainmentinhalte prangt als Quadrat auf der Mittelkonsole, seine Diagonale misst 12,8 Zoll. Die Funktionalität der Menüführung und die Schnelligkeit von Reaktionen oder Routenberechnungen konnte im ET7-Prototyp noch nicht getestet werden.
Dekormaterial aus Rattan-Werkstoff
Wohl aber das Raumangebot. Vorne und im Fond haben auch große Menschen ausreichend Platz für Beine und Schultern, der üppige Radstand von 3,06 Metern ermöglicht gar einen verschwenderischen Abstand zwischen den Knien der Fondpassagiere und der Vordersitzlehne. Der flache Dachverlauf beschneidet aber die Kopffreiheit in der zweiten Reihe.
Bei der Materialauswahl im Interieur, das auch durch versteckt liegende Lüftungsdüsen angenehm zurückhaltend wirkt, fahren die Chinesen zweigleisig. Nappaleder spannt sich über die Sitzflächen. Gleichzeitig legt man aber bei den Dekoren Wert auf Nachhaltigkeit. Anstelle von Kunststoff oder Holz wird ein Material vom deutschen Unternehmen Karuun verwendet. Die Basis für diesen Nichtholzwerkstoff liefert die schnell nachwachsense Rattanpalme.
Den Antrieb des Nio ET7 übernehmen zwei Elektromotoren. Die Asynchronmaschine an der Hinterachse leistet maximal 300 kW (408 PS). Vorne kommt ein permanenterregter Synchronmotor mit bis zu 180 kW (245 PS) zum Einsatz. Die Systemleistung wird mit 480 kW (653 PS), das Drehmoment mit 850 Newtonmetern angegeben. In nur 3,9 Sekunden soll der Nio ET7 von null auf 100 km/h beschleunigen.
Die von CATL zugelieferten Batterien gibt es mit 70 kWh Speicherkapazität für eine prognostizierte Reichweite von 500 Kilometern oder mit 100 kWh für 700 Kilometer. Die Akkupakete sind aus den eingangs erwähnten SUV-Modellen bekannt. Und das aus einem guten Grund. Auf dem Heimatmarkt betreibt Nio aktuell gut 450 Batteriewechselstationen. Hier können innerhalb von wenigen Minuten leere gegen volle Akkus getauscht werden. Das ist ein Teil des „Battery-as-a-service“-Systems des Herstellers. Neben dem Batterietausch und dem Aufladen per Kabel gibt es in China auch einen Pannendienst mit zur Powerbank umgebauten Transportern.
Feststoffbatterie nur in China
Zum Marktstart des Nio ET7 in China soll es die Limousine dort ab Ende 2022 auch mit einer Feststoffbatterie geben. Eine höhere Leistungsdichte ermöglicht dann bis zu 150 kWh Speicherkapazität. Nio stellt eine Reichweite von 1.000 Kilometern in Aussicht. Das Rennen um die nächste Stufe der Batterietechnologie ist also in vollem Gange. Gut möglich, dass der Nio ET7 das erste Serienauto mit einer Feststoffbatterie wird.
Außerdem ist er der erste Nio, den es offiziell auch in Deutschland zu kaufen geben wird. Aktuell wird der Marktstart für das vierte Quartal 2022 vorbereitet. Hierzulande wird es den ET7 mit den 70 oder 100 kWh großen Lithium-Ionen-Akkus geben.
Der Marktstart einer neuen Marke, die im Premiumsegment angreifen will, wird interessanterweise ohne SUV unternommen. Mit dem ET7 will man in der Business Class angreifen und sich gegen Tesla Model S und Mercedes EQE positionieren. Diese Strategie hat aber auch technische Gründe. Der Nio ET7 ist das erste Modell der Marke auf einer neuen Plattform. Für den deutschen Markt will der chinesische Hersteller also gleich mit der aktuellsten Technologie auffahren.
Batteriewechselstationen auch in Deutschland
Die Batteriewechselstationen werden wir, nachdem sie bereits für Norwegen geplant sind, auch bei uns sehen. „Unser Ziel sind 4.000 Batteriewechselstationen, davon 1.000 außerhalb Chinas“, verrät Hui Zhang, Vice President Europe und Managing Director der Nio GmbH mit Sitz in München. Auch das Vertriebskonzept wird aus China übernommen. In großen Städten wird es sogenannte „Nio Houses“ geben, Markentempel mit Showroom, Arbeitsplätzen und Gastronomie. Sie werden von kleineren Nio Spaces und zusätzlichen Servicestandorten flankiert.
Zu den Preisen gibt es noch keine Informationen. „Unser Premiumanspruch zeigt sich auch daran, dass wir in China Preise erzielen, die über denen von Tesla liegen“, verrät ein Unternehmenssprecher.
Wenn man in die chinesische Nio App spickt, erfährt man mehr. Dort kostet der Nio ET7 mit der 70 kWh-Batterie ab 448.000 RMB, umgerechnet etwa 59.000 Euro. Nach Zollgebühren und anderen Ausgaben für den Export könnte der Nio ET7 in Deutschland mutmaßlich ab etwa 80.000 Euro zu haben sein. Damit dürfte sein Preisniveau knapp unterhalb des Mercedes EQE einsortiert werden. Ein Tesla Model S ist aber mit Tarifen ab 96.990 Euro deutlich teurer.
Erstes Fazit
Nio hat sich Zeit gelassen, bevor man Exportmärkte ins Visier nimmt. Nach Norwegen wagen sich die Chinesen ab Ende 2022 direkt nach Deutschland. Nicht mit einem SUV, sondern mit der Elektrolimousine ET7. Die Strategie leuchtet ein: Mit kleineren Stückzahlen kann man das Vertriebs- und Servicesystem mit Bedacht aufbauen und perfektionieren.
Design, Raumangebot und Anmutung gefallen schon beim ersten Kontakt mit dem Prototyp. Die Besonderheit von Nio ist eine eigene Infrastruktur bei Vertrieb und Kundenservice. Gut möglich, dass 2022 auch deutsche Kunden bereit für ein Batteriewechselsystem sind.